Fiacha-Story, Teil 2
Fiacha ließ sich ganz von ihrem Gefühl leiten. Ihre Wanderschaft führte sie durch die seltsamste, aber wohl auch schönste Gegend des Hügelreiches. Sie lernte noch mehr Tiere und Pflanzen kennen, - und sie sog die neuen Informationen begierig auf. Sie konnte Ewigkeiten damit verbringen, einen Cachu-Baum beim Wachsen zuzuschauen oder den Flug eines Gorrowinn zu verfolgen. Wanderer, denen sie hier und da mal begegnete, erzählten ihr, daß sie von besonderem Jagdglück beschieden sei, da sie einen Gorrowinn hatte gleiten sehen. Obwohl sie nicht auf der Jagd war, lächelte Fiacha zufrieden, denn für sie war es ein gutes Omen hinsichtlich ihrer Suche nach dem magischen Jagdbogen. Sie erfuhr auch, daß der Jagdbogen einen Namen hatte, nämlich "Cu'Dor". Und es bestätigte sie in ihrem Glauben, daß es diesen Bogen wirklich geben mußte.
So wanderte sie den Sereg Ran, dem Blutenden Wanderer, entlang, bis sie schließlich nach Cor Finias kam.
Um irgendwann einmal in die Oberwelt zu können, so hatte sie überlegt, mußte sie in der Lage sein, die Tore zu benutzen, - und das konnte sie nur in einer Stadt.
Kaum daß sie Cor Finias betrat, spürte Fiacha ein kurzzeitiges Aufbäumen in ihrem Bewußtsein. Sie wußte, daß es ihre Zeitmagie war, die sich da in ihr regte, aber sie war verwirrt über die Heftigkeit, mit der sie durchkommen wollte. Fiacha schloß kurz die Augen und atmete tief und gleichmäßig durch, um sich zu beruhigen. Vor ihren geschlossenen Augen entstand ein Bild von einem etwa zwei Fäusten großen bläulich schimmernden Kristall.
'Ein cystìrach !' schoß es Fiacha durch den Kopf, und ihr wurde leicht schwindelig, als sie ihre Augen wieder öffnete. Was sie da gesehen hatte, war einer der sieben Cystìre, die Cor Finias umgaben, und Fiacha war überwältigt von seiner Schönheit. Als sie die Augen erneut schloß, in der Hoffnung den Kristall noch einmal zu erblicken, war das Bild jedoch wieder verschwunden.
Etwas enttäuscht ging sie weiter.
Ihre empfindlichen Ohren benötigten einige Zeit, bis sie sich an den Lärm der Stadt gewöhnt hatten, aber dafür waren Fiachas Augen weit vor Staunen geöffnet. In einem Dorf außerhalb der Stadt großgeworden, erschien ihr Cor Finias einfach riesig.
Die überwiegend hellen Gebäude der Stadt waren flach und breit, die niedrigen Dächer schienen golden zu glänzen. Verzierte Treppenaufgänge schmückten den Eingang eines jeden Hauses, und hier und da hatten die Bewohner sogar kleine Bäumchen oder Sträucher gepflanzt.
Die gepflasterten Straßen waren breit und sehr belebt. Neben den Straßen liefen steinerne Rinnsale entlang, die wohl dazu dienten, bei Regen das Wasser aufzufangen und somit eine Überflutung der Straßen zu verhindern. (Es regnete eigentlich nicht sehr oft im Hügelreich, aber Fiacha vermutete, daß die Straßenkonstruktion noch ein Vermächtnis aus vergangener Zeit war.)
Manche der Häuserwände waren bunt bemalt, und als Fiacha die Bemalungen näher studierte, mußte sie lachen: Offensichtlich hatten sich hier Nachbarn gegenseitig die Wände beschmiert und somit bestimmte "Nachrichten" übermittelt. So konnte Fiacha zum Beispiel an einer Wand eine Szene erkennen, bei der ein Mann mit einem etwas zu großem Krug in der einen Hand und einer Schere in der anderen einem anderen Mann die Haare abschnitt. Auf dem Haus gegenüber sah sie eine ähnliche Szene, nur daß der Mann mit kurzem Haar einem Mann mit langem Haar nunmehr den Bart abschnitt.
Wahrscheinlich war hier eine freundliche Nachbarsfehde im Gange, bei der die Beteiligten sich im Rausch gegenseitig Haare und Bärte stutzten.
Auf anderen Häuserwänden sah man Bilder von Festen, Hochzeiten oder Geburten. Manche der Malereien waren schon etwas älter als andere. Für Fiacha stand fest, daß diese Hausmalereien dazu dienten, die Nachbarschaft über bestimmte Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Und abgesehen davon sahen die ansonsten weiß getünchten Häuser nunmehr bunt und fröhlicher aus.
Die Leute, denen Fiacha begegnete, waren ebenso bunt gekleidet und strahlten eine ihnen eigene Fröhlichkeit aus. Und als sie sich einem großen Platz näherte, bemerkte sie sogar einige Barden und Spaßmacher, und sie hielt sich einige Zeit dort auf, um ihnen zuzuschauen. Ebenso verweilte sie lange bei einem Geschichtenerzähler, und da Fiacha kein Gold oder Edelsteine besaß, um ihn für seine Geschichten zu bezahlen, überreichte sie ihm eine Handvoll Waldkräuter. Der Mann nickte ihr dankend zu, roch an den Kräutern und hob erstaunt die Augenbrauen.
"Die sind ja frisch," bemerkte er.
Fiacha lächelte.
"Ja, und ich hoffe, sie werden Euch wohl bekommen," erwiderte sie höflich. Der Geschichtenerzähler grinste breit, und Fiacha verneigte sich kurz, bevor sie weiterging.
Lautlos schwebten fliegende Schiffe über der Stadt, und Fiacha hielt kurz inne, um auch sie genauer zu betrachten. Zwar hatte sie über ihrem Dorf hier und da diese Schiffe schon gesehen, aber noch nie zuvor hatte sie sie aus der Nähe betrachten können. Es waren sehr schöne Schiffe dabei, wundervoll verarbeitet und verziert und mit eigenartigen Segeln bestückt. Fiacha fragte sich, welche Art von Magie diese Schiffe vorantrieb, und ob man das so einfach erlernen könnte.
Doch bevor sie diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, wurde sie unsanft angerempelt. Sie wandte sich blitzschnell nach dem Missetäter um, - und erstarrte beim Anblick des Mannes der da vor ihr stand. Er war definitiv nicht von ihrem Volk, denn er hatte weder die spitzen Ohren, noch die kleine Statur. Er war, so schätzte Fiacha, mindestens drei Köpfe größer als sie, trug einen langen blauen Umhang und darunter fremdartige Kleidung. Sein langes Haar war grau, obwohl er gar nicht so alt zu sein schien. Die Augen, die auf sie herunterblickten, waren grau-grün und Fiacha hatte den Eindruck, darin einzutauchen. Diese Augen, so schien es ihr, konnten in ihre Seele schauen, - und sie schauderte bei dem Gedanken.
Die Stimme des Fremden war tief und sonor, als er sagte: "Entschuldigt bitte. Ich hoffe, ich habe Euch keinen Schaden zugefügt?" Und mit einer Hand wies er auf den Dolch, der an seiner Hüfte baumelte.
Als Fiacha den Kopf schüttelte, fuhr der Mann fort: "Es tut mir leid, aber," er räusperte sich verlegen und setzte ein entschuldigendes Grinsen auf, "aber ich habe Euch nicht gesehen. Ihr seid, hhm," und er blickte Fiacha prüfend an, "Ihr seid kleiner als die meisten Leute hier in der Stadt."
Fiacha gab ihm immer noch keine Antwort.
"Und noch sehr jung, nicht wahr ?"
Aber Fiacha starrte ihn immer noch an.
"Seid Ihr neu in der Stadt?" fragte er weiter und fügte mit einem schiefen Grinsen hinzu: "Offenbar seid Ihr meiner Sprache nicht mächtig, wie ?"
Als Fiacha ihm immer noch nicht antwortete, runzelte der Mann die Stirn.
"Verzeiht meine Unachtsamkeit und Unhöflichkeit," fuhr er mit der Entschuldigung fort. "Mein Name ist Jethro Cunack!"
"Ich...ich heiße Fiacha," brachte sie nun endlich heraus. Dieser Mann war ein estron ! Sie sprach tatsächlich mit einem Oberweltler! Und außerdem war da noch etwas Eigenartiges an ihm, das sie nicht genau bestimmen konnte, - eine Art Magie ? Ob er ein mächtiger Magier von der Oberwelt war ? Fiacha bekam weiche Knie. Bei Moch, dachte sie, ich spreche tatsächlich mit einem Oberweltler. Und er war noch nicht einmal ein Wechselbalg, das spürte sie. Was machte er hier ? Ob er ihr bei ihrer Suche nach dem magischen Jagdbogen behilflich sein konnte?
Ihre Gedanken wirbelten nur so durcheinander.
"Aha," sagte Jethro Cunack, "Fiacha. Sonst nichts weiter? Kein Familienname ? Keine Clanzugehörigkeit ? Nun denn, Fiacha, - es tut mir leid, daß ich Euch angerempelt habe.
Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen." Und er grinste wieder breit.
"Aber natürlich," erwiderte Fiacha und lächelte zaghaft.
"Danke!" Er verneigte sich kurz vor ihr. "Ich wünsche
Euch dann noch einen guten Tag!" Und er wandte sich zum Gehen.
"Einen Moment, Herr," rief Fiacha, und Jethro hielt inne.
"Ja ?"
Jetzt war es Fiacha, die sich räusperte, bevor sie fragte: "Seid Ihr aus der Oberwelt, Herr? Und könnt Ihr mir sagen, wie ich dorthin komme ?"
Jethro blickte sie erstaunt an. Nach einem kurzen Schweigen, lächelte er jedoch wissend.
"Ihr möchtet in die Oberwelt?"
Und Fiacha nickte heftig. "Ja!"
"Aber, bei Moch, wieso das denn ?" fragte er weiter.
"Das kann ich Euch nicht so sagen," antwortete Fiacha knapp.
"Soso, das könnt Ihr mir nicht so sagen, höchst interessant..." Jethro schaute sich suchend um: "Darf ich Euch zu einem Wein oder Bier einladen, Fiacha ? Ich kenne hier in der Nähe eine Schänke, wo wir uns ungestört unterhalten können. Ich glaube," und er grinste geheimnisvoll, "da gibt es noch einiges, das erklärungsbedürftig wäre."
Fiacha nahm die Einladung nach nur kurzem Zögern an.
Jethro schien sich wirklich gut in dieser Stadt auszukennen, und als Fiacha ihn darauf ansprach, erwiderte er lachend: "Eine Stadt sieht wie die andere aus, - vor allem, wenn man ein Wirtshaus sucht."
Fiacha fühlte sich zunächst etwas unbehaglich, neben diesem großen Mann herzulaufen, doch Jethro verlangsamte sein Tempo, so daß sie gut mithalten konnte.
Im Wirtshaus "Pendran" sah Jethro sich nach einem geeigneten Tisch um und steuerte dann zielstrebig auf eine Nische zu, sich mit einem kurzen Blick vergewissernd, daß die Tuach na Moch ihm auch folgte.
Die Lautstärke in der Schänke hielt sich in Grenzen, und Fiacha schätzte, daß es an der frühen Tageszeit lag. Es waren nur wenig Gäste zu sehen. An einem Tisch saßen drei Männer, ihrer Kleidung nach wohl Händler, die sich angeregt unterhielten, offensichtlich in Verhandlungen vertieft.
An einem weiteren Tisch saß ein alter Mann, der ständig leise vor sich hin murmelte und hier und da wie irre kicherte, wobei er einen Krug nach dem anderen leerte. Sein schlohweißes Haar stand in allen Richtungen, und seine Kleidung war schmutzig und zerrissen. Fiacha empfand Mitleid mit dem Mann. Ihr schien, als habe er etwas schreckliches erlebt, und dieses Erlebnis versuchte er jetzt zu ertränken.
Fiacha wandte ihre Aufmerksamkeit jedoch dem Wirt zu, einem breiten Mann mit einem langen Bart und einer Lederschürze bekleidet, der jetzt an ihren Tisch kam. Als er Jethro sah, grinste er über beide Ohren.
"Ah, Jethro Cunack, es ist eine Ehre Euch hier wieder begrüßen zu dürfen. Wünscht Ihr wie immer ?" Und er zwinkerte Jethro zu.
Dieser grinste zurück. "Grambor, alter Schwerenöter," sagte er fröhlich, "Aber ja, wie immer !" An Fiacha gewandt, fragte er: "Und was darf er Euch bringen ?"
Sie überlegte kurz. "Ein Bier, bitte !"
"Ihr habt gehört, Grambor, ein Bier für die junge Dame bitte." Und wieder an Fiacha gewandt, fragte er: "Möchtet Ihr auch etwas essen?'
Aber Fiacha schüttelte nur den Kopf.
"Ihr solltet aber Grambors Pilzpfanne mal probieren, - die ist wahrlich köstlich!"
"Nein danke, Herr, - aber, nun ja, ich habe kein Geld bei mir!" Fiacha konnte nicht verhindern, daß sie rot wurde.
Jethro grinste verschmitzt.
"Aber Fiacha, ich lade Euch doch ein!"
"Ja," antwortete sie verlegen, "aber Ihr sagtet, Ihr ladet mich zu einem Wein oder Bier ein. Von Essen war keine Rede!"
Nun schlugen sich sowohl der Wirt, als auch Jethro Cunack vor Lachen auf die Schenkel.
"Ist sie nicht amüsant?" japste der Oberweltler schließlich. Und an den lachenden Grambor gewandt, sagte er: "Bringt uns eine Pilzpfanne, Grambor."
Zunächst wollte Fiacha böse werden, denn sie hatte den Eindruck, daß die Männer sich über sie lustig machten. Aber das Lachen Cunacks war so ansteckend, daß sie unwill-kürlich schmunzeln mußte. Der Wirt ging, um das Bestellte zu holen, weiterhin amüsiert kichernd.
"Nun," begann Jethro Cunack, als er sich endlich beruhigt hatte, "ich hoffe, Ihr könnt uns diesen Ausbruch an Heiterkeit verzeihen. Aber Ihr solltet wirklich nicht alles so wörtlich nehmen, was jemand sagt. Ich lade Euch gerne ein!"
Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Wieder hatte Fiacha das Gefühl, Cunack könne durch sie hindurch sehen. Aber sie schüttelte das Gefühl ab.
"Ihr sagtet, Herr, daß einiges erklärungsbedürftig sei. Was genau meintet Ihr damit ?" fragte sie ihn schließlich.
"Tja, ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll," begann Jethro Cunack, "Ihr seid offensichtlich neu in der Stadt, und zudem noch sehr jung und unerfahren. Es ist nur, - ich spüre, wenn ich Euch so anschaue, daß Ihr, - wie soll ich sagen ? - irgendwie anders seid, als die Tuach na Moch, die ich bisher kennengelernt habe."
Er schaute jetzt nachdenklich drein.
"Seht," fuhr er fort, "ich kenne Euer Volk, und ich kenne Euren Prinzen sehr gut." Bei diesen Worten grinste er wieder geheimnisvoll. "Ich habe schon Eure Magie kennengelernt und weiß, wozu Euer Volk imstande ist. Was mich jetzt an Euch irritierte war, daß Ihr offensichtlich nicht nur die Zeitmagie Eures Volkes beherrscht, sondern da ist auch noch etwas anderes."
Fiacha sah ihn erstaunt an, unterbrach ihn jedoch nicht.
"In meiner Welt bin ich tatsächlich ein Magier," erklärte Jethro ihr.
Daraufhin nickte Fiacha.
"Ich habe es irgendwie geahnt, Herr," antwortete Fiacha.
"Jethro, - ich heiße Jethro ! Ja, seht Ihr, und das ist ja das Eigenartige an Euch: Ihr scheint außer der herkömmlichen Zeitmagie Eures Volkes noch etwas anderes zu können, das magischen Ursprungs sein könnte."
Und wieder war es an Fiacha erstaunt drein zu blicken.
"Wie, ich ?"
Und der Mann nickte.
Noch bevor Fiacha eine weitere Frage stellen konnte, kam Grambor mit den Getränken.
"Das Essen ist gleich fertig," sagte er, während er die Krüge auf den Tisch stellte. Fiacha stellte fest, daß das, was immer sich Jethro Cunack bestellt hatte, eigenartig roch. Ihre empfindliche Nase nahm den Geruch starken Alkohols wahr, jedoch konnte sie nicht genau feststellen, um welches Getränk es sich hierbei handelte. Sie vermutete jedoch, daß es ein Gemisch war.
Sie nickten Grambor dankend zu, und der Wirt ging wieder.
Fiacha und Jethro prosteten sich kurz zu, aber Fiacha nippte nur an ihrem Bier. Es war wirklich gewöhnungsbedürftig, das städtische Bier, fand sie. Das Bier, das ihre Mutter zuhause gebraut hatte, war weniger herb und hatte nicht diesen strengen Nachgeschmack.
"Na," meinte Jethro grinsend, "wenn Ihr weiter so an dem Bier nippt, ist es schal, bevor Ihr den Krug geleert habt."
Aber bevor Fiacha etwas darauf erwidern konnte, sagte er: "Ach, ich vergeß' es doch immer wieder. Ein wenig Zeitmagie, und - schwupps! - das Bier ist wieder frisch." Und er lachte laut auf.
"In meiner Welt würden die Wirte reich werden, wenn sie diese Magie beherrschten," versuchte er zu witzeln.
"Können die Menschen es denn nicht ?" fragte Fiacha schüchtern.
"Oh nein, junge Frau, das können sie nicht. Es gibt eigentlich gar keine Menschen, die Eure Zeitmagie beherrschen, außer... Na ja, ist auch egal!"
Er nahm wieder einen Schluck aus seinem Krug. Und schnalzte anschließend mit der Zunge.
"Nun, jetzt gälte es nur noch festzustellen, welche Art von Magie Ihr noch beherrscht," begann Cunack von vorne. "Aber mir scheint, es ist Euch noch nicht einmal bewußt, nicht wahr?"
"Nein," antwortete Fiacha. "Ich weiß es nicht !"
Jethro stellte ihr nun eine Menge Fragen bezüglich ihrer Herkunft, ihres Alters, und ihrer Wanderschaft. Anfangs beantwortete Fiacha die Fragen nur zögerlich, denn sie war sich zunächst nicht sicher, was der Magier mit seinen Fragen bezweckte. Doch sie entspannte sich nach kurzer Zeit wieder, denn sie spürte keinerlei Argwohn, sondern nur echtes Interesse.
Inzwischen brachte Grambor die dampfende Pilzpfanne und zwei Löffel dazu.
"Laßt es Euch schmecken," sagte er noch grinsend und ließ die beiden wieder allein.
Zwar war Fiacha nicht hungrig (sie war niemals wirklich hungrig), aber das Essen roch so gut, daß ihr das Wasser im Munde zusammenlief.
Jethro Cunack nahm einen Löffel und ermunterte Fiacha, es ihm gleich zu tun.
Vorsichtig nahm sie einen Happen, - und riß erstaunt die Augen auf.
"Das ist ja wirklich gut !" sagte sie kauend, und schob sich sogleich den nächsten Bissen in den Mund. Es waren, so befand Fiacha, die köstlichsten Pilze, die sie je gegessen hatte. Und Grambor hatte das Gericht offensichtlich mit einem guten Schuß Wein so verfeinert, daß die Pilze trotzdem ihren Eigengeschmack nicht verloren hatten.
Cunack grinste und tat es ihr gleich, - wenn auch nicht so hastig wie Fiacha. Er wußte, daß Tuach na Moch eigentlich nicht essen müssen, - aber er wußte auch, daß diese kleinen Wesen niemals ein gutes Essen ablehnten. Sie waren halt Feinschmecker, das Hügelvolk.
Zwischendurch fiel Fiachas Blick auf den alten Mann, der dort alleine am Tisch saß, und sie wurde mit einem Mal sehr traurig.
Jethro, der Fiacha aufmerksam beobachtete, folgte ihrem Blick.
"Ach ja, der gute alte Padror," sagte er sanft. "Ein armer Kerl, fürwahr!"
"Ihr kennt ihn?" fragte Fiacha erstaunt.
"Jeder in der Stadt kennt ihn und sein Schicksal," erwiderte Jethro.
"Was ist denn mit ihm passiert ? Er ist so, - so traurig!" Fiacha versuchte die Traurigkeit abzuschütteln, welche drohte sie zu überkommen.
"Nun," erklärte der Oberweltler, "Padror hat sich wohl zu lange im Schleier Mochs aufgehalten. Er war einmal ein Durchquerer gewesen, ein Trior. Aber nachdem er sich entschlossen hatte zu altern, hatte er offensichtlich dabei vergessen, daß seine Fähigkeiten mit zunehmendem Alter abnehmen könnten." Jetzt warf auch Jethro dem alten Mann einen mitleidigen Blick zu. "Er war nicht mehr in der Lage, die Reisenden zwischen den Städten ausreichend zu schützen. Es gab einige - hhm, wie soll ich sagen? - Vermißte in der Grauzone. Und er war sehr wahrscheinlich auch verantwortlich dafür. Aber vielleicht," fügte er nachdenklich hinzu, "hatte er auch Visionen, die wohl zu heftig für ihn waren. Es ist jetzt schwer, in seinem Gebrabbel etwas sinnvolles zu erkennen, wißt Ihr?"
"Schrecklich," murmelte Fiacha und schüttelte sich.
Jethro Cunack räusperte sich verlegen.
"Nun ja, mir scheint jedoch, daß er sich der Traurigkeit seiner Situation nicht mehr wirklich bewußt ist. Er ist alt und verwirrt, und seine Zeit scheint bald sowieso abgelaufen."
"Wie könnt Ihr nur so herzlos sein?" fragte Fiacha den Oberweltler entrüstet.
"Nicht herzlos," sagte Jethro lächelnd, "nur sachlich! Seht, Fiacha, - Padror hat ein sehr langes Leben hinter sich, - wahrscheinlich länger als Ihr, geschweige denn ich, ermessen könnten. Und er war der Meinung, daß dieses Leben jetzt, aus welchen Gründen auch immer, beendet werden muß. In meiner Welt, in der die Menschen eine viel kürzere Lebensspanne haben als Euer Volk, kann man sich den Zeitpunkt des Todes nicht selbst aussuchen. Die Menschen werden älter, ob sie es wollen oder nicht. Ihr und Euer Volk habt aber die Möglichkeit, den Zeitpunkt selbst zu wählen, denn Ihr seid die Kinder Mochs." Und mit einem Blick auf Padror gerichtet, fuhr er fort: "Und ich habe viele Menschen alt werden sehen, manche in Würde, manche verwirrt, und andere wiederum waren sehr, sehr krank bevor sie starben."
Fiacha hatte plötzlich das Gefühl, daß Jethro mit seinen Gedanken und Erinnerungen sehr weit weg war. Und ihr wurde klar, daß die Traurigkeit, die sie empfunden hatte, nicht nur vom alten Mann herrührte.
Sie schluckte und verdrängte das Gefühl.
"Nun," sagte Jethro nach einer kurzen Pause, "man weiß nur wenig über die trior. Sie sind in der Lage, den Wahnsinn von Reisenden zwischen den Städten abzuwenden, indem sie Illusionen hervorrufen. Zum Teil sogar sehr unterhaltsame Illusionen. Aber vielleicht ist der Preis am Ende doch zu hoch?"
Jethro Cunack atmete tief durch und nahm noch einen Schluck aus seinem Krug.
"Aber nun zu Euch. Das Talent, das Ihr zu haben scheint, ist - wie bereits erwähnt - für Euer Volk ungewöhnlich. Das erkenne ich an Eurer Aura. Sie unterscheidet sich in mancher Hinsicht von der eines Angehörigen Eures Volkes. Deshalb fragte ich nach Eurer Herkunft und Familie. Es hätte ja sein können, daß Ihr die Fähigkeit geerbt habt."
Fiacha seufzte. "Ich weiß es wirklich nicht! Mir hat niemand etwas davon gesagt. Außerdem wußte ich ja nichts davon bis ich Euch traf. Ich fürchte, daß ich Euch da nicht weiterhelfen kann."
"Ist auch nicht so wichtig," sagte Jethro mit einem Lächeln. "Wichtiger ist, daß wir herausfinden, welcher Art diese Magie ist, denn da Ihr Eure Magie nicht kennt, habt Ihr möglicherweise keine Kontrolle über sie. Magie kann zwar schaffend wirken, aber genauso auch zerstörend. Und es wäre insbesondere in Eurem Interesse, etwas über diese Magie herauszufinden. Meint Ihr nicht auch ?"
"Wahrscheinlich habt Ihr recht!" antwortete Fiacha nachdenklich. "Aber wie soll ich das machen?"
"Das laßt nur meine Sorge sein, Fiacha!" erwiderte Jethro aufmunternd. "Ich glaube, ich habe da eine Idee!"
Jethro führte Fiacha durch Cor Finias, während er geduldig ihre Fragen über die Oberwelt, die Magira genannt wurde, beantwortete.
"Es könnte Euch gefallen," sagte Jethro Cunack mit einem breiten Grinsen. "Die Tuach na Moch jedenfalls, die ich kenne, und die hier und da die Oberwelt besuchen, haben immer einen großen Spaß daran. Die Menschen verstehen Euren eigenartigen Humor oft nicht, und es kommt häufig zu Mißverständnissen." Und Jethro erzählte ihr Geschichten von solchen Begebenheiten und brachte Fiacha damit zum Lachen.
"Ja, das klingt wirklich lustig!" feixte sie. Und ihr Wunsch, endlich die Oberwelt zu besuchen, wurde nur noch größer.
"Aber," und plötzlich wurde sie etwas ernster, "da gibt es noch ein Problem. Ich muß erst noch die Erlaubnis bekommen, die Oberwelt zu besuchen. Und die bekomme ich nur vom Hügelprinzen." Fiacha schaute nun etwas frustriert drein. "Und an den heranzukommen ist so gut wie unmöglich!"
Jethros grau-grüne Augen blitzten amüsiert. "Soso? Es ist schwer, an den Hügelprinzen heranzukommen, was ? Laßt mich nur machen, Fiacha!"
Erstaunt blickte die kleine Tuach na Moch an Jethro hoch.
Dieser nickte grinsend.
"Ja, ja! Ich kenne den Hügelprinzen. Besser als mir manchmal lieb ist. Und den werden wir nämlich jetzt auch besuchen."
"Was?" Fiacha blieb abrupt stehen. "Wir besuchen....wir gehen zum...."
Der Mann hielt ebenfalls inne und nickte.
"Ja, wir besuchen jetzt Arkan E'dhelcu, den Hügelprinzen."
Als Fiacha ihn staunend anstarrte, drängte Jethro: "Kommt, oder wollt Ihr hier Wurzeln schlagen ?"
Fiacha beeilte sich dem Oberweltler zu folgen.
Fassungslos murmelte sie vor sich hin: "Ich glaub' es nicht! Erst treffe ich einen Oberweltler, - und jetzt gehen wir auch noch zum Palast des Hügelprinzen! Moch, heute muß ein schicksalsträchtiger Tag sein! Ob er mich wiedererkennt ?"
"Ob wer Euch wiedererkennt," erkundigte sich Jethro.
"Na, Arkan!" Und sie erzählte Jethro von ihrer Begegnung mit Arkan im Hause ihrer Eltern.
Cunack schmunzelte, als Fiacha geendet hatte.
"Na, das sieht ihm ähnlich. Erst trinkt er Euren Weinvorrat leer, und dann stiehlt er sich heimlich davon!"
"So ganz ist das nicht richtig," widersprach Fiacha grinsend. "Schließlich hat er meine Eltern gebührend dafür entschädigt. Und doch ist er mit schuld daran, daß ich in die Oberwelt möchte."
"Wieso das?"
"Nun, er hat so wie Ihr die schönsten Geschichten erzählt. Und ich möchte die Dinge sehen, die Ihr und er beschrieben habt. Ich möchte die Menschen kennenlernen, durch die Landschaften wandern, die Tiere und Pflanzen sehen, ich möchte Berge sehen, die Meere..."
Bei der Erwähnung der Meere überkam Fiacha ein eigenartiges Gefühl, eine Art Sehnsucht, ein Verlangen....
Aber das Gefühl war genauso schnell wieder weg, wie es gekommen war, so daß sie ihm keine Beachtung mehr schenkte. Sie hatte noch nie in ihrem Leben ein Meer gesehen.
Jethro neben ihr jedoch hatte ein eigenartiges Lächeln auf den Lippen....
"Ihr werdet diese Dinge bestimmt zu sehen bekommen! Und ich helfe Euch dabei."
Fiacha schaute den Mann mit großen Augen an.
"Bitte, Jethro, erzählt mir von Arkan, ja ? Ihr sagtet doch, Ihr kennt ihn gut."
"Oh nein," Jethro winkte lachend ab. "Nein, Arkan müßt Ihr selbst erleben! Und Ihr werdet ja bald Gelegenheit dazu haben. Sehr bald sogar!"
Mit diesen Worten wandte Jethro sich nach rechts in eine kleine Straße, und sie standen plötzlich vor einem großen Turm. Der Oberweltler führte Fiacha durch eine kleine Tür und dann die dahinter liegenden Stufen hinauf. Als sie oben angekommen waren, blieb der kleinen Tuach na Moch der Mund vor Staunen offen stehen. Fünf kleine und drei große Flugschiffe standen hier stolz aufgerichtet auf einer gläsernen Plattform.
Obwohl die Segel eingeholt waren, konnte Fiacha erkennen, daß sie bunt und hier und da mit eigentümlichen Zeichen verziert waren. Äußerlich unterschieden sich die awyren kaum von Booten auf Wasser, und sie waren wie diese an Pollern festgetaut.
Jethro führte Fiacha über eine Planke an Bord eines der kleinen Schiffe, und sie wurden sofort vom morior begrüßt.
"Ah, Jethro Cunack, seid willkommen auf meiner kleinen Barke. Macht es Euch bequem und genießt den Flug!"
"Danke, Brador, das werden wir!"
Fiacha schüttelte den Kopf. Jethro Cunack schien jeden zu kennen, - und jeder kannte scheinbar ihn.
Es dauerte auch nicht lange, und das Flugschiff legte ab. Die Segel nun hoch aufgerichtet, bewegte sich das Boot von der Plattform weg. Obwohl Fiacha die Bewegung des Schiffes nicht spürte, hielt sie sich vor Aufregung krampfhaft an der Reling fest.
"Habt Ihr Flugangst ?" fragte Jethro besorgt.
"Keine Ahnung," antwortete sie. "Ich bin noch nie geflogen!"
Nach kurzer Zeit jedoch begann Fiacha sich zu entspannen und genoß den Anblick der weißen Stadt unter ihr, die zunächst immer kleiner wurde und schließlich ganz aus ihrem Blickfeld verschwand. In der Ferne konnte sie den Sereg Ran, der sich wie eine große rote Schlange durch Cor Finias wand, und die Wälder, welche die Stadt umgaben, erkennen. Eines der zahlreichen schwarzen Punkte auf dem Boden, so überlegte sie, mußte das Dorf sein, in dem sie groß geworden war.
Vor Aufregung plapperte Fiacha jetzt nur so darauf los. Sie löcherte Jethro mit Fragen über das Schiff, die Magie, die das Schiff vorwärts und gegebenenfalls auch rückwärts bewegte, über die Landschaft, auf die sie nun hinunter schauten....
"Genug jetzt der Fragen," winkte Jethro freundlich, aber bestimmt ab. "Ich kann sie Euch auch nicht alle beantworten. Genießt einfach nur die Aussicht und den Flug, Fiacha." Damit wandte er sich ab, um auf einem der Bänke Platz zu nehmen, die für Passagiere gedacht waren. Er schloß die Augen und schien bald eingeschlafen zu sein.
Fiacha errötete verlegen und beugte sich leicht über die Reling.
'Ich benehme mich wie ein kleines Kind,' dachte sie und beobachtete den grauen Himmel. Nicht, daß er einen interessanten Ausblick bot, aber die Eintönigkeit half ihr, ihre Gedanken und die vielen Informationen, die sie seit ihrer Begegnung mit Jethro Cunack erhalten hatte, zu ordnen. Bei Moch, es war so viel in solch kurzer Zeit geschehen!
Schließlich entspannte Fiacha sich völlig und gab sich ihren Gefühlen hin und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich frei, - frei von der Familie, frei von Verantwortung für andere, frei von allen negativen Gedanken und Gefühlen. Ihr Leben nahm eine neue Wendung und der Gedanke an die Zukunft erregte sie. Sie ließ sich von diesen Gefühlen tragen, wie ein Gorrowinn auf der Jagd, und sie hätte am liebsten gejauchzt vor Glück!
Sie schloß die Augen und sofort entstand wieder das Bild eines cystìrach
vor ihr. Sie spürte das Bewußtsein, das in diesem Kristall pulsierte, schimmernd in blauen Pastelltönen. Er war so wunderschön! In Gedanken griff sie nach dem Kristall, sie spürte, wie das Bewußtsein ihrer eigenen Zeitmagie, das da tief in ihr schlummerte, die Energie und die Kraft und Schönheit des Cystìrs aufsog und durstig in sich aufnahm. Fiacha glaubte für einen kurzen Moment platzen zu müssen vor Kraft. Langsam und ganz sachte entzog sich der cystìrach ihrem Bewußtsein und schließlich brach die Verbindung ganz ab.
Fiacha atmete tief durch und öffnete die Augen.
Sie drehte sich um, - und da stand der Navigator des Flugschiffes vor ihr, mit geblähten Nasenflügeln, hochrotem Kopf und wutschnaubend!
"Seid Ihr von Moch verlassen, Kind ?" brüllte er Fiacha an.
Verwirrt schaute die junge Frau sich nach Jethro um, doch der saß immer noch auf der Bank, die Augen allerdings jetzt geöffnet und die Stirn gerunzelt.
"Aber...aber...wieso?" stotterte Fiacha und sah den Navigator wieder an.
"Wie kommt Ihr dazu, mir in mein Handwerk zu pfuschen ? Es wäre beinahe wegen Euch zu einer Katastrophe gekommen!"
"Wieso?" fragte die kleine Hügelfrau erschrocken. "Was habe ich denn getan?"
"Was Ihr getan habt ?" schimpfte Brador. "Ihr wißt ganz genau, was Ihr getan habt. Ihr habt es gewagt an Bord meines Schiffes Kontakt zu einem cystìrach aufzunehmen. Das habt Ihr getan!"
Jethro hatte sich inzwischen von seinem Platz erhoben und war auf die beiden zugekommen.
"Brador, beruhigt Euch! Ich bin sicher, sie hat es nicht mit Absicht getan!" sprach er den Navigator an.
"Ob mit Absicht oder nicht, ist mir egal," polterte Brador weiter, "das ist gefährlich und strengstens untersagt."
Jethro griff in seinen Umhang und zog eine kleine Keramikflasche heraus.
"Hier, Brador, nehmt einen Schluck gegen den Schrecken. Es ist ja nichts weiter passiert."
Das ließ sich Brador nicht zweimal sagen, und er griff nach der Flasche, um einen tiefen Schluck daraus zu nehmen.
"Hhhhm," machte er anerkennend, "das ist ein gutes Zeug, werter Cunack. Aber nichtsdestotrotz," und er runzelte wieder böse die Stirn, "Eure Begleiterin hier ist eine Gefahr für den Flugverkehr. Jawohl!" Und er blinzelte Fiacha wütend an.
Fiacha schaute den Navigator zunächst nur verdutzt an. Schließlich aber wurde sie ihrerseits wütend. Dieser stinkende Grobian hatte sie "Kind" genannt!
"Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht, Mann!" fauchte sie ihn an.
Brador baute sich vor der kleinen Frau auf.
Oh, wie Fiacha solches Imponiergehabe haßte!
"Ihr habt einen cystìrach kontaktiert. Und das während des Fluges. Ich war desorientiert, und - bei Moch! - schreckliches hätte geschehen können. Und mir hätte man nachgesagt, ich sei dafür verantwortlich. Mein Ruf als bester Navigator Cor Finias wäre ruiniert gewesen. Und das wegen Euch!" Und er tippte mit dem Zeigefinger auf Fiachas Brustbein.
Das hätte Brador vielleicht nicht tun sollen. Blitzschnell, so daß er kaum noch Zeit hatte, einen Laut von sich zu geben, stürzte sich die kleine Frau auf ihn und warf ihn zu Boden. Sie wollte ihre Fäuste fliegen lassen, - aber diese wurden im Flug von Jethro Cunack mit festem Griff aufgehalten!
"Beruhigt Euch wieder, Fiacha!" hörte sie seine sonore Stimme über sich. "Steht auf und laßt Brador gehen."
Er zog Fiacha auf die Beine und von dem Navigator, der hilflos wie ein Kaninchen auf dem Boden lag, weg.
Dann half er Brador auf die Beine.
"Ich möchte mich," sagte er, "bei Euch in aller Form für das Verhalten meiner.... Begleiterin entschuldigen, werter Brador. Ich werde auch, sofern Schaden entstanden ist, dafür aufkommen. Ich gebe Euch mein Wort darauf!"
Der Navigator schnaubte.
"Na gut," sagte er, "Ihr seid ein Mann von Ehre, und ich will Euch glauben, daß diese Angelegenheit Euch leid tut! Mit tut sie ja auch leid! Und was die Entschädigung angeht, so tut mir nur einen Gefallen: Nehmt dieses Biest mit und versprecht mir, daß sie nie wieder eines meiner Schiffe betreten wird."
Jethro sah Fiacha an, welche ihrerseits Brador wütend anstarrte.
Wieder an Brador gewandt, sprach er in versöhnlichem Ton: "Ich verspreche es Euch! Ihr müßt wissen," und er näherte sich verschwörerisch dem Navigator, "sie ist ziemlich temperamentvoll, und ich fühle mich berufen, dieses Temperament zu zähmen." Er legte verschwörerisch einen Finger auf den Mund.
Brador schaute von Fiacha zu Jethro und dann wieder Fiacha an. Schließlich schüttelte er den Kopf.
"Ist mir egal, was Ihr mit ihr macht, werter Cunack! Nur schafft sie endlich von meinem Schiff runter."
Jethro grinste Brador an und nahm Fiacha sanft beim Arm, um mit ihr das Schiff zu verlassen.
"Und denkt an Euer Versprechen, Cunack," rief Brador ihnen hinterher. "Sie darf nie wieder eines meiner Schiffe betreten!"
Fiacha ließ sich von Jethro Cunack wie eine Marionette den Turm hinunterführen. Sie war so unheimlich wütend auf Brador, gleichzeitig aber auch verwirrt darüber, was er gesagt hatte.
'Ihr habt einen cystìrach kontaktiert. Und das während des Fluges!'
Als sie schließlich unten angekommen waren, löste Fiacha sich aus Jethros Griff.
"Ist ja gut, Jethro! Es ist alles in Ordnung!" murmelte sie.
"Soso, es ist alles in Ordnung sagt Ihr?" sagte Jethro. Seine grau-grünen Augen blickten Fiacha streng an.
"Brador hatte Recht, wißt Ihr? Es hätte zu einer Katastrophe kommen können. Wir waren gerade über Cor Dhai, da verlor der Navigator plötzlich die Kontrolle über das Schiff. Die Erinnerung allein daran läßt meinen Magen noch Purzelbäume schlagen!"
"Ich habe nichts gemerkt!" murmelte Fiacha.
"Das habe ich gemerkt, daß Ihr nichts gemerkt habt. Ihr standet an der Reling wie eine Statue und rührtet Euch nicht vom Fleck, während das Schiff zu schwanken begann. Ich bin ja schon einige Meeresstürme gewohnt, das könnt Ihr mir glauben. Aber der Gedanke, vom Himmel herunterzufallen, dreht selbst mir den Magen um!"
"Das hab' ich doch nicht mit Absicht gemacht," antwortete Fiacha trotzig. "Außerdem, - was sollte das heißen, Ihr wolltet mein Temperament zähmen? Wie könnt Ihr Euch anmaßen...."
Jethro winkte ungeduldig ab.
"Das habe ich nur so gesagt, damit Brador denkt, daß Ihr unter meinem Schutz steht. Versteht Ihr ?"
Der Oberweltler atmete tief durch.
"Die Schuld für diesen Vorfall ist außerdem auch bei mir zu suchen!" seufzte er.
"Wieso bei Euch?" fragte Fiacha erstaunt.
"Ich hätte es Euch wissen lassen müssen. Während des Fluges ist das Ausführen von Magie strengstens untersagt! Es stört die Navigation!"
"Aber ich war doch nur in Gedanken. Ich habe nicht einmal bemerkt, daß ich da was gemacht habe," versuchte Fiacha sich zu verteidigen.
Jethro klopfte ihr sachte auf die Schultern und sprach in einem beruhigenden Ton.
"Macht Euch keine weiteren Sorgen deswegen, Fiacha. Das bekommen wir schon noch in den Griff! Es ist ja nichts passiert! Und beim nächsten Mal wißt Ihr ja bescheid."
Damit wandte er sich zum Gehen und bedeutete Fiacha ihm zu folgen.
"Wenn es noch ein nächstes Mal gibt!" brummelte sie, blickte noch einmal den Turm hoch, beeilte sich dann aber, den großen Mann einzuholen.
Wenn Cor Finias Fiacha schon die Sprache verschlagen hatte, so war Cor Dhai atemberaubend schön. Sie spürte sofort, daß diese Stadt das Zentrum des Hügelreiches war. Hier irgendwo stand der Kristallpalast des Hügelprinzen, und Fiacha fühlte das pulsierende Leben Cor Dhais bis in ihre Fingerspitzen. Ihre empfindliche Nase nahm sofort die verschiedenen Gerüche wahr. Nicht alle waren Fiacha angenehm, aber die Vielfalt und die Mischung machten sie neugierig.
Die Häuser waren ähnlich wie in Cor Finias angelegt, allerdings fehlten hier die Wandbemalungen. Statt dessen waren die Wände in Pastelltönen und manchmal mit einer eigenartigen metallisch schimmernden Farbe gestrichen. Die Sonne stand inzwischen schon sehr tief, und ihr rötliches Licht ließ die Häuser in einem Meer von Farben erstrahlen. In regelmäßigen Abständen waren Laternen an den Häuserwänden angebracht, so daß es niemals richtig dunkel wurde in Cor Dhai.
Im Gegensatz zu Cor Finias erkannte Fiacha hier die verschiedensten Rassetypen ihres Volkes. Cor Dhai war das Herz des Hügelreiches und hier tummelten sich Tuach na Moch aller Art, - die hochgewachsenen, hellhäutigen Goria, genauso wie die dunklen Bach.
Fiacha kam aus dem Staunen kaum noch heraus, als Jethro Cunack sie über eine Brücke zu einer Insel führte. Hier teilte sich der Sereg Ran, um sich etwas weiter flußaufwärts wieder zu vereinen. Und auf dieser Insel stand der Kristallpalast des Hügelprinzen.
Jethro wartete lächelnd auf Fiacha, die stehengeblieben war, um den Anblick dieses imposanten Gebäudes zu genießen. Umgeben von herrlich gewachsenen Bäumen und Büschen ragten aus der Mitte gläserne Türme auf. Das rote Licht der Abendsonne ließ die Türme wie Feuersäulen, die sich gen Himmel reckten, aussehen. Es war ein erschreckender, aber auch unsagbar schöner Anblick.
Fiacha folgte Jethro Cunack weiter in Richtung des Palastes, bis sie schließlich vor einem prunkvollen Tor hielten. Eine Wache löste sich aus dem Schatten und rief laut: "Wer da?"
"Jethro Cunack, und ich bitte um Einlaß!" rief Jethro zurück.
Der Soldat, ein für einen Hügelvölkler ziemlich hochgewachsener junger Mann, eilte auf die beiden zu.
"Willkommen, Herr, herzlich willkommen zuhause!"
Jethro grinste breit.
"Wie geht es Euch, Ragor? Habt Ihr Euch inzwischen von der Würfelpartie erholt?"
Ragor, der Soldat, grinste schief zurück, als er antwortete.
"Ich ja, - aber meine Börse nicht!"
Der Oberweltler klopfte Ragor freundschaftlich auf die Schulter.
"Und wie geht's Arkan ?" erkundigte er sich.
Das Grinsen Ragors wurde breiter. "Als ich ihn das letzte mal sah, ganz gut, Herr!" In einem verschwörerischen Ton fügte er hinzu: "Feach Mac Llyr hat ihn wieder trainiert, und unser guter Prinz unterlag wieder einmal. Aber für Arkan war das die beste Entschuldigung sich eine Massage abholen zu können. Und demnach geht es ihm gut!"
Die beiden Männer lachten, während Fiacha erstaunt war über die Respektlosigkeit, mit der sie über den Hügelprinzen sprachen. Das Leben am Hofe schien anders, als sie es sich bisher immer vorgestellt hatte.
Jethro verabschiedete sich von der Wache, welche inzwischen das Tor geöffnet hatte, und betrat den Palast. Fiacha warf Ragor noch einen fragenden Blick zu, - aber dieser hatte sich schon wieder in den Schatten zurückgezogen.
Als erstes kamen sie in einen großen Empfangssaal, der zu Fiachas Erstaunen weniger prunkvoll eingerichtet war, als sie es erwartet hatte. Hier standen Tische und Bänke durcheinander und in einer Ecke ein Sekretär, an dem aber im Moment niemand saß.
Palastangestellte waren derzeit bemüht etwas Ordnung in den Raum zu schaffen, jedoch taten sie es ohne Hast.
Jethro wurde von allen Seiten freundlich begrüßt, und er nahm sich die Zeit mit dem ein oder anderen ein paar Worte zu wechseln. Fiacha bemerkte, daß der Mann aus der Oberwelt hoch geachtet war. Man bot ihm etwas zu Essen und zu Trinken an, aber Jethro lehnte dankend ab.
"Später! Aber sprecht, wo finde ich Arkan ?"
"In der Bibliothek, Herr!" antwortete ein kleiner, dicker Mann.
Jethro bedankte sich bei dem Mann und führte Fiacha durch eine Tür aus dem Empfangssaal heraus in einen Gang.
'Hier würde ich mich verlaufen,' dachte die junge Tuach na Moch.
Jethro trat ohne anzuklopfen durch eine Tür. Fiacha beeilte sich ihm zu folgen.
"Arkan, Bruder, welch ungewohnter Anblick," sagte Jethro laut. "Du in der Bibliothek mit einem Buch ?"
Arkan E'dhelcu schien kein schreckhafter Mann zu sein. Er saß in einem großen Sessel mit dem Rücken zur Tür. Das bärtige Gesicht des Hügelprinzen erschien neben der Rückenlehne.
"Jethro, altes Lästermaul, sei trotzdem willkommen!" Und Arkan grinste breit.
Langsam erhob sich der Hügelprinz aus dem Sessel, legte eine Pfeife beiseite und trat auf Jethro und Fiacha zu.
"Wozu soll eine Bibliothek sonst gut sein ?" fragte Arkan.
Fiacha hätte beinahe losgelacht bei dem Anblick dieser beiden, die sich nun freundschaftlich umarmten, konnte sich aber gerade noch beherrschen.
Arkans Blick fiel auf ihr, - und er hob erstaunt die Augenbrauen !
"Jethro, wer ist das ?" fragte er.
Jethro wies mit der Hand auf Fiacha.
"Darf ich dir vorstellen, - Fiacha, - Fiacha, dies ist Arkan E'dhelcu!"
Arkan kam langsam auf die junge Frau zu.
"Fiacha? Die Jägerin ? Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor...." Grübelnd fuhr er sich durch das Haar.
Jethro grinste. "Das sollte er auch. Ihr seid euch schon einmal begegnet."
"Tatsächlich ?" Und er schaute Fiacha eindringlich an.
"Ja," murmelte er. "Ihr kommt mir wirklich bekannt vor."
Fiacha lächelte Arkan verständnisvoll an. Schließlich mußte sich der Hügelprinz bestimmt viele Gesichter merken.
"Ihr ward auf dem Weg nach Cor Caen, uchelder, und kehrtet für eine Nacht im Hause meiner Eltern in der Nähe Cor Finias ein. Das ist aber schon lange her, Majestät!" erklärte sie ihm.
"Cor Caen ? Cor Finias ?"
Plötzlich erhellte sich sein Gesichtsausdruck.
"Ja, jetzt weiß ich's wieder!"
Nun schaute Arkan ungehemmt an Fiacha herunter.
"Bei Moch, Mädchen, Ihr seid ja noch hübscher geworden, als ich es damals ahnte!"
Fiacha schoß das Blut in den Kopf, während Jethro lauthals losbrüllte vor Lachen. Arkan dagegen grinste Fiacha nur frech an.
"Typisch mein Bruder," keuchte Jethro kopfschüttelnd.
"Wieso typisch ?" fragte Arkan ihn, immer noch grinsend. "Ein hübsches Gesicht vergesse ich niemals!"
Fiacha wollte im Boden versinken vor Scham.
"Kommt, setzt Euch!" lud Arkan sie ein. "Was möchtet Ihr trinken?"
Während sie es sich in den Sesseln bequem machten, ließ Arkan für seine Gäste Bier und Leckereien kommen.
Fiacha bemühte sich, gegen die Nervosität anzukämpfen, die Arkans Komplimente bei ihr ausgelöst hatten.
"Aber erzählt doch," sagte Arkan, nachdem er seine Pfeife wieder aufgenommen hatte, "Wie und wo habt ihr beiden euch denn kennengelernt?"
Jethro berichtete Arkan kurz von ihrer Begegnung in Cor Finias, und zu Fiachas Entsetzen erzählte er dem Hügelprinzen auch von ihrem Mißgeschick auf dem Flugschiff. Arkan lachte herzhaft über die Auseinandersetzung zwischen Brador und Fiacha und zwinkerte der jungen Tuach na Moch schelmisch zu.
Als Jethro fertig war, fuhr sich Arkan grübelnd durch den Bart.
"Hm, soso...Und was hast du jetzt vor, Bruder ?"
Fiachas Gedanken schlugen nun Purzelbäume. Dies war nun schon das dritte mal, daß der Ausdruck "Bruder" zwischen den beiden Männern fiel, und sie fragte sich, wieso sie das taten. Denn wie konnte ein estron der leibliche Bruder des Hügelprinzen sein? Das war schließlich absurd! Oder ?
"Ich möchte Fiacha mit in eine der Cystìrkammern mitnehmen," antwortete Jethro und nahm einen großen Schluck von seinem Bier.
Er schnalzte genüßlich mit der Zunge.
Jetzt runzelte Arkan die Stirn.
"In eine der Cystìrkammern ? Bei Moch, wieso das denn?"
"Nun, ganz einfach. In der Cystìrkammer kann keine Zeitmagie gewirkt werden. Und indem wir Fiachas Zeitmagie ausschalten, kann ich vielleicht mit ihr herausfinden, worin ihr anderes Talent besteht."
"Hm," machte Arkan, "vorausgesetzt ihre andere Magie kann dort wirken. Aber es ist ein Versuch wert." Und an Fiacha gewandt, fragte er: "Was meint Ihr, Fiacha ?"
Die junge Frau zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht, Hoheit!"
"Arkan," sagte der Hügelprinz lächelnd, "meine Freunde nennen mich Arkan!"
"Das auch," brummelte Jethro, der inzwischen das dritte Bier hintereinander geleert hatte.
Der Prinz ignorierte seine Bemerkung.
"Aber zuvor solltet ihr beiden euch etwas ausruhen, was meint ihr? Mein Bruder hier," er zeigte auf Jethro Cunack, "scheint mir etwas Schlaf zu benötigen. Und Euch, Fiacha, könnte etwas Ruhe auch nicht schaden. Und morgen," er stand von seinem Sessel auf, "morgen zeige ich Euch den Palast. Fühlt Euch hier ganz wie zuhause."
Arkan nahm Fiacha beim Arm und führte sie aus der Bibliothek. Jethro ließ er einfach in dem Raum sitzen.
Kaum daß Arkan die Bibliothek verlassen hatte, heftete sich ein finster dreinschauender Mann, seiner Kleidung nach ein Gardist, an des Hügelprinzen Fersen. Fiacha warf ihm einen kurzen Blick zu, aber die Wache ließ Arkan nicht aus den Augen. Er schien seine Aufgabe sehr ernst zu nehmen.
Der Prinz der Tuach na Moch führte Fiacha durch die vielen Gänge zu einem Raum, der, wie er sagte, von jetzt an ihr Schlafgemach war.
"Süße Träume wünsche ich Euch," meinte Arkan. "Und wenn Ihr was braucht, meine Palastangestellten kümmern sich darum."
Und wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Wechselbalg, ein junges Mädchen, neben dem Hügelprinzen und verneigte sich lächelnd vor Fiacha.
Arkan winkte Fiacha noch einmal von der Tür aus zu, und er und sein düsterer Schatten verließen den Raum.
Etwas verwirrt schaute sich die junge Hügelfrau in dem Gemach um. Es war komfortabel eingerichtet und bei dem Anblick des großen Bettes wurde Fiacha plötzlich unsagbar müde. Schweigend half das Wechselbalg-Mädchen ihr beim Auskleiden. Eigentlich wollte Fiacha ihr einige Fragen stellen, aber sie war einfach zu müde dazu.
Kaum, daß Fiachas Kopf das Kissen berührte, war sie auch schon eingeschlafen.
Das Mädchen stellte noch einen Krug mit einem Erfrischungsgetränk auf das Nachtschränkchen neben dem Bett, raffte Fiachas Kleidung zusammen und verließ leise das Zimmer.
ENDE
Übersetzung:
estron = Außenweltler
trior = Durchquerer
awyren = Flugschiff
morior = Navigator
uchelder = Hoheit
Fiacha II: Reise nach Cor Finias
Fiacha
Carolin Gröhl