3000 Pferde

 

"Erzähl mir doch noch bitte einmal ganz genau von vorn, was ich versprochen habe."
Jethros Augen wirkten müde und rotgerändert.
Arkan e´dhelcú, sein Halbbruder hatte ihn am späten Morgen mit einer Tasse heißen frysischen Tees, gesüßt mit teurem Kandis und exakt zehn Tropfen Milch verfeinert, geweckt.
"Wenn ich mich recht erinnere, alter Freund, hast du Twrch Trwyth, dem neuen Feldherrn der Dannanin, einige Pferde versprochen."
"Oh, hab ich das?" Der weißhaarige Kapitän hob seinen Becher an die Lippen und tat einen tiefen Zug. Er schmatzte genießerisch.
"Und wie viele Tiere habe ich ihm in Aussicht gestellt?"
Erneut setzte er den warmen Trunk an.
"Wenn ich mich recht erinnere, erklärtest Du dich bereit 3000 Pferde zu senden...." Breit grinsend reichte Arkan seinem Bruder ein Taschentuch.
Eher fahrig säuberte Jethro sich und den Tisch vor ihm.
"Bist du dir sicher, daß ich das wirklich getan habe?" fragte er laut und dachte insgeheim `Na warte, Bruderherz. Ich gehe jede Wette ein, du hast extra abgewartet, bis ich den Mund voll hatte, um mir das zu eröffnen....´
Fragend hob Jethro eine Augenbraue.
Normalerweise hätte diese Bewegung seiner Mimik auf anwesende Leute streng gewirkt, doch strafte der Rest Tees, welcher immer noch in vereinzelten Tropfen in seinem Bart glitzerte, diesen Ausdruck Lügen.
"Wie gesagt, als wir uns gestern Nacht dem Dannanin zeigten und ihm unser Wohlwollen anboten, hattest du noch, wohl im Überschwang der Gefühle, versprochen ihm die Tiere zu schicken."
Während der Hügelprinz erzählte, beschäftigte er sich mit dem großzügigen Frühstück, welches einer der dienstbaren Mägde wohl schon vor Stunden in das Zimmer des Magiers gebracht hatte.
"Ach, übrigens," sagte der kleine Mann kauend. "Ich kann mich nicht erinnern, daß meine Zeitmagie derart mit Lichterscheinungen einhergeht. Ich glaube, dies war dann wohl dein Verdienst, nicht wahr, Jethro?"
Dieser lächelte verschmitzt. "Ich konnte mir doch so eine Chance nicht einfach entgehen lassen."
Arkan zwinkerte ihm vergnügt zu und genehmigte sich einen weiteren gewaltigen Bissen kalten Bratens.
"Wo wir gerade von Illusionen reden," führte der Magier das Gespräch weiter. "Warum wollten du und Fiacha eigentlich für dieses Fest das Aussehen von Menschen haben? Ich meine, nicht daß ich euch nicht gerne den Gefallen getan habe, aber neugierig macht mich das schon."
Arkan strich instinktiv über seine Ohrmuschel, und er schauderte, als er anstelle der vertrauten Spitze nur die Rundung eines Menschenohres fühlte.
"Daran könnte ich mich nie gewöhnen.."
Er fasste sich jedoch schnell wieder und antwortete: "Nun, erst einmal sind die Thuatha gerade zu dieser Zeit extrem nervös, gerade bei diesem Festtag, was uns Tuach na Moch angeht, und zweitens ... hmm, sagen wir, in diesem Ort hier bin ich kein Unbekannter, und ich möchte unangenehmen Begegnungen doch gerne aus dem Weg gehen."
Der Prinz hob einen Krug Milch an die Lippen, um den letzten Bissen hinunterzuspülen.
"Und was ist es dir wert, diesen Zauber wieder loszuwerden...?"
Nun war es die Reihe an Jethro böse zu grinsen, als er mit galanter Geste seinem Freund das Tuch reichte.
"Das wagst du nicht,"stammelte dieser.
Jethro beruhigte ihn. "Keine Sorge, Arkan. Nicht, daß ich etwa Angst vor dir hätte, aber mit deiner Angetrauten will ich mich wirklich nicht in die Haare kriegen."
"Stimmt," sagte der Tuach na Moch, während er versuchte, die verschüttete Milch von seinem Wams zu reiben. "Lieber würde ich versuchen einen wilden Flatthaff zu einem Schosshund zu erziehen, als mit Fiacha in den Ring zu steigen." Er lachte.
"Wo wir gerade von Fiacha reden," verlangte der Magier zu wissen, "wo steckt sie eigentlich?"
Arkan begann sich sehr für den süßen Honigkuchen zu interessieren.
"Als ich sie das letzte mal sah, war sie dabei, die hier lebenden Kinder in Truppen für eine gewaltige Schneeballschlacht zu formieren. Sie scheint sich auf jeden Fall sehr zu amüsieren."
Da flog die Tür auf und zusätzlich zu einem Schwall eiskalter Luft, wirbelte eine über und über mit Schnee bedeckte Fiacha in den Raum. Schwer atmend, doch mit einem überglücklichen Gesicht, fiel sie Arkan um den Hals.
"Ach, du hättest dabei sein sollen," juchzte sie, "es war toll. Denen vom anderen Hof haben wir es ganz schön gezeigt," sprudelte sie nur so hervor. "Ohhh toll, was zu Essen.!" Gewandt entschlüpfte sie den Armen ihres Mannes und fiel regelrecht über den Frühstückstisch her.
Arkan setzte ihr lachend nach und alsbald entbrannte ein heißer Kampf um die besten Leckerbissen, die das Mahl noch zu bieten hatte.
Der Magier hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Er drückte die Daumen seiner Hände in die Augen, so als wollte er die verbliebenen Geister der vergangenen Nacht vertreiben.
"Zu Anfang hielt ich es ja noch für einen guten Plan, mit Arkan und den anderen Samhain in Tir Thuatha zu feiern, und auch einen Blick auf Gwyddor und diesen Twrch Trwyth zu werfen. Aber langsam bin ich mir da nicht mehr so sicher."
So sprach er bei sich und hörte schon gar nicht mehr das fröhliche Streiten seiner beiden Freunde um den Rest seines Frühstückes.
"Nein, sicher bin ich mir wirklich nicht mehr."
Dann seufzte er und sein Blick wanderte durch die Butzenscheiben nach draußen ins dichte, weiße Schneegestöber. Obwohl in dem Raum ein anheimelndes Feuer brannte, fröstelte es ihn plötzlich, und er schlang die Arme um seinen Körper.
Er hatte das Gefühl, als würde eine Armee Eisameisen seinen Rücken hinunterkrabbeln.

Auf einer Anhöhe stand ein Mann. Gehüllt in groben Fellen, die der Kälte nicht unbedingt trotzen konnten. Das graue Haar, welches in grotesken, gekälkten Locken von seinem Kopf wirr abstand, wurde vom eisigen Wind nur noch mehr durcheinandergebracht. Weißer Atem stand vor seinem Gesicht als er hinab sah ins Tal, wo das prächtige Gutshaus mit seinen Stallungen stand, in dem es noch vor wenigen Stunden so fröhlich und laut widerhallte vom Lachen, Singen und Grölen der feiernden Magiraner.
Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen.
Ein Krieger trat zu ihm.
"Twrch Trwyth, mein erlauchter Kriegsherr, glaubt Ihr, daß Eure Pläne wirklich zu Eurer Zufriedenheit ausfallen werden?"
Der Angesprochene grinste, aber es war eher mit dem Blecken der Zähne einer zum Angriff bereiten Bestie zu vergleichen, als mit dem heiteren Lachen eines fröhlichen Menschen.
"Wer weiß schon, was die Zukunft bringt," presste er zwischen den Lippen hervor. "Ich glaube, ich habe für einige Aufregung gesorgt, dort auf dem Feste zu Samhain. Und die 3000 Pferde, die mir dieser Jethro versprochen hat... stell dir nur vor, Cellach, 12000 Hufe, die den Boden hämmern und Angst und Schrecken in die Herzen unserer Feinde tragen."
"Und das merkwürdige Angebot der Tuach na Moch? Was ist wohl davon zu halten, werter Kriegsherr?"
"Darüber möchte ich lieber nicht allzu genau nachdenken, Cellach. Ihr seid gewiss mit der Warnung vertraut, die mit demselben Atemzug wie die Nennung dieses Volkes einhergeht, nicht wahr?"
Der Angesprochene lächelte grimmig: "Gib acht, wenn das Hügelvolk Geschenke macht!"
Er sah sinnierend auf den Gutshof im Tal.
"Ich hätte nie geglaubt, daß ich einmal vor der Wahl stehen würde, ein Geschenk dieser Wesen annehmen oder ablehnen zu müssen. Aber heißt es nicht, daß zu Samhain, wenn die Grenzen zu unseren Ahnen nur dünn sind, selbst Träume wahr werden und die Geister der Geschichten wandeln? Was soll ich mich also wundern über die Geschehnisse der letzten Nacht?"
Twrch Trwyth lachte heiser und hieb seinem Freund die mächtige Hand auf die Schulter, so daß dieser beinahe in die Knie ging.
"Sei unbesorgt, aber darüber muss ich mir den Kopf zerbrechen und nicht du."
Er wandte sich zum gehen, und sein Fellumhang bauschte sich in dem eisigen Wind. Und nur die Götter hörten sein leises Gebet.
"Ihr Mächtigen der Welt, bringt mich gut durch dieses Abenteuer, diesem Angebot des Stillen Volkes... und wenn nicht, dann ....dann...könnt ihr mir gestohlen bleiben!"

Twrch Trwyth war wieder zu den Seinen zurückgekehrt und dort mit Jubel empfangen worden, der allerdings etwas getrübt wurde, als er von der merkwürdigen Begegnung mit dem Stillen Volk berichtete.
Der Feuerschein in seinem Rücken ließ ihn mächtig und bedrohlich erscheinen. Der Herr der Dannanin, mit bloßem Oberkörper, welcher mit rätselhaften, blauen Symbolen bemalt war, erzählte seinen Getreuen und deren Clans von den Ereignissen auf dem Treffen.
"Da stand ich nun und warf Gwyddor meine Kriegserklärung ins Gesicht. Ich gab ihm mein heiliges Versprechen, mir seinen Kopf zu holen."
"Und," wollte einer der jüngeren Krieger wissen, "wie hat er reagiert, konntest du seine Angst riechen?"
Drohend zog Twrch Trwyth seine buschigen Brauen zusammen, trat auf den Sprecher zu, packte ihn am Fellkragen und zog ihn nahe an sein Gesicht. Seine Augen blitzten gefährlich, als er das Wort an den so Gebeutelten richtete.
Dunkel und grollend, eher dem kehligen Knurren eines Wolfes ähnelnd, denn durch Menschenmund hervorgebrachter Stimme, sprach er leise und doch konnte ihn jeder hören: "Gwyddor ist kein Dummkopf. Selbst wenn er sich vor Angst in seine karierten Hose geschissen hätte, er hätte mir niemals seine Angst gezeigt. Lasst euch von seinem Aussehen nicht täuschen, sollte er euch auch weich und schwach erscheinen, macht niemals den Fehler ihn zu unterschätzen. Er hat Heere in die Schlacht geführt, und viele gute Männer stehen unter seinem Befehl. Umso größer wird mir die Ehre, wenn ich ihn endlich bezwungen habe und seinen Kopf an meinen Sattel binden kann."
"Aber," presste der Mann hervor, "sagtet Ihr nicht selber, ihn zu besiegen wäre ein leichtes?"
"WILLST DU MIR ETWA UNTERSTELLEN, ICH WAGE MICH NUR AN SCHWÄCHLINGE UND NARREN, KERL?"
Dem Krieger wich sämtliches Blut aus dem Gesicht, denn er bemerkte, daß er die falsche Frage gestellt hatte.
"N...nein, gewiss nicht," beeilte er sich zu sagen, hoffend, seinen leicht in Rage zu bringenden Righ wieder beruhigen zu können
"Kerl!!" brüllte dieser, "normalerweise hättest du schon längst deinen letzten Atemzug getan, aber ich will dich im Gegenteil entlohnen für deine Unverschämtheit. Beim nächsten Angriff reitest du direkt neben mir in vorderster Reihe. Wenn Dana es gefällt, wirst du überleben und viele Schädel nach Hause zu deiner Sippe tragen können. Man soll mir nicht nachsagen, ich würde keine Gnade kennen. Und nun zurück auf deinen Platz, Krieger."
Schlagartig ließ Twrch Trwyth von dem Mann ab und wandte sich wieder seinen Zuhörern zu.
Und nur Cellach bemerkte das leicht amüsierte Glitzern in den Augen seines Kriegsherrn, welcher fortfuhr zu erzählen:
"Wir verließen beide gleichzeitig den Ort unserer Unterredung. Ich wollte mich gerade wieder zu den Feiernden begeben, als ich ein leises Lachen vernahm. Herumwirbelnd riss ich mein Schwert aus der Scheide, und vor mir stand ein kleiner Mann angetan in dunklem Leder und schwarzem Umhang. Ein einfacher Reif schmückte seine Stirn.
'Wohl gesprochen,' sagte er fröhlich und klatschte in die Hände. Gerade wollte ich ihm eine Lektion erteilen, da blies der Wind seine Haare beiseite, und ich erkannte seine spitzen Ohren. Vor mir stand einer des Stillen Volkes, ein Tuach na Moch...."
Ein Raunen ging durch die Menge und eine Stimme fragte: "Kann es nicht auch einfach ein Elf gewesen sein?"
Der Dannanin lachte rauh. "Glaubt mir, ich erkenne einen Hügelvölkler, wenn ich einen sehe."
Und obwohl es nur eine Erzählung war machten einige der Anwesenden heilige Schutzzeichen, oder aber ergriffen ihre Amulette, um sich vor dem Unbill und den Launen des Stillen Volkes zu schützen.
"Und, was geschah dann?"
"Der Mann verbeugte sich vor mir, und glaubt mir, wenn nicht seine spitzen Ohren gewesen wären, die sein Grinsen aufgehalten hätten, so wäre mir mit Sicherheit sein Kopf vor die Füße gerollt. Und dann setzte er seine Rede fort.
‚Ich, Arkan e´dhelcú, Sohn des Arpad und Prinz des Hügelvolkes entbiete Euch meinen Gruß..' Misstrauisch wich ich zurück.
‚Ich war Zeuge Eures Disputes, und ich finde, das Ganze hört sich nach einem Hauptspaß an. Ein Spaß, an dem ich gerne teilhaben möchte. Und nicht nur ich...'
Und bevor ich etwas erwidern konnte, beschrieb er mit der Rechten einen weiten Bogen in der Luft, und die umstehenden Eichen erglühten in bläulichem Feuer."
Selbst die tapfersten und mutigsten Krieger im Rund erschauerten bei dem Gedanken an glühende Bäume, erschaffen durch uralte Magie.
"Und aus den Stämmen traten Gestalten. Sieben an der Zahl und sie bauten sich im Rund um uns auf. Und das Merkwürdigste von allem war, unter ihnen befanden sich zwei Menschen. Der eine von ihnen war offensichtlich ein Magier, und die andere eine thuathische Druidin in weißem Gewand. Sie leitete die Zeremonie. Aus einem uralten Tiegel, den sie den Anwesenden reichte, schöpften diese mit zwei Fingern schwarzes Fett und zogen sich jeweils zwei Striche über die rechte Wange.
Alle entboten mir und dem Volk der Dannanin ihren Gruß und ver-sprachen ihre Unterstützung. Selbst die Druidin zeichnete sich die Striemen ins Gesicht. Und der Magier versprach mir 3000 Pferde, um unsere Sache zu unterstützen. Dann verschwanden sie so wie sie gekommen waren. Ich kann beinahe nicht sagen, ob ich einer fremdartigen Vision aufgesessen bin, oder ob dies alles wirklich geschehen ist. Doch als ich wieder hier im Lager war und meine Sachen durchsah, die ich auf der Reise gefunden und mitgenommen hatte, entdeckte ich etwas, was mir unbekannt war. Dieses Glöckchen aus einfachem Metall."
Mit diesen Worten reckte er seine Hand in den Nachthimmel, und an einem goldenem Band präsentierte er seinem Volk ein einfaches Glöckchen, welches im Mondlicht aufblitzte.
"Ich erinnerte mich, daß Arkan an einem Stab viele dieser Glocken trug. Und so nehme ich es als Beweis, daß ich mitnichten einem Trugbild verfallen war."
Der aufbrandende Jubel und die Hochrufe seiner Kämpfer genoss der Barbar sichtlich. Mit ausgebreiteten Armen empfing er die Schwüre und Treuebekundungen seines Heeres, seiner Clans.
Als er sich ins Zelt zurückgezogen hatte, war Cellach ihm gefolgt.
Sein Vertrauter ergriff eine irdene Flasche, sah sie kurz an und tat dann einen sehr tiefen Zug. Er schauderte kurz, als der scharfe Alkohol wie flüssiges Feuer seine Kehle hinunterrann.
"Nun," sagte er, während er sich die letzten klaren Tropfen des Gebräus aus dem Bart strich, "die Krieger hast du auf jeden Fall hinter dir. Auch wenn du es geschafft hast, ihnen vorübergehend die Furcht vor dem Stillen Volk zu nehmen, irgendwann wird es sich melden,... das stille Volk..."
Twrch Trwyth nahm seinem Freund die Flasche aus der Hand und setzte sie an die Lippen. "Und vor allen Dingen erwarte ich voller Ungeduld diese Lieferung der 3000 Pferde. Ich weiß, ich werde sie bekommen. Denn dieser Jethro schien mir ein Mann von Ehre zu sein. Und wenn er sein Versprechen nicht wahr macht... nun er wird sehen, was er davon hat..

Die beiden Galeonen in der Straße der Helden machten nur langsame Fahrt. Es wehte kaum ein Lüftchen, seit Tagen schon. Kapitän Jethro betrachtete vom Achter Kastell aus das muntere Treiben auf dem Deck der Cor Dhai III.
Seine Mannschaft setzte sich zusammen aus Männern und Frauen jeglicher Coleur, Hautfarbe und Nationalitäten.
Doch hier an Bord gab es keine Unterschiede solcherart mehr. Sie alle wurden nur noch von einem getrieben. Die Liebe zu diesem Schiff, und die Loyalität zu ihrem Kapitän.
Jeder Handgriff saß genau da, wo er hingehörte.
Einem ungeübten Auge würde sich ein Bild des Chaos bieten, doch für den grauhaarigen Kapitän war es wie der Tanz eines riesigen Balletts, welches seine Seele erfreute.
Auch die leiseste Windbö fingen die mächtigen Segel, von den kundigen Händen seiner Mannschaft geführt, ein und trieben das Schiff die Straße der Helden gen Wes.
Sein Blick ging nach Backbord, wo in einigen Schiffslängen Entfernung die Shar Tok über die beinahe spiegelglatte See glitt.
Schon seit Beginn der Reise hatte es einen freundschaftlichen Wettstreit zwischen den Galeonen gegeben, ein Wettrennen. Und nun lag die Cor Dhai III um mindestens zwei Längen voran.
Normalerweise hätte dies und der Eifer seiner Leute ihn mit Freude erfüllt. Aber schon seit mehreren Tagen fühlte er sich leer, ein Versprechen, das er gegeben hatte und nicht einhalten konnte, nagte schwer an ihm.
Er hob die Rechte und winkte der Gestalt auf dem Achterkastell der Shar Tok zu. Diese erwiderte den Gruß. An Bord war also alles in Ordnung.
"Was ist mit dir, Jethro, mein Freund?"
Der Angesprochene wirbelte herum, und als er den Mann erkannte, entspannte er sich. "Verdammt, Sami, wie konntest du dich nur so an mich anschleichen? Du hast mich zu Tode erschreckt."
"Erschreckt?"
Der Mann mit den schulterlangen, schwarzen Haaren lächelte und entblößte ebenmäßige, weiße Zähne.
"Verzeih, aber ich hatte bereits zum dritten Male das Wort an dich gerichtet."
Sami Lapio, stellte sich neben Jethro, legte die Hände auf die Reling und sah hinaus aufs unendliche Meer.
"Und?" fragte er, "was bedrückt dich, Jethro?"
"Mich? Ich bin nicht bedrückt," erwiderte dieser etwas zu schnell.
"Deine Leute kannst du vielleicht täuschen, aber mich nicht. Bedenke, es war lange Zeit meine Aufgabe Geheimnisse aufzuspüren, sie zu erkennen, bevor andere auch nur von ihrer Existenz ahnten"
Jethro lachte gequält.
"Erinnere mich daran, sollte ich jemals Herrscher über ein Reich werden, daß ich dich sofort zum Chef meines Geheim-dienstes mache."
Sami Lapio deutete eine Verbeugung an: "Ich werde dich daran erinnern. Und ich warne dich, ich werde ein fürstliches Gehalt fordern."
Dann wurde er ernst.
"Willst du es mir erzählen?"
"Da ist ein Versprechen, das ich einem Manne gab. Vor vielen Monden. Und jede Nacht erscheint er im Traum und fordert seine Einlösung."
Jethro seufzte.
"Und ich kann nichts tun... mir läuft die Zeit davon....." Er stutzte. "Die Zeit..." murmelte er. "Vielleicht ist da doch noch eine Chance."
Ein Ruck ging durch seine hochgewachsene Gestalt
"Sami," sagte er mit fester Stimme. "Sag den Männern, daß ich Magie wirken werde und unter gar keinen Umständen gestört werden darf."
Sami sah sinnierend auf das Wasser
"Du willst erneut die Reise antreten? Diese Fahrt in das verborgene Reich, welches nur du sehen kannst?"
Jethro lächelte freudlos. "So schlimm, wie in den Geschichten und Legenden, die man sich erzählt, ist meine Familie sicherlich nicht. Vielleicht nehme ich dich irgend-wann einmal mit, alter Freund."
"Ich weiss nicht viel über dieses Volk, dem du so nahe zu stehen scheinst. Doch was ich weiß, erfüllt mich nicht gerade mit Vertrauen."
"In einem hast du sicherlich Recht mit deinen Befürchtungen. Wenn man sich in das Reich meines Halbruders Arkan begibt, sollte man stets auf der Hut sein. Nun geh, und lass mich allein. Ich nutze niemals gerne seine Hilfe, aber ich fürchte, es bleibt mir diesmal keine andere Wahl."
Der Kapitän ergriff die Hand des Mannes.
"Geh und sage der Mannschaft, daß ich Magie wirken werde. Ich darf unter gar keinen Umständen gestört werden. Egal, was geschieht, was ihr hört oder glaubt zu vernehmen."
Mit diesen Worten verließ Jethro das Achterdeck und eilte die enge Stiege nach unten in seine Kajüte.
Sami Lapio lehnte sich, als würde er von einer plötzlichen Schwäche überfallen, an den Mast des Heckaufbaus der Cor Dhai III.
"Oh ihr endlosen Wasser des ewigen Ozeans," sandte er ein kurzes Stoßgebet in den Himmel Magiras. "Geleitet ihn auf diesem schweren Weg ins Ungewisse, auf seinem Weg in das Reich des Todes, durch die Gefahr."
Dann begab er sich auf das Deck um der Mannschaft die nötigen Befehle zu geben.

Jethro hatte den magischen Kreis gezogen und uralte, vergessene Formeln quollen aus seinem Munde. Mit jedem Vers, den er rezitierte, setzte er einen blauen, zwei Fäuste großen Kristall an die Stirnenden des siebenzackigen Sterns. Aquamarines Feuer glühte in magischen Bahnen und tauchte seine Kajüte in ein unmagira-nisches Licht.
"Ihr Mächte der Vergangenheit, der Zukunft und dem Jetzt. Ich rufe Euch. Hört meinen Ruf, vereinigt Euch zu dem Wirbel, der mir Einlass gewährt."
Auf ein Nicken seines Hauptes entzündeten sich uralte Kerzen zu purpurnem Feuer.
Der Raum erfüllte sich mit Raunen von Stimmen, die längst nicht mehr waren, eben noch gesprochen hatten und ihre Geschichten erst erzählen werden.
"Ihr Mächte, die mir beistehen, seid mir gnädig und öffnet eine Furt." Als er diese Worte sprach, ergriff ein Sturmwind seinen Körper, seinen Geist. Die langen, eisgrauen Haare wehten in den entfesselten Gewalten und strebten einem Punkt zu, der sich inmitten des magischen Zirkels öffnete.
"Bei der Macht, die mir verliehen, bitte ich um eine sichere Reise in das Reich der Tuach na Moch."
Seine Stimme überschlug sich schier, als er die letzten Formeln in den sich auftuenden, drohenden Schlund schrie und die Arme beschwörend in die Höhe riss.
Und dann war da plötzlich Stille, und er trat beherzt hindurch...

Und obwohl immer noch eine beinahe Flaute in der Straße der Helden herrschte, hoben sich die beiden Galeonen in einer schweren Dünung, die aus dem Nichts gekommen zu sein schien und wieder in die Ewigkeit verschwand, so als hätte es sie niemals gegeben.
Oben an Deck atmete Sami Lapio tief durch, wohl wissend, daß sein Freund eine Reise angetreten hatte, vor der sich gewiss auch die größten Helden gefürchtet hätten.

Ein helles Klingen kündete von seinem Kommen.
Eigentlich wollte Arkan seinen Halbruder als erster willkommen heißen, aber Fiacha hing ihm schon um den Hals und begrüßte ihn herzlich.
"Jethro," verlangte sie zu wissen, " was gibt es neues zu berichten von der Oberwelt?"
Ruhig, aber bestimmt löste sich der Magier aus ihrer Umarmung. Er lächelte sie freundlich an.
"Später werde ich gerne alle deine Fragen beantworten, aber nun muss ich erst einmal mit deinem Mann sprechen."
Fiacha zog einen perfekten Schmollmund, ließ aber von ihm ab.
"Wir müssen reden," richtete er sein Wort an den Hügelprinzen.

Arkan hörte sich ruhig an, was sein Halbruder zu sagen hatte.
"3000 Pferde, hmm nicht ganz einfach, aber ich werde es schaffen," versprach er schnell. Eigentlich zu schnell für den Geschmack des Magiers.
Arkan winkte kurz und ein Bediensteter kam eilfertig herbei und neigte sein Haupt gen Mund des Herren des Hügelvolkes.
Welche Anweisungen Arkan dem Mann gab, entging Jethro, und trotz allem oder gerade aus diesem Grunde fühlte er sich leicht unwohl.
Auch die beruhigenden Worte Arkans trugen nicht gerade dazu bei, daß sein Bruder einiger Sorgen ledig wurde.
"Mach dir keine Gedanken, mein lieber Bruder. Denn wisse, jetzt wo wir hier zusammen sitzen, erfüllt sich dein Versprechen. Nein, ich will keinen Dank." Der kleine Mann hob abwehrend und beschwichtigend die Hände. "Denn immerhin hast du mir eine wunderbare Hochzeitsreise spendiert, und ich bin dir noch etwas schuldig."
Wenn Jethro bisher leicht beunruhigt war, so war er jetzt alamiert.

In den eisigen Steppen Dwyllugnachs wehte ein kalter Wind.
Der Eingang des Zeltes von Twrch Trwyth wurde zurückgeschlagen.
"Herr," sagte die Wache, "eine Besucherin will Euch sprechen."
Der Herr der Dannanin trat aus seinem Zelt, wo ihn eine rothaarige Fremde erwartete. Hinter ihr standen zwei große, zugedeckte Kisten.
"Ich grüße Euch, Twrch Trwyth!" sprach sie mit melodischer Stimme. "Ich bringe Euch die 3000 Pferde, die Euch Jethro Cunack versprochen hat."
Mit ausholender Geste deutete sie auf die verdeckten Kisten.
Sich artig verbeugend ergriff sie einen Anhänger an ihrem Hals, und mit einem leisen Knall entschwand sie aus der Kälte Dwyllugnachs.
Wohl erschraken einige der Umstehenden ob dieser Zurschaustellung großer Magie, doch harrten sie tapfer aus und versuchten möglichst unbeeindruckt zu wirken.
Mit einem Ruck entfernte ein Diener die schützende Plane von den Behältnissen.
In einem waren Wasser und Tiere zu sehen, in dem anderen ein wahrer Dschungel vermischt mit einem wahren Konzert zirpender Grillen.
Runen in der Schrift der Thuatha konnte der Kriegsherr entziffern:

"Hiermit überbringe ich Euch mein Versprechen. 1500 Seepferdchen und 1500 Heupferde, zu Eurer Unterstützung und freien Verfügung.
Verfahrt mit ihnen, wie es Euch beliebt."
In ergebenstem Gruß
Jethro Cunack

Zuerst war Twrch Trwyth sprachlos. Aber dann stemmte er seine Hände in die Hüften, und ein rauhes Lachen entrang sich seiner Kehle. Ein Gelächter, welches widerhallte von den eisigen Gletschern und Frost überkrusteten Felsen Dwyllugnachs.

Arkan hob seinen Becher und prostete seinem Bruder zu.
"Mach dir keine Sorgen. Alles ist geregelt," lächelte er seinen Bruder an.
Aber irgendwie hatte Jethro das Gefühl, als würde ein Geist mit geschliffenem Schwert über sein Grab wandeln.
Und ihm schauderte.

 

3000 Pferde
Arkan e´dhelcú
Eberhard Schramm

 

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Stand:30.09.2010