Es war der Abend eines kalten und nassen Tages, die Kerzen und Laternen in den Häusern und Arbeitsräumen der Handwerker brannten schon und die meisten Helfer hatten sich bereits nach Hause verabschiedet. Nur eine Frau saß noch in der Arbeitsstube des Schneiders Brand und nähte fleißig an einem kleinen Kleidchen, welches einer Prinzessin würdig war.
Kaum erwartete man um diese Zeit noch Kundschaft. Doch mit einem Schlagen der Türglocke öffnete sich die Türe und herein trat ein Mann von stattlichem Umfang.
Schnell eilte der Meister aus den hinteren Räumen herbei und begrüßte ihn unterwürfig, während die Frau ihren Kopf noch tiefer über ihre Näharbeit beugte.
"He, Herr Schneider, höret wohl, schneidert mir das schönste Hochzeitskleid für meine Zukünftige, welches nur möglich ist. Es soll euer Schaden nicht sein."
Und verschwörerisch beugte er sich näher zum Schneider.
"Und vergesst nicht euren speziellen Zauber. Ich denke, ihr werdet schon wissen was ich meine."
"Aber natürlich, mein Herr, ihr werdet bekommen, was ihr verlangt. Wann wird sich eure Braut zum Vermessen vorstellen?"
"Meine Braut weiß nichts von diesem Kleid und sie soll es auch nicht vor der Hochzeit erfahren."
"Ja, aber nach welchem Maß sollen wir dann das Kleid anfertigen? Ich meine wir können doch nicht einfach irgendeines nehmen und dann passt es nicht."
Verwirrung spiegelte sich auf dem Gesicht des Schneiders. Mit einer lässigen Handbewegung wies der Kunde auf die arbeitende Frau. "Nehmt ihre Maße, dann wird es passen."
"Wie ihr wünscht."
Mit übertriebenen Bücklingen verabschiedete er den Kunden und hielt ihm die Tür auf.
Eiseskälte umschloss Reesas Herz, der Mann war ihr nicht geheuer, sein Blick, der auf ihr geruht hatte war voller Gier und die Empfindungen, die sie von ihm aufgefangen hatte, alles andere als die keuschen, die ein Mann empfinden sollte, wenn er seiner Hochzeit mit einer anderen Frau entgegen sah. Als der Schneider sie ansprach, musste sie sich gedanklich erst schütteln, eh sie erfassen konnte, was er von ihr wollte.
"Ich soll das Kleid nähen? Aber Meister, ihr seid doch der unvergleichlichste und geschickteste Schneider der ganzen Stadt, wie könnte ich da mit meinen bescheidenen Fähigkeiten eure Arbeit übernehmen? Zumal ich nicht einmal als Lehrling zugelassen bin, ich bin nur eine Frau."
"Meine Liebe, deine Nähte sind unvergleichlich, dein Geschick übertrifft noch meines. Egal, ob Du zugelassen bist oder nicht, aber ich brauche deine Hilfe. Meine Augen sind nicht mehr die Besten und meine Finger werden langsam steif. Ich mache dir einen Vorschlag, du nähst das Kleid und ich weihe dich in mein Runengeheimniss ein."
Überrascht hielt Reesa die Luft an. Das Runengeheimniss, jenes besondere Geheimniss, welches ihm Kunden aus dem gesamten Land einbrachte. Unter diesen Umständen musste sie einfach zustimmen. Also machten sie sich daran, sorgfältig die vorhandenen Stoffe zu sichten und eine Auswahl an passenden zusammenzustellen. Eifrig verglichen sie und strichen immer wieder über die edlen Stücke. Endlich hatten sie sich auf einige geeinigt und Reesa machte sich daran, anhand ihrer eigenen Maße ein Kleid zu entwerfen. Erst als der Meister sein OK gab, schnitt sie es zurecht und begann mit der entscheidenden Näharbeit. Tage arbeitete sie an dem Kleid und immer wieder prüfte der Meister das Ergebnis. Immer wieder ermahnte er sie, sich ja nicht mit der Nadel zu stechen und das Kleid womöglich mit ihrem Blut zu benetzen. Wie er sagte, würde das Unglück bringen und die ganze Arbeit zunichte machen. Wenn er ihr die Sache mit den Runen erklärt hätte, würde sie schon verstehen, warum das so wichtig war.
Endlich war das Kleid fertig gestellt, es war zart bestickt, mit Fäden aus Goldgarn. Doch nun, so sagte ihr der Meister, würde das Wichtigste kommen. Er wendete das Kleid und ergriff den Saum.
"Schau genau her und merke es dir gut, meine Liebe. Dieses ist eine Runenkombination für Glück, Zufriedenheit und Freude, dann wünschen wir der Braut natürlich noch reichen Kindersegen und Gesundheit, Schönheit und Gelassenheit, in Würde zu altern."
Dabei zwinkerte er Reesa zu und mit gekonnten Stichen setzte er die Runen.
Fasziniert beobachtete Reesa sein Tun und trotzdem es nur zarte Linien auf dem Stoff waren, konnte sie die Kraft und Magie der Runen erspüren.
"Das Kleid ist vollendet und unser Kunde wird sicher erfreut sein."
Zufrieden strich Meister Brand sich durch seinen Bart, der spitz und faserig von seinem Kinn herab hing.
"Dann schicken wir mal einen Boten zu unserem reichen Kaufherren, er möge sein Kleid abholen."
Der Lehrjunge, den er los schickte, kam schon schnell wieder zurück mit der Botschaft, dass der Kunde wünsche, Reesa möge das Kleid bringen, ihr würde er auch gleich den Lohn übergeben.
Nur ungern wollte Reesa dieses tun, ein ungutes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Warum ausgerechnet sie? Hätte er nach dem Meister verlangt, so wäre dieses verständlich. Doch wollten sie ihr Geld haben, musste sie sich dem Wunsch fügen. Reiche Handelsherren erzürnte man nicht. Also schlug sie das Kleid in eine Bahn Leinenstoff ein und machte sich damit auf dem Weg.
Düster war das große Haus, in das man sie einließ, überladen die Räume mit Prunk und Glanz. Man sah, dass der Hausherr mehr darauf geachtet hatte mit seinem Geld zu protzen, als wirklichen Geschmack zu beweisen.
"Aber mir muss es ja nicht gefallen," dachte Reesa für sich.
Man führte sie in einen Raum, der nur ein winziges Fenster besaß und ehe sie es sich versah, wurde die Tür hinter ihr geschlossen. Wütend trommelte sie gegen die Tür, doch niemand öffnete sie.
"Toll, wirklich echt toll, ich hätte auf mein Gefühl hören sollen. Menschen… "
Kopfschüttelnd drehte sie sich um und betrachtete den Raum. Ein Stuhl ein Tisch, ein Bett und eine Schale mit Wasser. Sonst war der Raum leer. Ergeben setzte sie sich auf den Stuhl und wartete. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür und eine Magd betrat den Raum. Hinter ihr wurde selbige schnell wieder geschlossen und sie hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. Wortlos starrten sie sich gegenseitig an und versuchten, sich abzuschätzen. Dann räusperte sich die Magd und reichte ihr ein Tuch und einen Lappen.
"Ihr solltet euch fertig machen, die Hochzeit ist in einer Stunde."
"Was habe ich mit der Hochzeit eures Herren zu tun, ich bin nur eine Bedienstete des Schneiders, welcher das Kleid für die Hochzeit genäht hat."
Verärgert zog Reesa die Augenbrauen hoch. Nur langsam stellte sich ihre Ruhe wieder her und je ruhiger sie innerlich wurde, desto deutlicher konnte sie die Gefühle der ihr gegenüber Stehenden erfühlen.
"So ist das also, die Kleine mag diesen ungehobelten Kerl."
Noch einmal betrachtete sie das Mädchen, Größe und Figur passten einigermaßen auf sie selbst und mit einem Schleier über dem Kopf würde niemand ihr Gesicht erkennen. Doch wie das Mädchen dazu bringen, mit ihr zu tauschen? Und wie sollte sie dann an das Geld für das Kleid kommen?
Nun, zuerst einmal dieses Mädchen in das Kleid hinein, eigentlich war das gar nicht so schwer, sie konnte vorgeben, noch etwas ändern zu müssen, was aber nur ginge, wenn jemand es an haben würde. Wäre sie erst mal herinnen, wäre es ein leichtes für Reesa, sie davon zu überzeugen, dass sie die viel passendere Braut wäre.
Tatsächlich brauchte sie auch nur wenige Minuten, sie zu überzeugen, schnell schlüpfte sie in die Kleider der Magd. Natürlich sollte die Wut des geprellten Bräutigams nicht zu arg auf die Gute fallen, so zog Reesa noch einige Edelsteine aus ihrem Beutel, die sie der neuen Braut gab.
Das nächste Problem war, an das Geld zu kommen. Doch kommt Zeit, kommt Rat, so dachte sie sich und wartete nun in aller Ruhe ab, dass man sie, die vermeintliche Magd, aus dem Zimmer holen würde.
Es dauerte auch nur noch wenige Minuten, bis sich die Tür öffnete und ohne dass der Mann näher auf sie achtete, drückte er ihr einen Beutel in die Hand und bedeutete ihr, ihn zum Schneider zu bringen.
Mit einem Lächeln entschlüpfte sie durch das Portal des Hauses und eilte zum Schneider.
Dort übergab sie ihm den Lohn.
Doch ein wenig traurig wurde es ihr doch ums Herz, denn nun hieß es sich zu verabschieden, sie hatte viel gelernt bei diesem Mann, doch wollte sie ihn nicht in die Verlegenheit bringen, dass sie bei ihm blieb nach diesem gewagten Tausch.
Mit leichtem Gepäck machte sie sich auf die Wanderschaft, um eine neue Tätigkeit zu finden. Und wenn sie ganz ehrlich war, so hatte sie auch längst genug vom langen sitzen in trüber Stube, über ein Stück Stoff gebeugt. Und jeder einzelne Nadelstich in ihre Finger dünkte sie schon, als hätte man ihr ein Schwert in den Körper gerammt.
So wanderte sie dem frischen, grünen Wald entgegen und aus der Ferne klangen Glocken hinter ihr her, die von dem freudigen Ereignis einer prachtvollen Hochzeit zeugten.
Das Hochzeitskleid oder die vertauschte Braut
Reesa
Jannine Wächter