Die Gunst

 

Arwel saß auf einem Stein, das Gesicht in den Händen. In der Blüte seiner Jugend plagte ihn doch die Bitterkeit. Seine Kraft, seine Jugend – all das würde ihn verlassen. Was nützte ihm sein Geschick mit den Waffen, wenn sein Arm erlahmen würde, würden ihn die Frauen noch anziehend finden, wenn sein Haar grau und schütter wäre? Wäre er noch der überragende Jäger, wenn sein Auge nachließ? Warum musste er altern, wenn der Preis sein Ruhm und seine Beliebtheit wäre?
"Ihr Götter, warum nur straft ihr mich derart? Warum muss ich die gleiche Strafe erleiden wir die gewöhnlichen Lebewesen? Bin ich nicht besser als sie? Habe ich nicht ein größeres Schicksal verdient? Warum nur, ihr Götter!"
Ein Lachen hinter ihm brachte ihn zum Verstummen und er wirbelte herum, sprang auf die Füße. Seine Hand umklammerte den Griff seines Schwertes und er starrte den Fremden an. Hochgewachsen, mit langen, dunklen Haaren die sein bleiches Gesicht umrahmten. Eine dunkelblaue Tunika über einer schwarzen Hose, die in einfachen Stiefeln steckte. Ein langer, schwarzer Umhang, der vor der Brust mit einer silbernen Nadel zusammengehalten wurde. Die langen, schlanken Hände hielt er vor dem Körper, offensichtlich leer.
"Wer bist du und was willst du hier? Warum lachst du über mich, weißt du nicht, wen du vor dir hast?"
Wieder dieses Lachen, doch es war nichts Bedrohliches darin.
"Ich weiß sehr wohl, wer du bist, Arwel. Ein Kämpfer, der seinesgleichen sucht, ein Jäger, dessen Speer nie sein Ziel verfehlt und der Liebling der Damenwelt. Du bist Arwel, heldenhafter Sohn deines Volkes, von den Barden besungen und deinen Feinden gefürchtet. Sei mir gegrüßt, Arwel. Doch sag mir, heldenhafter Kämpfer, warum grämst du dich, was verursacht diese Bitterkeit, wenn doch die Süße des Ruhms dich erfreuen sollte?"
Geschmeichelt zog Arwel seine Hand vom Griff seines Schwertes zurück und erwiderte den Gruß des Fremden.
"Ich bin Arwel. Doch wie soll mich der Ruhm erfreuen, wenn ich doch weiß, dass Ruhm und Kraft vergänglich sind und nur zu schnell verblassen? Wie kann die Sorge nicht die Freude überschatten?"
Der Fremde nickte nachdenklich, seine Hand strich durch seinen Bart.
"Doch ist das nicht das Los alles Lebens? Es wird geboren, erblüht und verwelkt dann? Wie kann es da einen Ausweg geben, wie kann die Blüte nicht vergehen? Ist die Zeit nicht unbezwingbar und besiegt selbst die stärksten aller Helden?"
Matt ließ sich Arwel auf einem umgestürzten Baumstamm nieder und bedeutete dem Fremden, sich neben ihn zu setzen.
"Aber wofür gibt es die Götter, wenn sie ihre Lieblinge nicht über das normale Volk emporheben? Müssten sie ihnen nicht diese kleine Gunst erweisen?"
Der Fremde sah erschrocken aus ob dieser Lästerung, doch dann wurde er wieder nachdenklich.
"Und wie soll das geschehen? Müsste ein Gott hier erscheinen und dir deinen Wunsch erfüllen? Wären dann nicht die Götter die Sklaven der Sterblichen, trotz all ihrer Macht? Müssten nicht die Götter diejenigen sein, die den Sterblichen befehlen, weil sie so viel gewaltiger sind als es je ein Sterblicher zu sein vermag?"
Arwel seufzte.
"Nicht befehlen will ich ihnen. Eine Gunst erbitten, das würde ich gern. Die doppelte Lebensspanne, das wäre nur gerecht für einen großen Krieger, damit er seinem Volk besser dienen kann."
"Die doppelte Lebensspanne sollte ein Gott dir geben? Einfach so? Ist das nicht sehr vermessen?"
Arwel winkte ab, den Blick starr auf den Boden gewandt.
"Nicht einfach so. Lobpreisen würde ich ihn, seinen Namen hinaus in die Welt tragen auf ewig wäre nur angemessen für eine solche Gabe."
Der Fremde stand auf, blickte auf den niedergeschlagenen Kämpen hinab und lächelte. Dann begann er wieder zu sprechen, aber dieses Mal war seine Stimme anders. Voller, hallender, machtvoller, seine ganze Erscheinung strahlte eine ungeheure Kraft aus. Arwel sah auf und blickte in rabenschwarze Augen, die so unergründlich wie der Nachthimmel waren.
"Nun denn, Arwel, heldenhafter Kämpfer, mächtiger Jäger, Bezwinger deiner Feinde, deine Worte haben mich berührt. Wisse, dass die Götter ihre Recken nicht vergessen und so gewähre ich dir deinen Wunsch. Die doppelte Lebensspanne soll dein sein, doch vergiss nicht, du gabst einem Gott dein Wort. Halte es ein, sonst wird mein Zorn dich treffen."
Der Fremde lachte, dann drehte er sich um und begann, fortzugehen. Arwel, noch im Banne dieser Erscheinung, blieb sprachlos zurück, während der Fremde vor seinen Augen verschwand. Dann erwachte er wie aus einem Traum und sah sich suchend um, doch er war allein. Kein Hinweis verriet ihm, ob der Besucher wirklich hier gewesen war oder ob er nur in seiner Einbildung existiert hatte. Schließlich erhob er sich und setzte seinen Weg fort. Leute aus seinem Dorf begegneten ihm, doch keiner grüßte ihn wie den Helden, sie behandelten ihn alle wie einen Fremden, den man nicht weiter beachtet. Nachdenklich schritt er weiter, bis er zu einem Bach kam, wo er sich ein wenig ausruhen wollte. Er nahm im Schatten eines Baumes Platz, der am Ufer des Baches wuchs, beugte sich vor, um einen Schluck zu trinken… und erstarrte. Vor ihm im Spiegel der Wasseroberfläche war ein alter Mann, die Haare mit grauen Schlieren durchzogen, die Augen müde von den Jahren. Er sah auf seine Hand, deren Haut viel mehr Falten als noch heute morgen aufwies. Seine Arme hatten nicht mehr die jugendliche Kraft, die ihn noch vor Kurzem erfüllt hatte. Ergeben senkte er den Kopf, als ihn die Erkenntnis überkam.
Er hatte sich die Götter zu Diensten machen wollen und sie hatten ihn auf seinen Platz verwiesen. Seine schlecht formulierte Forderung hatten sie dem Wortlaut nach erfüllt und würden nun den Preis einfordern, den er ihnen versprochen hatte. Nun würde er für seinen Hochmut bezahlen müssen.

In der Krone des Baumes aber saß Moch und schaute zufrieden auf sein Werk herab. Er hatte diesem Menschen eine Lektion erteilt und ihm trotzdem eine Belohnung zugedacht, die seiner Taten würdig war. Auch wenn Arwel nun ein alter Mann war und nicht mehr der mächtige Recke, so würde er doch auf ewig den Ruhm der Götter verbreiten, denn so lautete der Preis, den der ehemals Sterbliche ihm versprochen hatte. Er würde kein Krieger mehr sein, doch gab es noch andere Dinge, durch die ein Mann Ruhm erwerben konnte. Moch war zufrieden.

 

Die Gunst
Feach e'dhelcí
Bernd Meyer

 

Zurück



Stand:25.04.2016