Fiacha-Story, Teil 5
Fiacha ist nun in der Oberwelt, wenn auch nicht ganz freiwillig. Dies ist der fünfte (und vorerst letzte) Teil der Fiacha-Story.
Fiacha fröstelte. Es war kalt in der Oberwelt, kälter als es im Hügelreich jemals werden konnte. Dies lag jedoch nicht nur an den Temperaturen, sondern auch an den Blicken, welche die dunklen Gestalten, die um sie herum standen, auf sie warfen. Einige schienen erschrocken, andere nur erstaunt, wiederum andere jedoch regelrecht feindselig auf die kleine Frau zu blicken, - und sie konnte sich nicht erklären, warum.
"Wir haben eine Tuach na Moch beschworen," wiederholte einer der Gestalten.
Und der Aufruhr begann: Sie steckten ihre Köpfe zusammen, berieten, schimpften, baten die Götter um Beistand, und schoben sich gegenseitig die Schuld zu.
Fiacha bemerkte eine Gestalt, die etwas abseits stand, sie nur anstarrte und sich nicht an der Diskussion beteiligte.
Die Mocha beschloß sie anzusprechen und kletterte von dem Altarstein herunter.
Im nächsten Moment wurde sie aber wieder umringt von den Männern in den dunklen Kutten.
"Halt!" sagte einer. "Wo
wo wollt Ihr hin?" verlangte er zu wissen.
Fiacha schaute ihn erstaunt an: "Ich würde gerne wieder nach Hause gehen, wenn Ihr erlaubt." Allerdings, das wußte sie, würde das nicht ganz einfach sein, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich die Tore in der Oberwelt befanden.
Der Mann schüttelte den Kopf und sprach: "Ich fürchte, das wird nicht gehen, Frau aus dem Stillen Volk." Fiacha hob erstaunt die Augenbrauen. Diesen Ausdruck hatte sie noch nie gehört.
"Stilles Volk?" fragte sie.
Der Mann zog die Stirn kraus und schaute die Hügelfrau mit funkelnden Augen an. "Haltet mich nicht zum Narren, Frau des Hügelvolkes! Das mag ich nämlich gar nicht."
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Und ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt."
Ein anderer Mann trat an die beiden heran. Sein Blick war freundlich und sanft, und er war Fiacha sofort sympathisch.
"Ihr seid doch eine Tuach na Moch, nicht wahr?" fragte er mit tiefer Stimme.
Die Mocha nickte. "Ja, das bin ich."
"Nun, Ihr müßt verstehen, - es kommen nicht viele Tuach na Moch zu uns, und schon gar nicht, wenn wir ein Ritual vollziehen. Euer Erscheinen ist daher höchst erstaunlich, aber auch interessant. Wir würden, wenn Ihr erlaubt, die Angelegenheit gerne prüfen."
Die kleine Frau schaute sich um. "Prüfen? Was prüft Ihr denn?"
"Wir würden gerne prüfen, welche Form der Magie Euch hierher gebracht hat."
Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte sie am liebsten laut losgelacht. "Soll das heißen," fragte sie mit einem schiefen Lächeln, "daß Ihr selbst nicht wißt, wie Ihr es geschafft habt, mich hierher zu holen?"
Der freundliche Mann nickte, offensichtlich verlegen.
"Na, großartig!" stöhnte Fiacha. "Ich werde Euch da leider nicht weiterhelfen können," sagte sie zu dem anderen Mann mit den funkelnden Augen. "Ich weiß es nämlich auch nicht."
Er schien ihr aber nicht glauben zu wollen.
"Nicht?"
"Nein! Alles, was ich weiß, ist, daß sich hier kein Tor in unsere Welt befindet. Das würde ich nämlich spüren."
Sie bemerkte die Enttäuschung auf den Gesichtern einiger Männer. Hatten sie etwa gehofft, daß sich innerhalb dieses Steinkreises ein Tor zum Totenreich befindet? Fiacha schüttelte den Kopf.
Sie begann nun heftig zu zittern. Sie war für diese Wetterverhältnisse nicht entsprechend gekleidet.
Der freundliche Mann schien es bemerkt zu haben.
"Kommt," sagte er, "ich bringe Euch hier fort, damit Ihr Euch wärmen könnt." Der andere Mann wollte wohl etwas einwenden, jedoch winkte der Mann mit den sanften Augen ab. "Laßt gut sein," sagte er zu den anderen. "Seht Ihr denn nicht, daß sie ebenso erschreckt ist wie Ihr?"
Ein Raunen ging durch die Reihe, aber der Mann schien wohl einen hohen Rang zu bekleiden, denn niemand widersprach ihm.
Die junge Hügelfrau fing seinen Blick auf. Seine Augen strahlten Heiterkeit aus, und sein Mund schien stets zu lächeln. Als sie tiefer in seine Augen blickte, erschrak Fiacha kurz. Dieser Mann kannte Arkan. In seinen Erinnerungen sah sie ihn zusammen mit dem Hügelprinzen, welcher vor ihm stand, sich verneigte und einige Worte sprach. Daraufhin legte Arkan dem Mann ein Schwert vor die Füße. In einer anderen Szene sah sie die beiden, die Kelche erhoben und lachen.
"Chat Bidu," rief der Mann und eine Person drängte sich durch die Reihe. Es war die Frau, die etwas abseits gestanden hatte, "Bitte habt die Güte und kümmert Euch um sie," befahl er, und die Frau nickte.
"Wohin werde ich gebracht?" fragte Fiacha den Mann.
"Nach Dhanndhcaer, Frau vom Hügelvolk," antwortete er. "Dort werde ich mich dann um Euch kümmern."
"Verdammt, verdammt, verdammt," rief Jethro und schlug mit der Faust auf einen der hoch aufgerichteten Steine des Steinkreises nahe Cor Dhai.
Eiligen Schrittes begab er sich zurück zum Kristallpalast, um Arkan zu suchen. Er mußte seinem Bruder Bericht erstatten. Irgendjemand in der Oberwelt hatte Dimensionsmagie gewirkt, und somit Fiacha dorthin gebracht. Jethros Sorge galt weniger der Hügelfrau (nicht daß er sie nicht mochte), sondern der Gefahr, die durch diese Magie hervorgerufen werden konnte. Zwar waren die Tore zwischen den Welten an Samhain und anderen Feiertagen sowieso "dünn", doch war es den estron im allgemeinen nicht möglich, gezielt das Hügelreich zu betreten, geschweige denn, einen Mocha in ihre Welt zu holen. Jethro vermutete, daß die Magie, die da gewirkt worden war, es jedoch vermochte, und das konnte eine Bedrohung für die Tuach na Moch darstellen.
Die Samhain-Feier im Palast war in vollem Gange, und natürlich war Arkan auch nicht mehr nüchtern. Nichtsdestotrotz nahm Jethro Cunack ihn beiseite.
"Ich muß mit dir sprechen. Es ist dringend!"
Arkan wollte gerade einwenden, daß er großen Spaß hätte und die Feier eigentlich nicht verlassen wollte. Doch dann sah er den ernsten Blick in Jethros grau-grünen Augen, und er wirkte schlagartig nüchtern.
"Was ist passiert?" fragte er.
"Es geht um Fiacha!" antwortete Jethro und zog seinen Bruder aus dem Festsaal heraus.
Arkan hatte das Gefühl, daß sein Herzschlag aussetzen wollte. Er bekam Angst.
"Fiacha? Was ist mit ihr?" fragte er aufgeregt, während er seinem Halbbruder durch den Gang folgte. "Ist ihr etwas geschehen? So sprich doch, Jethro!"
Endlich erreichten sie Arkans Bibliothek. Jethro wies einen Bediensteten an, ein starkes Getränk zu bringen, drückte Arkan in einen Ohrensessel, während er sich in den anderen setzte.
"Ich nehme an, sie ist wohlauf," begann Jethro.
"Du nimmst an, sie ist wohlauf?" wiederholte Arkan. "Was soll das heißen?"
Jethro nickte dem Bediensteten, der einen großen Krug und zwei Kelche hereinbrachte, zu und gab ihm zu verstehen, daß er sich entfernen möge. Der Mann verschwand durch die Tür.
"Fiacha ist wohl zum Steinkreis außerhalb Cor Dhais gegangen, - aus welchen Gründen auch immer. Als ich dort ankam, war sie allerdings schon fort."
Arkan seufzte erleichtert auf. "Na, vielleicht ist sie dann in den Wald gegangen, um ein wenig zu jagen oder so," sagte er und lehnte sich im Sessel zurück.
"Nein," antwortete Jethro. "Das glaube ich nicht." Er nahm sich einen Schluck und fuhr fort: "Irgendjemand in der Oberwelt hat Dimensionsmagie gewirkt, Arkan. Und Fiacha ist von dieser Magie erfaßt und dorthin gebracht worden."
Jethro Cunack konnte die verschiedenen Reaktionen seines Bruders vom Gesicht ablesen. Zunächst riß dieser die Augen erstaunt auf, dann machte sich Ungläubigkeit dort breit, und schließlich schien er verstanden zu haben.
"Bei Moch," flüsterte Arkan.
Jethro nickte nur.
"Das heißt," begann der Hügelprinz und räusperte sich, weil seine Stimme zu versagen drohte: "das heißt, da ist jemand, der könnte so mir-nichts-dir-nichts Tuach na Moch in die Oberwelt holen, ohne dafür eines der Tore benutzen zu müssen."
"Richtig!" bestätigte seine Halbbruder. "So ist es!"
Arkan nahm den Krug, füllte einen der Kelche, leerte den Kelch, um ihn wieder zu füllen. Er schaute Jethro fragend an.
"Was sollen wir jetzt machen?"
Jethro zuckte mit den Schultern. "Laß mich überlegen, Arkan. Vielleicht fällt mir ja was ein."
Mit diesen Worten lehnte er sich ebenfalls im Sessel zurück und starrte über seinen Kelch hinweg ins Nichts.
"Es waren Druiden," sagte er nachdenklich. "Ich konnte sie durch Fiachas Augen sehen. Dunkle Gestalten standen um sie herum und schienen nach ihr greifen zu wollen. Ich bin sicher," fuhr er nach einer kurzen Pause fort, "daß es sich um Druiden handelte, die heute, an Samhain, ein Ritual vollzogen haben."
"Druiden, die Dimensionsmagie beherrschen?" sagte Arkan leise, und er bekam eine Gänsehaut. "Das ist eine grauenhafte Vorstellung, Jethro!"
Dieser nickte wieder. "Ja, das ist es!"
Wieder schwiegen die beiden eine Weile. Schließlich sprang Arkan auf.
"Wir müssen etwas unternehmen, Jethro!" sagte er laut.
Sein Bruder seufzte.
"Ich überlege ja schon!"
"Höre auf zu überlegen," schnappte Arkan. "Du gehst in die Oberwelt und suchst den oder die Druiden, die das getan haben."
Erstaunt blickte Jethro ihn an.
"Bitte? Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden
"
"Ich sagte," wiederholte Arkan eindringlich, "du gehst in die Oberwelt und
"
Jethro sprang nun ebenfalls auf.
"Unmöglich, Arkan! Du weißt, daß mein Verhältnis zu den Druiden nicht unbedingt freundlich ist. Ich kann unmöglich zu ihnen gehen und sagen: 'Hallo, hier bin ich! Ich suche den, der Dimensionsmagie wirken kann!' Weißt du, was du da verlangst, Arkan?"
Dieser nickte.
"Das weiß ich, Bruder! Und doch, - nur du kannst es tun! Du kannst erkennen, wer welche Magie in der Oberwelt wirkt. Du selbst hast Kenntnisse darin. Nur du kannst Fiacha finden."
Arkans Logik war verblüffend. Und erschreckend zugleich. Er hatte recht. Er, Jethro, war Magier, und er war der einzige, der eventuell den (oder die) anderen Eingeweihten finden konnte. Arkan beherrschte zwar mächtige Zeitmagie, wahrscheinlich die mächtigste überhaupt, aber andere Arten der Magie waren ihm unbekannt, insbesondere die elementaren Künste.
Jethro setzte sich wieder, und er hatte das Gefühl, als läge eine schwere Last auf seinen Schultern.
Arkan schaute ihn bittend und gleichzeitig mitfühlend an.
"Es tut mir leid, Jethro! Wenn ich könnte, würde ich es gerne selbst übernehmen. Aber," und er setzte sich ebenfalls wieder hin, "ich kann leider nicht."
Chat Bidu sprach kein Wort, als sie die Mocha begleitete. Sie schien tief in Gedanken versunken, und die Hügelfrau kam zu dem Entschluß, daß es wohl besser sei, sie nicht mit Fragen zu überschütten.
Als sie schließlich die Stadt, die der Mann "Dhanndhcaer" genannt hatte, erreichten, führte die Druidin sie durch dunkle, zumeist leere Gassen.
"Wo sind denn die Bewohner dieser Stadt?" fragte Fiacha leise.
"Es ist Samhain!" antwortete die Oberweltlerin kurz, als ob das alles erklären würde. Die Alt-Stimme der Frau war angenehm, aber abweisend zugleich. Und die kleine Hügelfrau fragte sich, ob sie ihr etwas getan hätte, dessen sie sich nicht bewußt war.
Sie erreichten den Eingang zu einem großen Gebäude, und erst nach genauerem Hinsehen erkannte Fiacha, daß es sich um einen Hintereingang handelte.
"Wir sind da!" sagte Chat Bidu, öffnete die Tür mit einem großen Schlüssel und bat Fiacha herein. Sie schloß hinter sich wieder ab.
Dann führte sie die Hügelfrau schweigend durch ein paar dunkle Gänge, und Fiacha stellte fest, daß es sich um ein großes Gebäude handeln mußte. Aber sie traute sich nicht zu fragen. Die Druidin würdigte sie keines Blickes.
Die Gänge wurden schließlich breiter und heller, und die beiden stiegen einige Treppen nach oben. Dort blieb die Oberweltlerin vor einer hölzernen Tür stehen. Sie öffnete sie und ließ die Mocha eintreten. Es handelte sich um ein Studier- oder Schreibzimmer, denn überall lagen Schriftstücke und Papierrollen herum. Auf einem Sekretär stapelten sich Papiere, und Fiacha sah dort verschiedene Schreibgeräte verstreut und ein Tintenfaß, das halb gefüllt und unverschlossen war. Außerdem standen, hingen und lagen die eigenartigsten Dinge in diesem Raum, deren Zwecke ihr gänzlich unbekannt waren.
Die Thuatha wies auf einen Sessel in der Nähe des Sekretärs. "Setzt Euch!"
Fiacha gehorchte zögerlich.
"Ich werde Euch etwas zu Essen und zu Trinken bringen," sagte die Druidin und wandte sich zum gehen. Plötzlich hielt sie inne und sah die kleine Frau nochmal an.
Zum ersten Mal hatte Fiacha den Eindruck, daß Chat Bidu nicht wußte, was sie sagen sollte. "Ähem," begann sie und ihre Wangen schienen zu erröten. "Was essen und trinken Hügelvölkler eigentlich?" fragte sie.
Die Mocha war verblüfft über die Frage, und zuckte mit den Schultern.
"Na ja," sagte die Druidin schroff, "ich bringe Euch einfach etwas. Ihr werdet es schon vertragen."
Und Fiacha nickte. "Bestimmt!"
Aber sie war sich dessen nicht ganz sicher.
Chat Bidus Schritte hallten durch den feuchten dunklen Gang. Ihren Kopf tief in der Kapuze und mit hoch gezogenen Schultern, in dem Versuch sich vor der Kälte zu schützen, wirkte sie noch kleiner als sie schon war. "Die wandelnde Kutte" hatte eine Küchenhilfe sie mal genannt und ihr häufig fettiges Fleisch extra zugesteckt, in der vergeblichen Hoffnung, die kleine Druidin zu mästen. Aber Chat fand immer jemanden, der hungriger war als sie, vor allem in der Tierwelt, und sie dachte nie daran, ihre fehlende Körpergröße durch Breite zu ersetzen.
Sie öffnete eine Tür, welche knarrend und knirschend den Blick zur Küche freigab, und ihr schlug heiße, feuchte Luft entgegen. Die wenigen Bediensteten schauten nicht einmal von ihren Tätigkeiten, der Zubereitung eines Nachtmahls, auf.
Zielstrebig schritt die Druidin zu einem kleinen Tischchen, das überfüllt war mit Speisen, die auf ihre weitere Verarbeitung warteten, und tippte einer weißhaarigen Frau auf die Schulter.
"Bei den Göttern, Kind!" rief die dickliche, rundliche Gestalt, die wie ein Kreisel herumfuhr, aus. "Du sollst dich nicht so anpirschen. Keine Prügel dieser Welt wird dir das wohl austreiben können, wie? Eines Tages bist du Schuld an meinem Tod!"
Chat lächelte sie entschuldigend an. Gunna war im Laufe der Jahre so taub geworden, daß sie befürchtete, Trommelschläge zur Warnung dieser Frau einführen zu müssen, um sie vor einem Herzversagen zu schützen.
"Ich brauche ein Mahl, liebe Gunna!"
Die Alte zwinkerte mit tränenden Augen auf Chat Bidu herab. "Das brauchst du immer, Kind. Als ob das in all den Jahren etwas gebracht hätte
.", und sie schlug der Druidin mit fettigen Fingern wohlwollend auf die Schulter.
Die Druidin überhörte das "Kind"-Spektakel seit Jahren. Denn für diese wuchtige Frau war Chat Bidus Zeit wohl stehengeblieben, als sie der kleinen Druiden-Anwärterin noch honigtriefende Holzlöffel zum Abschlecken in die Hand drückte.
"Nein, werte Gunna," sagte Chat, "nicht für mich, sondern für einen Gast."
"Welche Rast?" fragte Gunna. "Wovon? Wart Ihr fort?"
Chat stieß einen tiefen Seufzer aus, und schob sich - kräftig drückend - an der Frau vorbei an den Tisch. Sie füllte eine Holzschüssel mit Fleisch und dampfenden Gemüse.
Mit einem entschuldigenden Lächeln ging sie auf ein Regal mit Weinkrügen zu, sah Gunna kurz an und sagte kurz: "Wein!"
Sie wollte so schnell wie möglich raus aus der Küche, - und so schnell wie möglich raus aus den Kinderschuhen, die sie für diese Frau wohl noch in hundert Jahren tragen würde.
Es war für eine Druidin ihres Standes und Alters nicht gerade schmeichelnd, - und sie konnte es nur schwer ignorieren, wie ein Kind behandelt zu werden.
"Ja, fein," murmelte Gunna. "Das ist wirklich feiner Wein. Ihr wollt etwas davon haben?"
Chat Bidu nickte. "Einen Kelch voll, bitte. Aber bitte macht mir die Kutte beim Einschenken nicht so naß," und sie grinste Gunna an, wissend, daß das Augenlicht der Frau nicht großartig besser war als ihre Hörkraft.
Die wuchtige Frau stürzte erschreckend schnell an der Druidin vorbei und griff ein kleines Faß, welches sie ihr unter den Arm klemmte.
"Ihr trinkt aber mittlerweile viel, Kind," sagte sie besorgt.
Das wars. Chat Bidus Lächeln wurde schief und die Last unter ihrem Arm so schwer, genau wie die Beherrschung, die sie bewahren wollte.
"Habt Dank!" brüllte sie der Alten entgegen und balancierte mit der Holzschüssel und dem Faß zur Tür.
Als sie endlich wieder im Studierzimmer ankam, blickte die kleine Frau des Stillen Volkes sie interessiert an.
Sicherlich hatte sie schon alles durchwühlt, und die Thuatha hoffte, daß der Erzdruide nichts wirklich Wertvolles in seinem Studierzimmer aufbewahrte.
Sie setzte die Schüssel auf den Arbeitstisch und stellte das Faß daneben.
Sie reichte der Hügelfrau das kleine Horn, das sie an einem Gürtel trug, ohne Worte entgegen und merkte, daß diese gar keine Möglichkeit zum Entwenden irgendwelcher Gegenstände hatte, da ihre Kleidung eng anlag und über keinerlei Taschen verfügte.
Die Hügelfrau nahm lächelnd das Horn entgegen und widmete sich der heißen Speise. Eigentlich, so stellte Chat Bidu fest, sah sie gar nicht so hinterhältig und böse aus, wie es in den Legenden und Geschichten über die Tuach na Moch oft erzählt wurde.
Die Türe öffnete sich und der Erzdruide trat herein.
"Wie ich sehe," sagte er lächelnd, "hat man sich um Euer Wohl gesorgt." Er warf der Druidin einen freundlichen Blick zu, dankte ihr und gab ihr zu verstehen, daß er mit der Hügelfrau nunmehr alleine sein wollte.
Chat Bidu verneigte sich artig und verließ das Studierzimmer.
Fiacha schaute den Mann in voller Erwartung an, während sie das Fleisch kaute. Die warme Speise tat ihr gut, und inzwischen hatte sie zu frieren aufgehört.
"Wie ich sehe, schmeckt es Euch," sagte der Neuankömmling und setzte sich an den Sekretär. Mit einer Hand fegte er einige Papiere beiseite, während er mit der anderen nach einem Korken griff, um diesen auf das Tintenfaß zu stecken.
"Wer," begann die kleine Frau, "seid Ihr?"
"Mein Name ist Siber Lobar, und ich bin der Hochkönig Tir Thuathas," antwortete dieser sanft, und es schwang ein wenig Stolz in seiner Stimme mit.
Fiacha riß Mund und Augen auf, schluckte aber dann schnell das Essen herunter, um einen Schluck Wein aus dem Horn, das Chat Bidu ihr gegeben hatte, zu nehmen.
"Das
.das habe ich nicht gewußt," stammelte sie.
"Ja, woher denn auch?" lachte Siber. "Aber ich sehe, Ihr habt von mir gehört."
Die Hügelfrau nickte heftig.
"Oh, ja. Arkan hat mir oft von Euch erzählt," log sie. Er hatte ihr zwar von ihm erzählt, aber bei weitem nicht so oft, wie es nun klang.
Der Hochkönig schaute sie zufrieden grinsend an und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
"Arkan e'dhelcú?" fragte er. "Euer Prinz, nicht wahr?"
"Genau der," nickte Fiacha.
Siber schien zu überlegen, denn er legte den Kopf etwas schief und schaute die kleine Frau durchdringend an.
Sie spürte ein leichtes Kribbeln auf ihrer Haut.
"Und wie seid Ihr zu uns gekommen, wenn nicht, wie Ihr sagt, durch eines der Tore?" fragte er.
Fiacha zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es ehrlich nicht," und sie begann ihm zu erzählen, was sich in dem Steinkreis bei Cor Dhai zugetragen hatte.
Siber hörte ihr interessiert zu, sein Blick wurde jedoch ernster, je näher sie dem Ende ihrer Geschichte kam.
"Hm," machte er und legte einen Finger an den Mund. "Mir scheint, Ihr hattet wirklich nichts damit zu tun. Das ist eigenartig."
Fiacha sah ihn fragend an.
"Nun, ich kenne Arkan, und ich habe gehört, daß es diese Tore gibt, die es einigen Eures Volkes ermöglichen, diese unsere Welt zu betreten und wieder zu verlassen."
"Das ist richtig," warf sie ein, "Aber ich gehöre noch nicht zu denen, die das können, geschweige denn dürfen."
"Dürfen?" hakte Siber nach. "Wieso dürfen?"
"Wie Ihr schon sagtet," erklärte Fiacha, "nur einigen ist es möglich, Eure Welt zu betreten, und es sind nur einige Auserwählte.
Ohne Arkans Erlaubnis darf und kann niemand Eure Welt betreten."
Fiacha hatte den Eindruck, daß diese Auskunft den Hochkönig außerordentlich zufriedenstellte, denn er begann sofort wieder zu lächeln.
'Er hat nicht wirklich Angst vor uns,' dachte die Tuach na Moch bei sich. 'Aber der Gedanke, das Hügelvolk könne in Scharen in seiner Welt auftauchen, scheint ihm trotzdem unangenehm zu sein.'
Und wie zur Bestätigung erklärte Siber ihr, was das Volk von Tir Thuatha sich über das Stille Volk, den Kindern Mochs, erzählt.
Manche Geschichten, so befand Fiacha, waren geradezu hanebüchen, - andere jedoch durchaus wahr oder möglich. Doch sie saß dem Hochkönig mit unbewegter Miene gegenüber und nahm kleine Schlückchen aus dem Trinkhorn.
Als der thuathische König geendet hatte, legte sie den Kopf schief und lächelte ihn an.
"Interessant, was man sich so über uns erzählt." Weiter wollte sie sich dazu aber nicht äußern. Arkan würde schon seine Gründe gehabt haben, warum er Siber Lobar in mancher Hinsicht im Dunkeln gelassen hatte. Und wer war sie, daß sie sich darüber hinwegsetzte?
"Wie ist eigentlich Euer Name?" fragte der Hochkönig plötzlich.
"Verzeiht meine Unhöflichkeit," antwortete Fiacha verlegen. Und sie stellte sich vor.
"Nun, Fiacha von den Tuach na Moch," sagte Siber Lobar. "Ihr könnt von Glück sagen und
..Moch danken, daß Ihr ausgerechnet hier im Steinkreis nahe Dhanndhcaer aufgetaucht seid, und nicht irgendwo anders. Und Ihr könnt ebenfalls von Glück sagen, daß ich, der Hochkönig und Oberster Druide Tir Thuathas, das Ritual zu Samhain leitete." Er schaute Fiacha wieder durchdringend an. "Denn Arkan e'dhelcú ist mein Verbündeter, und er hat mir den Treueid geschworen, und ich bin ihm sehr verbunden. Doch," er schnalzte mit der Zunge, "nicht alle Druiden in unseren Landen sind den Tuach na Moch gegenüber wohlgesonnen, denn Euer Volk ist immer noch voller Geheimnisse für uns." Er hielt kurz inne.
"Aber ich möchte Euch einladen, mein Gast zu sein, solange Ihr es wünscht," sagte er.
"Oder bis man mich abholt," fügte sie hinzu.
Und der Hochkönig von Tir Thuatha lachte herzhaft auf. "Oder das!"
"Ihr seid sehr freundlich," antwortete Fiacha. "Ich nehme Eure Einladung gerne an, - denn mir bleibt im Moment auch nichts anderes übrig."
"Ich bin sicher," sagte Siber schmunzelnd, "daß Arkan irgendwann wieder hier vorbei schaut. Und was bedeutet schon Zeit für einen Tuach na Moch, nicht wahr?"
Fiacha konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sie auf den Arm nehmen wollte, - aber sie nickte nur lächelnd.
ENDE
Anmerkung: In meiner damaligen Unwissenheit nannte ich Siber Lobar noch Hochkönig. Erst später wurde mir bekannt, dass er Garwydd, also Erbe des Hochkönigs genannt wird.
Fiacha V: Die Oberwelt
Fiacha
Carolin Gröhl