Der Junge

 

Ruhm ist wirklich das Letzte, das sage ich euch!
Leider merkt man nur immer viel zu spät, was man sich damit antut, wenn man immer sein Bestes gibt. Will man nie wahrhaben, aber es bleibt eine Tatsache. Auch wenn es nun nach Eigenlob klingt, aber man braucht sich nur einmal das anzusehen, was mir vor gar nicht langer Zeit passiert ist. Setzt euch, macht es euch gemütlich, nehmt euch etwas zu trinken. Und dann lauscht meiner Erzählung, damit ihr davon lernt, dass Fleiß sich nicht lohnt, ganz im Gegenteil.

 

Ich habe mir über die Jahrhunderte einen gewissen Ruf aufgebaut, wenn es darum geht, Kinder von der Oberwelt in das Hügelreich zu holen. Mauern, Wachtposten, sogar Fallen, nichts kann mich aufhalten. Je größer die Hindernisse sind, desto einfallsreicher und ausgeklügelter werden meine Pläne. Aufgeben musste ich bisher noch nie und erwischt hat mich auch noch keiner. Ich denke, ich kann ohne wirklich zu prahlen von mir behaupten, ich bin der Beste unseres Volkes in diesem Fach. Natürlich kommen deswegen immer mal wieder Familien auf mich zu, um für Angehörige eine solide Ausbildung zu erbeten. Bisher hab ich das auch immer gern gemacht, schließlich ist ein derartiger Ruf ja auch eine Verpflichtung. Und seien wir ganz ehrlich, derartige Gefallen nützen mir ganz ungemein, das wollen wir ja auch nicht vergessen. Aber ich schweife ab.
Wie gesagt, ich habe dem Nachwuchs immer gern unter die Arme gegriffen. Dadurch habe ich ein paar sehr vielversprechende Mocha kennenlernen dürfen, mit denen ich immer noch ab und zu gern mal bei einem Humpen Heidebier etwas fachsimpele. Aber seit der Geschichte mit der Familie t'ielz habe ich dem komplett abgeschworen. Was sagst du? So schlimm kann das gar nicht gewesen sein? Pah, höre mir einfach zu, dann wirst du schon sehen, wie sehr du dich mit diesen Worten irrst.
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, am Anfang.
Ich wurde also gebeten, den Hoffnungsträger der Familie t'ielz unter meine Fittiche zu nehmen. Kein Problem, sagte ich großspurig, wird genauso wenig ein Problem wie bei den anderen vor ihm werden. Dachte ich zumindest. Aber ich sollte mich sehr irren.
Der Junge war ehrgeizig und sehr verwöhnt. Natürlich ist das nicht an sich etwas Schlechtes, aber seine Eltern müssen schon seit frühester Kindheit all seinen Launen nachgegeben haben. Zumindest verhielt er sich so, noch schlimmer als der Hügelprinz damals, Arkan. Wie, ihr wusstet nicht, dass ich auch ihn ausbilden sollte? Wer, wenn nicht ich, hätte das denn tun sollen? Natürlich prahle ich damit nicht so viel, ist der Gute doch keiner meiner Glanzschüler. Aber dann und wann kriegt er das ganz gut hin. Der junge t'ielz aber, der war ein ganz anderes Format. Und natürlich hat er sich auch nicht dazu herabgelassen, einfache Sachen als Einstieg zu probieren. Nein, er war ja schon perfekt und natürlich viel besser als ich, was er seinen Eltern dann auch beweisen wollte. So machten wir uns dann auf den Weg in ein obskures, kleines Königreich, werdet ihr noch nie von gehört haben. Musste dann natürlich direkt die Königin sein, der er das Kind rauben wollte, wie hätte es auch anders sein können. Bauern oder Kleinadlige waren ja unter seiner Würde.
Nun denn, zuerst dachte ich, er hätte wirklich etwas auf dem Kasten und sein Gehabe wäre bloß Theater. Nur ein paar Wächter, keine Fallen, die Mauern recht einfach zu überwinden, es sah nach einer doch relativ einfachen Sache aus. An den Wächtern schlichen wir uns dann auch problemlos vorbei, aber dann wurde es seltsam. Anstatt direkt in das Zimmer des Kindes zu gehen, sich den Kleinen zu schnappen und zu verduften, marschierte er geradewegs in den Thronsaal der Königin. Natürlich war sie wach, aber wenigstens waren keine anderen Menschen anwesend. Der Junge stellt sich also rotzfrech in den Thronsaal und fängt an, irgendwelche Ratespielchen zu veranstalten. Glaubt man es? Anstatt den einfachen Weg zu nehmen, fordert er die Mutter auf, seinen Namen zu erraten, ansonsten würde er ihr Kind holen. Ich hab gedacht, der spinnt jetzt völlig. Vor den Wachen hatte ich keinerlei Angst, mit denen wären wir schon fertig geworden, aber eigentlich versuchen wir ja, derartige Unternehmungen so unauffällig wie möglich zu halten. Zumal ich persönlich zwar den Nervenkitzel genieße, wenn es an die Überwindung von Fallen oder Wächtern geht, aber Grausamkeit lehne ich strengstens ab. Das gehört sich nicht. Nun ja, der Junge stolziert also noch ein wenig herum und weidet sich an der Not der Königin, dann setzt er ihr ein Ultimatum. Wenn sie bis zur nächsten Nacht seinen Namen nicht weiß, würde er ihr Kind holen. Eingebildeter Fatzke, als ob die nicht in der Zeit die Sicherheitsvorkehrungen verstärken würden. Aber nun gut, wir verschwanden dann erstmal wieder aus dem Schloss und haben uns einen Lagerplatz gesucht. Bin zwar nicht so wirklich der Freund von Camping, aber abbrechen konnte ich die Unternehmung jetzt auch nicht, seine Familie hätte das nie verstanden. Die sind irgendwie seltsam, sehen den Knaben nur durch eine rosarote Brille. Entweder das, oder die sind ständig derart volltrunken, dass sie nichts mehr mitbekommen.
Nachdem wir also das Zelt aufgebaut und ein Feuerchen gemacht hatten, überließ der Junge mir die Kocherei und tanzte wie ein Idiot immer um das Feuer. Rundherum, immer weiter, bis mir der Kragen platzte, als er mir beinahe den Braten auf den Boden geworfen hätte mit seiner Hopserei. Daraufhin ging ich etwas weg vom Feuer, um in Ruhe das Abendessen zubereiten zu können. Sein Gesinge konnte ich dann auch noch ignorieren, wenigstens hat er nachher beim Essen den Mund gehalten. Könnte aber auch daran gelegen haben, dass ich den schweren Eichenknüppel, der da beim Feuer herumlag, recht intensiv angeschaut habe.
Danach wollte er dann noch "um die Häuser ziehen", aber ich konnte mich dann doch durchsetzen und wir gingen schlafen. Immerhin mussten wir ja in der nächsten Nacht fit genug sein, um die zusätzlichen Vorkehrungen zu überwinden, die uns der dumme Junge eingebrockt hatte mit seinen Spielchen.
Ha, ihr lacht. Klingt ja auch komisch, nicht. Aber könnt ihr euch vorstellen, wie das war? Mit einem derartigen Früchtchen zusammen loszuziehen? Nicht mehr ganz so komisch, oder? Ha, das dachte ich mir.
Naja, die Stunde der Wahrheit nahte und wir machten uns auf, seine Forderung einzulösen. Wieder kamen wir recht gut an den Wachen vorbei und erstaunlicherweise konnte ich keinerlei Fallen bemerken. Aber die waren bestimmt rund um das Zimmer des Kindes angebracht. Wir aber gingen wieder in den Thronsaal. Grinsend baute sich der Junge vor der Königin auf, tanzte ein wenig hin und her und wiederholte dann seine gestrige Forderung. Er war so damit beschäftigt, sich toll vorzukommen, dass er das Lächeln auf dem Gesicht der Königin gar nicht bemerkte, mich allerdings beunruhigte es ungemein.
"Ihr heißt Rumpelstilz, richtig? Nett euch kennenzulernen."
Seine Gesichtszüge entgleisten und er erstarrte.
"Aber wie ... nun ja, Rumpels t'ilz heiße ich, aber wie ..."
Der Junge begann nun, sich wirklich aufzuregen, kreischte schrill und sein Gesicht färbte sich rot vor Wut. Bevor er aber irgendwie beleidigend werden konnte, habe ich ihn mir geschnappt und verschwand aus dem Schloss. Da sieht man es mal wieder, Übermut tut nie gut und verkompliziert nur alles. Ich hab das alles dann haarklein seinen Eltern berichtet, die etwas erschüttert waren. Seitdem habe ich nie wieder etwas von der Familie gehört. Aber seitdem bin ich sehr vorsichtig, noch mal jemandem einen Gefallen zu tun und ihre Sprösslinge unter meine Fittiche zu nehmen. Verständlich, oder?

 

Ende

 

Der Junge
Feach e'dhelcú
Bernd "Camo" Meyer

 

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Stand:26.01.2012