Als die Götter riefen

 

Dies ist Arkans und Leiahnas „Vorgeschichte“, wie sie zum Fest des Friedens nach Magira gekommen sind. Natürlich war alles nur ein Traum ?

Nach der Hektik eines langen Tages hatte sich das Prinzenpaar schon früh in seine Gemächer zurückgezogen und schlief nun tief und fest.
Obwohl es ein wunderschöner Sommertag gewesen war, wich er einer merkwürdigen Nacht.
Niemand, nicht einmal die Weisesten unter den Hügelvölklern vermochten zu bestimmen, was nicht in Ordnung war. Der ewige volle Mond ging auf, wie schon so viele Male zuvor, um am sternenübersähten Himmel seine Bahn zu ziehen. Und doch schien es, als würde das gesamte Reich Mochs den Atem anhalten, in Erwartung etwas Großem, etwas Unfassbarem.

Nur in einer einfachen Bauernkate, weit vor den Toren Cor Dhais, äußerte ein Kind einen vagen Verdacht.
„Vater,“ sagte es leise, als der Mann seinen Jungen zudeckte und ihm einen Kuss auf die kleine Stirn hauchte.
„Was hast du, mein Sohn?“
„Die Nacht heute macht mir Angst, sie ist nicht wie andere zuvor. Sie ist ... so unheimlich.“
Der Mann kniete sich neben das Kinderbettchen.
„Warum sagst du so etwas?“ fragte er mit einem kaum merklichen Zittern in der Stimme. Auch ihm war nicht verborgen geblieben, dass Dinge geschahen, die nicht natürlich waren. Doch hatte er, so wie alle anderen neben ihm auch, geschwiegen, dachte er doch, dass er der Einzige wäre, der diese dumpfe Furcht verspürte.
„Schau,“ murmelte sein Stammhalter, schon beinahe schlummernd, „der Mondvogel...“
„Was ist mit dem Mondvogel, kleiner Mann?“
„Er ...singt .... nicht... Hat er Angst...?“
Zu einer Antwort kam der Bauer nicht mehr, denn sein Sohn war eingeschlafen, wie es denn nur Kinder können, mitten in der Rede einfach ins Reich der Träume zu gleiten.
Die ruhigen Atemzüge des Kleinen verrieten dem Mocha, dass es seinem Kind gut ging.
Auf leisen Sohlen verließ er die Stube, öffnete die Tür seines Hauses und betrat den Hof. Ein großer, voller Mond prangte am mitternachtsblauen Himmel. Mit geübtem Blick suchte der Mann den guten Geist seiner Familie, den nur eine Handspanne großen, silbern leuchtend gefiederten Vogel. Schnell hatte er ihn ausgemacht. Dort saß er, auf dem höchsten Ast der alten Eiche, die sich träge im Nachtwind wiegte.
Doch anstatt dem silbergrauen Antlitz am Himmel sein Lied zu singen, wie es sonst seine Art in solchen Nächten war, hatte er nur angstvoll sein Schnäbelchen aufgerissen, und aus schreckgeweiteten, unnatürlich großen Augen starrte das Tierchen in Richtung der Stadt.
Der Bauer folgte seinem Blick und erstarrte, einen leisen Fluch zwischen den Zähnen zerbeißend.
Denn dort, wo er eigentlich in solch einer klaren Nacht die schlanken Türme der Hauptstadt hätte ausmachen können, war nichts weiter als grauer Nebel, der direkt aus dem Firmament zu fließen schien, um sich gleich einem Leichentuch über Cor Dhai zu legen.

Langsam ging er rückwärts zum sicheren Haus. Gleich morgen würde er in die Stadt eilen, um von seinen Beobachtungen zu berichten. Nicht mehr heute, aber gleich morgen.....

Ein warmer Sommertag neigte sich dem Ende. Leiahna hatte den ganzen Tag am neuen Gewand des Prinzen genäht. Tief in ihre Arbeit versunken, hatte sie gar nicht bemerkt, wie spät es schon war. Als sie nach langer Zeit wieder zum Fenster sah, war es bereits dunkel. Nun merkte sie auch, wie müde sie war und legte ihr Tagewerk bei Seite.
„...ein wenig frische Luft, und dann zu Bett...“ dachte Leiahna bei sich und verließ ihr Gemach. Auf der großen Terrasse des Kristallpalastes wollte sie die laue Vollmondnacht genießen.
Als sie die großen Flügelfenster öffnete, hielt sie plötzlich inne. Eine seltsame, unheimliche Kälte überfiel sie und ließ sie schaudern. Langsam betrat sie die riesige Terrasse. Eisig fuhr es ihr durch Mark und Bein.
“Bei Moch, ..was geht hier nur vor? ...Ein Unwetter?“
Sie schaute sich um, schaute nach oben, den Vollmond zu suchen. Der Himmel war wie nebelverhangen und schien nicht zu enden. Es war weder dunkel noch hell. Wo Leiahna auch hinsah, alles verschwand in einem unwirklichen Grau. Und, - obwohl eigentlich Vollmond war, konnte man auch den Mondvogel nicht hören. Es war still, so unendlich still, dass Leiahna ihr Herz laut schlagen hörte.
„Was für eine grauenvolle Nacht .,.“ dachte sie und flüchtete von der Terrasse. Hastig schloss sie die Fenster, lief in ihr Zimmer und verkroch sich, immer noch fröstelnd, ohne sich umzukleiden in ihrem Bett.

Ein leiser Wind ging durch das Gemach der Eheleute und die schweren Vorhänge bewegten sich sacht in der Brise.
Arkan schlug die Augen auf. Doch nicht sanft war sein Erwachen, eher so als habe ihn etwas bis ins Mark erschreckt.
Es war bedrückend schwül und der Schweiß rann ihm in stetem Strom über Gesicht und Körper. Hatte er einen bösen Traum gehabt? Er wusste es nicht zu sagen. Doch war da eine unbestimmte Angst, welche nicht weichen wollte. Ein rascher Blick zur Seite versicherte ihm, dass seine Gattin in tiefem Schlummer lag. Zuerst war da der Drang sie zu wecken, ihr zu erzählen, dass etwas ihm Furcht bereite, doch eine Bewegung, nur in seinem Augenwinkel, ließ ihn abhalten von seinem Vorhaben. An den großen geöffneten Fenstern des Raumes stand eine kleine gebeugte Gestalt, sich schwer auf einen knorrigen Eichenstab stützend.
Der Herrscher der Tuach na Moch schlug vorsichtig die Decke zurück und ging langsam, immer einen plötzlichen Angriff erwartend, auf die unheimliche Gestalt zu.
Diese jedoch verharrte stumm vor den geöffneten Fenstern. Als Arkan sich ihr bis auf wenige Schritte genähert hatte, da wandte sich der Besucher um zu ihm. Silberweiße Haare umspielten wie ein feiner Schleier das Gesicht des Fremden, so dass der Prinz das Antlitz nicht erkennen konnte.
„Wer bist du?“ fragte er heiser, während ihm trotz der Schwüle ein eiskalter Hauch den Rücken hinunterwanderte.
„Mein Name ist nicht wichtig,“ war die Antwort und der Mocha hatte den Eindruck, als würde die Stimme aus brüchiger Borke geformt werden, „Nur mein Auftrag, für den ich gekommen bin, ist von Wichtigkeit!“
„Bist du ein Gott?“
Die Gestalt lachte leise und verfiel in ein kratzendes Husten.
„Nein, ein Gott bin ich mit Sicherheit nicht. Nie würde mir in den Sinn kommen mir solch ein schweres Amt aufzubürden. Doch komm zum Fenster, ich habe dir etwas zu zeigen.“
Arkan zuckte zusammen, als er die Hand bemerkte, die ihm zu winkte. Beinah fleischlose Finger, über die straff eine von Altersflecken übersäte, dünne Haut sich spannte, ließen ihn schaudern.
Aber er trat ans Fenster und blickte hinaus.
„Was siehst du?“ fragte der Alte leise, mehr zu sich denn zu Arkan.
Der Prinz rieb sich die Augen.
„Ich sehe einen hellen Sommertag. Im Garten tummeln sich Mocha und Geholte, sie spielen und singen. Allerorten ist Freude, Festlichkeit und Frohsinn. Dahinten ist meine Gattin und unser Sohn... Sie streiten schon wieder, aber nicht mit bösen Worten. Eher ein Wettkampf. Barden und Gaukler spielen auf und alles ist voller Freude.
Feach, mein treuer Waffenbruder und Sohn, ja selbst er lacht und tanzt mit seiner geliebten Frau aus der fernen Qunibosquie. Es ist ein Feiertag, das scheint gewiss.“
Der Besucher fasste den Prinzen sacht an der Schulter und dieser verspürte eine Kälte, wie sie nicht von dieser Welt sein konnte. Ihn schauderte.
„Nun schau auch hier heraus,“ forderte der Unheimliche.
Arkan tat wie ihm geheißen, und der Schreck schnürte ihm beinahe die Kehle zu. Nur mühsam und unter Tränen berichtete er von dem, was sich seinem Auge darbot.
„Ich sehe Feuer, Tod und Vernichtung. Die immergrünen Bäume, sie liegen gefällt am Boden, der aufgesprungen ist, als würde er von einer tückischen Krankheit heimgesucht werden. Meine Lieben, gemeuchelt auf der Erde, gemordet geschändet.
Höfe brennen und die Felder sind von Fäulnis befallen. Mein Volk ist auf der Flucht. Bis zu mir hinauf dringen die klagenden Stimmen meines gemarterten Reiches. Ich höre sie, doch ich vermag nichts zu tun.
Meine kleine Gemahlin steht vor einem einfachen Grab. Es ist meines. Und Leiahna legt ihr kein Kleid um die Schultern, sondern eine Rüstung von schwerem Metall. Etwas, was nicht sein darf, hat sich Zugang verschafft.“
Der Prinz schrak zurück. „Was ist dies, das du mir zeigst?“ verlangte er mit sich überschlagender Stimme zu wissen.
„Du bist an einem Scheideweg angelangt. Eine Entscheidung, jetzt? Nein, die will ich nicht von dir. Nicht jetzt und zu diesem Zeitpunkt. Es ist nur eine Einladung, nicht mehr und nicht weniger.“
„Eine Einladung kann ich ausschlagen, wenn mir danach ist.“
Wieder lachte der Fremde brüchig und seine knorrigen Hände malten magische Runen in die Luft, die sich zu waberndem Licht verbanden.
Und als er die Schrift beendet hatte, formte sich aus dem Nichts ein Pergament, welches die Zeichen wie eingebrannt trug:


Der Leviathan blendet den Naga
Der Bauer ringt mit der Sühne
Die Erscheinung der Sphäre ist gewaltig

Arkan fing das Papier auf, bevor es sacht zu Boden glitt. Er las das Geschriebene, doch er verstand es nicht.
„Wer bist Du?“ wisperte er, die Antwort seines Gegenübers fürchtend.
Ein sachter Wind fuhr durch den Raum und hob den Schleier von silbernem Haar. Und Arkan erkannte mit Entsetzen sich selbst, um Äonen gealtert.
„Du Narr,“ brüllte er sich an, nicht länger mehr war die Stimme brüchig und kraftlos. „Ich bin du, erkennst du es endlich?!! Nimm meine Botschaft und mach dich auf den Weg!!“
Und mit diesem Befehl verging die Gestalt, wie der Tau der in der Morgensonne stirbt und zu Nebel wird...

Leiahna hatte die Decke über ihren Kopf gezogen und fiel bald in einen tiefen Schlaf.
Ein dunkles Kellerverlies. Auf einem Strohlager ein geschundener, nahezu lebloser Körper. Davor hockt zusammengekauert ein kleines Mädchen. Sanft streichelt es die Hand der Liegenden:
„Mutter?.... Oh Mutter, was ist mit dir?... warum sagst du nichts??... Du schläfst schon so unendlich lange.... Ich habe solche Angst...“
Zitternd und weinend legt das kleine Mädchen den Kopf auf die regungslose Hand.
Plötzlich dringen liebliche Gesänge an ihr Ohr. Eine wohlige Wärme umschließt sanft den kleinen Körper. Diese Wärme kennt sie! Und der Gesang lässt alle Angst verfliegen.
„Mutter!!“ jubelt die Kleine auf, hebt den Kopf und sieht die nahezu unwirkliche Gestalt einer wunderschönen Frau neben sich. Sie scheint fast nicht greifbar und doch fühlt das kleine Mädchen, wie diese sie sanft in die Arme nimmt und mit unglaublich schönen Melodien wiegt. Dann verstummen die Lieder und eine sanfte Stimme flüstert ihr zu:
„Leiahna, mein Kind, höre nun gut zu. Hab keine Angst mehr, alles Schreckliche hat bald ein Ende. Moch wird deine Mutter zu sich holen in sein Reich. Nie wieder wird sie Qualen erleiden. Und du, mein Kind, auch du wirst erlöst.“
Weit in der Ferne tauchen plötzlich Schritte auf. Der Widerhall der dicken Steinmauern verrät schon früh, dass sich jemand zügig nähert.
„Du wirst behütet aufwachsen, vieles lernen und eines Tages vor großen Aufgaben stehen.“
Die Schritte werden immer lauter. Stimmengewirr hallt bedrohlich durch das Kellerverlies. Die Frau steht auf,... und, ... und verschwindet in einem zarten Nebelhauch.
„Geh nicht weg!!! Nimm mich mit!!!“ schreit das kleine Mädchen verzweifelt. Da fliegt mit lautem Getöse die schwere Holztür auf....

Schweißgebadet schrak Leiahna hoch. Sie kannte diese Bilder, die sie oft nachts nicht schlafen ließen, aber diese Gestalt? Wer war sie? Alles war so real, aber diese Gestalt hatte sie noch nie gesehen, - oder doch?? Sie atmete tief durch, krampfhaft bemüht sich zu beruhigen.
Da! Ein Geräusch!
„Ich bin wach, ich bin wach, es ist alles in Ordnung!!“ hämmerten die Worte in ihrem Kopf und sie blickte um sich, in der Hoffnung zu erkennen, dass der Traum zu Ende war. Aber, war er das?... Es war kein Geräusch, was sie hörte: da waren sie wieder, die lieblichen Gesänge. Sanft und leise, doch erfüllten sie den ganzen Raum und zogen Leiahna wieder in ihren Bann. Ihr Blick schweifte durch das Zimmer. Direkt neben dem Fenster schien sich etwas zu bewegen. Wie in Trance verließ Leiahna ihr Bett. Den betörenden Klängen folgend näherte sie sich der wabernden Gestalt. Als sie das warmherzige Gesicht des geisterhaften Wesens sah, sank sie weinend zu Boden.

Der Prinz schrak hoch. Bis zum Halse schlug ihm sein Herz. Noch immer hielt ihn der Alptraum in seinen eisigen Klauen. Da fiel sein Blick auf die Bettdecke und es durchfuhr ihn siedendheiß. Dort lag das unheimliche Pergament aus seinem Traum und die Schriftzeichen schienen geheimnisvoll zu glühen. Wie in Trance griff er nach dem Papier, verließ das Schlafzimmer und einem geheimnisvollen Rufe folgend, führte sein Weg ihn in Richtung Garten, um dort in der Nachtluft seinen Kopf klar zu bekommen.
Doch er sollte enttäuscht werden.
Denn anstelle einer warmen Sommernacht, umfing ihn eine Eiseskälte, welche seinen Atem weiß sichtbar machte und ihn frösteln ließ. Doch er lief weiter.
Plötzlich bemerkte er ein sanftes Schimmern, das aus den Tiefen des ältesten Teils des Parks zu kommen schien.
Mit ruhigem, beinahe bedächtigem Schritt ging er auf die Quelle des Lichtes zu, und als er den Ursprung erreicht hatte, da stockte ihm der Atem. Denn inmitten eines kleinen Steinkreises, den er zuvor hier noch nie bemerkt hatte, da ruhte, mit Seilen wie von Elfenhaar vertäut ein prachtvolles Flugschiff. Das awyren war von einer traumhaften Eleganz. Über den sanft geschwungenen Rumpf des Bootes tanzten bläuliche Ströme von machtvoller Magie. Die Kraftlinien, auf denen es sich bewegte, schienen aus dem Licht des Regenbogens selbst zu bestehen und geradewegs in den dunklen Nachthimmel zu führen.

„Geh deinen Weg, Leiahna!“ hörte sie die sanfte Stimme wie aus der Ferne rufen, als sie auf dem Boden ihres Gemaches mit vom Schweiß völlig durchnässter Kleidung zu sich kam.
Noch immer weinte sie leise, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
Mühsam stand sie auf und bemerkte ein Stück Pergament in der Hand. Sie war völlig benommen, doch ihre Hände rollten das Schriftstück sorgsam zusammen.
„Geh deinen Weg!“ waren die einzigen Worte, die sich in ihrem Kopf immer und immer wiederholten. Leiahna legte das Pergament auf ihren Schreibtisch, ging zum Waschtisch, füllte die Schüssel mit Wasser, schöpfte mit beiden Händen danach und ließ das erfrischende Nass über ihr Gesicht laufen. Dann zog sie in ein neues Gewand an, legte ihren langen Pelzmantel um die Schultern, nahm die Schriftrolle wieder an sich und, mit der Gewissheit, das Richtige zu tun, verließ sie ihr Gemach.
Zielstrebig führte sie ihr Weg wieder auf die Terrasse. Noch immer bot sich ihr das Antlitz dieser unheimlichen Nacht. Fest in den warmen Mantel gehüllt, ging sie weiter in den Garten.
Ganz weit hinten im alten Teil des Parks sah sie ein helles Leuchten.
„Geh, Leiahna!“ hörte sie wieder die Stimme, und ohne zu zögern lief sie dem Lichtschein entgegen.
Ein prächtiges Luftschiff baute sich vor ihr auf. So etwas Prunkvolles hatte sie noch nie gesehen. Sie lief den kostbar verzierten Steg hinauf und drehte sich um, als sie Schritte hörte.

Auf einem mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Steg stand wartend eine hoch gewachsene, junge Frau. In ihrem langen wallenden Haar hatten sich Eiskristalle gebildet. Ihre schlanke, feingliedrige Hand hielt ein Papier, ganz ähnlich dem seinen. Es war Leiahna, die Herrin der Gewänder.
Zaghaft lächelnd trat er auf sie zu, denn noch immer war ihm nicht klar, ob er nun träumte oder dies bereits Wirklichkeit war.
„Leiahna, teuerste Freundin,“ sprach er sie an, während er gleichzeitig seine Rechte hob und ihr das Schreiben zeigte. „Habt Ihr auch heute Nacht einen unheimlichen Besucher gehabt, der Euch so etwas übergab?“
Sie nickte nur, und diese Antwort sagte ihm mehr als alle Reden und Erklärungen.
Sie begaben sich an Bord des Flugschiffes, und kaum hatten ihre Füße die aus edlem Holz gefertigten Planken berührt, da lösten sich wie von Geisterhand die Taue und das awyren erhob sich lautlos in den Nachthimmel.
Am Achterdeck stand eine dunkle Gestalt. Das Gesicht verborgen hinter der schweren Kapuze ihres Umhangs, hielt sie mit festem Griff das Ruder. Wohl brannte die Neugier in Arkan zu erfahren, wer der Geheimnisvolle war, doch hütete er sich wohl ihn anzusprechen. Etwas Machtvolles ging von ihrem Kapitän aus, - Ehrfurcht gebietendes.
Wie lange sie unterwegs gewesen waren, wusste am Ende keiner der beiden Mocha zu sagen. Doch das Ziel war die Treppe aus Kristall, an deren Fuß das Schiff sanft aufsetzte. Die Halteseile schlangen sich wiederum von selbst um die bereitstehenden Pfähle und lautlos erschien der Steg, um die Passagiere zu Boden gelangen zu lassen. Als sie die sichere Erde erreicht hatten, wandten sich Leiahna und der Prinz noch einmal um zu ihrem zauberischen Gefährt, und vor ihren Augen wurde es durchscheinend, verlor mehr und mehr an Substanz, bis es sich mit einem leisen Seufzer in Nichts auflöste.
Und es war richtig so.
Die Treppe vor ihnen wand sich schier endlos ins nächtliche Firmament, so hoch, dass man ihr Ende nicht ausmachen konnte. Leiahna setzte den Fuß auf die erste Stiege und gemeinsam machten sich die beiden an den beschwerlichen Aufstieg.

Eigentlich hätten sie erschöpft oder zumindest außer Atem sein müssen, nachdem sie die mehr als 1000 kristallenen Stufen erklommen hatten. Aber sie verspürten nichts dergleichen. Vielmehr fühlten sie sich ausgeruht und wachen Geistes.
Hier standen die beiden nun vor dem prächtigsten Tor in die Oberwelt, mit dem das Reich Mochs aufwarten konnte. Zwei riesige Eichen, deren Alter man in Jahren nicht mehr ermessen konnte, umrahmten ein schweres aus einem einzigen Stück Granit gehauenes Portal. Unzählige Runen waren darauf zu lesen. Manche seit dem Anbeginn der Zeiten, andere aber auch erst vor kurzem erschienen. Sie alle erzählten von Reisen, von Schicksalen und Abenteuern derer, die jemals diesen Weg gewählt hatten.
Die Legenden berichten, dass, sollte irgendwann einmal kein Raum mehr auf dem gigantischen Stein sein, würde dieser auf die kristallene Treppe stürzen, sie mit sich in die Tiefe reißen und so diesen Zugang zur Oberwelt für immer verschließen.
Leiahna und Arkan begannen beide die uralten Formeln zu sprechen. Wie von selbst sprudelten die Worte gemeinsam über ihre Lippen, und die Zeichen im Stein glühten auf. Die Luft um sie herum knisterte vor magischer Kraft. Doch als sie beinahe ihre Beschwörung beendet hatten, da mischte sich eine dritte Stimme unter die ihren. Entsetzt starrten beide sich an, unfähig ihrem Gesang Einhalt zu gebieten. Es unterlag nicht mehr ihrem Willen etwas zu tun oder aber zu lassen. Schneller und schneller entflohen die Verse ihren Mündern, mischten sich mit nie Gehörtem, niemals Gesprochenem.
Dann war es still. Das Lied verklang und die Runen glosten in einem blendenden Weiß. Gerade wollte Arkan etwas sagen, da erzitterte der Boden durch einen gewaltigen Donnerschlag. Ein Tor brach sich Bahn, wie sie es noch nicht einmal aus den Mythen her kannten. Zuerst war da nur eine kleine Öffnung im schwarzen Stein, ein Loch gefüllt mit flüssigem Feuer. Doch breitete es sich schnell aus und schuf einen Kreis, vielleicht zweieinhalb Klafter hoch. Flammen leckten an seinen Rändern und die beiden Mocha erkannten, dass es ein unendlich scheinender Tunnel war, an dessen Wänden rundum Feuer loderte.
Da erfasste sie es mit Urgewalt, und ohne die geringste Chance zu haben sich auch nur im Entferntesten zur Wehr zu setzen, wurden sie in den Tunnel gerissen.

Stimmengewirr.....
Der Duft von Gebratenem, von hunderten Gewürzen. Aber auch der Geruch vieler Menschen und Kreaturen, wie sie es nur auf einer Welt wie Magira geben konnte.
Überall fremde Gesichter, aber auch bekannte Personen, ob nun Freund oder Feind. Sie alle aber hatten etwas gemein. Es lag eine Verwirrtheit in ihren Augen, so als stellte ein jeder sich die Frage:

„Wo bin ich?“

 

Ende

 

Als die Götter riefen
Arkan und Leiahna
Eberhard „Ebus“ Schramm und Anja Holz

 

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Stand:30.09.2010