"Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön, ja, da kann man manchen Frysen an die Masten schiffen seh'n
."
Arkan verzog das Gesicht. Wann und woher, so fragte er sich, hatte seine junge Frau Fiacha nur solche Lieder gelernt? Vielleicht sollte er einmal ein ernstes Wort mit ihr reden
Vielleicht.
Der Hügelprinz saß auf dem gemeinsamen Ehebett und beobachtete seine Frau beim Packen. Obwohl Arkan sie immer wieder darauf hingewiesen hatte, daß es im Kristallpalast nun wirklich genügend Bedienstete gab, - von Fiachas persönlicher Zofe Clarisse einmal abgesehen -, bestand Fiacha darauf für ihre Hochzeitsreise selbst zu packen.
"Aber, Arkan," hatte sie gesagt, "das gehört doch zur Vorfreude auf einen Urlaub dazu." Und mit geneigtem Kopf wiederholte sie das Wort "Urlaub", als wäre es für sie ein Fremdwort. Plötzlich wandte sie sich ihm zu. "Weißt du, Arkan, ich war noch nie in Urlaub!"
Der Prinz lächelte. Irgendwie war Fiachas Vorfreude ja ansteckend. Aber auf der anderen Seite war Arkan auch sehr mißtrauisch, - denn er wußte, wer ihm und seiner Frau die Reise so freimütig "spendierte".
Aus welchen Gründen auch immer, - Jethro Cunack schien sogar erfreut gewesen zu sein, seinem Bruder diese teure Hochzeits-reise zu bezahlen. (Fiacha hatte ihm erzählt, sie wüßte, daß die Reise an die 300 große Goldringe kosten würde, und in ihrer Unschuld auch noch gefragt, ob das viel wäre. Arkan konnte nur schlucken und antworten: "Das kommt auf die Betrachtungsweise an.")
Wieso, so fragte der Prinz des Hügelreiches sich, während er seine Frau dabei beobachtete, wie sie ein Kleidungsstück schon zum dritten mal unschlüssig ein- und wieder auspackte, bezahlte Jethro diese doch recht teure Hochzeitsreise? Hatte es etwas damit zu tun, daß es sich um eine Seereise handelte, gebucht bei Ery van Frysia persönlich? Arkan mißfiel der Gedanke, daß sein Halbbruder so einflußreiche Kontakte hatte. Aber erstens konnte es ja auch ihm, dem Hügelprinzen, irgendwann einmal nützlich sein, - und zweitens konnte er es ja doch nicht verhindern.
Arkan seufzte. Fiacha konnte sich einfach nicht entscheiden, was sie auf die Seereise mitnehmen sollte. Und er, der auch noch nicht oft eine Seereise gemacht hatte, konnte ihr bei der Auswahl ihrer Kleidung nicht gerade behilflich sein.
"Weißt du was, Kleines?" sagte er schließlich. "Frag doch einfach Jethro. Der weiß bestimmt, was du mitnehmen mußt."
Als das Paar Uthcaer betrat, hatten sie bereits eine kurze Reise zu Land hinter sich. Fiacha sah zum ersten mal die Küste und das Meer, und sie war kaum noch zu bremsen. "Arkan," rief sie, "schau mal, diese Wellen. Und kannst du das riechen? Riechst du das Meer?" Sie schnupperte wie ein Jagdhund. "Und hör' doch mal. Sind das Möwen? Hören sich so Möwen an? Was ist denn das braune Zeugs, das da im Wasser schwimmt?" Sie stellte Fragen über Fragen, und Arkan bemühte sich sie alle nach bestem Wissen zu beantworten.
Uthcaer war eine kleine Hafenstadt in Tir Krye, das mehrere Kriege überstanden und es von daher nie wirklich zu großem Reichtum gebracht hatte. Die Häuser waren zumeist aus Holz, und an manchen konnte man sogar noch die Spuren von Brandschatzungen erkennen.
Von weitem machte diese Stadt auf Fiacha einen etwas traurigen und sehr düsteren Eindruck. Auf dem Weg zum Hafen schien die Atmosphäre sich jedoch zu lockern. Zwischen Seeleuten und Hafenarbeitern mischten sich Gaukler, Dirnen und Händler, welche ihre Dienste und Waren lautstark feilboten. Kinder und Hunde spielten zwischen den großen Kisten und Säcken, die darauf warteten verladen zu werden. Möwen und andere Seevögel schwebten schreiend über der Hafenanlage, in der Hoffnung von dem frisch gefangenen Fisch einige Happen zu ergattern. Im ersten Moment war Fiacha von den Gerüchen überwältigt: Eine Mischung aus Schweiß, Fisch, Gewürzen und etwas, das sie nicht kannte, strömte in ihre Nase, daß sie sich schütteln mußte.
Zu ihrer Überraschung wurden sie von Jethro bereits am Hafen erwartet.
"Sei gegrüßt, Schwippschwägerin," begrüßte er Fiacha und schenkte ihr ein freundliches Lächeln, als er sie kurz umarmte. Als er sich Arkan zuwandte, wurde das Lächeln zu einem breiten Grinsen. "Na, Arkan, altes Haus," und er klopfte seinem Halbbruder freundschaftlich auf die Schulter. "Wie war eure Reise bisher?"
"Jethro," antwortete Arkan, teils erfreut, teils aber auch mißtrauisch, "Was machst du denn hier?"
"Oh, ich wollte nur dafür Sorge tragen, daß ihr auch gut an Bord der Fein Winde ankommt." An Fiacha gewandt, fragte er: "Und? Sehr aufgeregt?"
"Und wie!" rief die junge Hügelfrau begeistert aus. "Endlich sehe ich das Meer. Und es ist genau so wie du es immer beschrieben hast, Jethro. Einfach fantastisch und schön."
Während Jethro und Fiacha fröhlich miteinander plauderten, verfiel Arkan ins Grübeln. Was machte Jethro hier? Wieso hatte er ein solch großes Interesse daran, daß er und Fiacha an Bord des Schiffes gingen? Ob er etwas plante? Arkan war beinahe soweit, diese Hochzeitsreise nicht anzutreten. Aber es genügte ein Blick auf seine Frau, und er ließ diesen Gedanken wieder fallen. Nie zuvor hatte er Fiacha so glücklich und zufrieden gesehen. Das konnte und wollte er nicht verderben. Und vielleicht meinte es Jethro ja wirklich nur gut mit ihnen. Vielleicht
Jethro begleitete die Eheleute e'dhelcú auf dem schnellsten und sichersten Weg auf das Schiff, wo Schymann Harthward ter Jegge schon wartete, um sie persönlich zu begrüßen. (Arkan gab seinem Bruder ausnahmsweise einmal Recht, als dieser einwandte, daß es die Bewohner Uthcaers sicherlich nicht mit Begeisterung aufnähmen, wenn bekannt wurde, daß der Hügelprinz persönlich in der Stadt war).
Schymann Harthward war etwa sechs Fuß groß, breitschultrig, hatte dunkelblondes, schulterlanges Haar und einen Vollbart. Seine Statur erinnerte Fiacha eher an einen Kneipenwirt. Harthward begrüßte zuerst den Hügelprinzen, und Fiacha verstand zunächst kein Wort von dem, was der große Mann sagte. Arkan schien ihn jedoch verstanden zu haben, denn er lächelte und nickte. "Kaptain Harthward, darf ich Euch meine Frau vorstellen?"
Der Kaptain wandte sich der jungen Hügelfrau zu. Sanft und beinahe vorsichtig nahm er ihre kleinen Hände in seine großen Pranken. Seine Hände waren rauh und schwielig, und Fiacha nahm wieder diesen eigenartigen Geruch wahr. Mit tiefer, rauher Stimme und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht sagte er: "Willkommen an Bord der Fein Winde. Ich hoffe, Ihr werdet diese Reise genießen. Und wenn ich etwas für Euch tun kann, so laßt es mich nur wissen." Fiacha blickte in seine wasserblauen, kleinen Augen und lächelte: "Danke, Kaptain Harthward! Das werde ich."
Während der Schymann sich noch mit Arkan und Jethro unterhielt (Fiacha verstand zunächst nur die Hälfte der Unterhaltung, da sie mit einem eigenartigen Akzent sprachen, und es dauerte ein Weilchen, bis sie sich darauf eingestellt hatte), sah die Tuach na Moch sich auf dem Schiff ein wenig um.
Die Fein Winde war etwas größer als die awyren1 im Hügelreich. Doch im Gegensatz zu den Flugschiffen war dieses hier eher schmucklos. Während die Segel der Flugschiffe zumeist bunt und mit Ornamenten verziert waren, hatte dieses Schiff ein einfarbiges, aus groben Leinen gefertigtes und offensichtlich an mehreren Stellen schon geflicktes Segel, das im Moment jedoch eingeholt war.
Die Besatzung, die sowohl aus Männern, als auch aus Frauen bestand, stand etwas abseits und beobachtete die Gäste mit unverhohlener Neugierde. Die meisten von ihnen waren blond oder braunhaarig und hatten blaue Augen. Vom Körperbau her wirkten sie auf Fiacha etwas grobschlächtig, und man konnte ihnen die harte Arbeit ansehen. Sie sah sogar eine Horde Kinder, die sie eben-falls neugierig beäugten und mit den Fingern auf sie zeigten.
Fiacha lächelte. Auf diese großen Menschen mußte sie wie ein Kind wirken. Einige der frysischen Kinder waren sogar größer als sie selbst. Sie vermutete auch, daß nur wenige der Besatzungsmitglieder jemals einen Tuach na Moch gesehen hatten.
Schließlich rief der Kaptain eine Frau zu sich und wies sie an, den Gästen die Kajüte zu zeigen. Fiacha und Arkan verabschiedeten sich kurz von Jethro, der mit einem eigenartigen Grinsen das Schiff verließ.
Die Frysen-Frau führte Arkan und Fiacha in den unteren Teil des Schiffes. Und wieder nahm Fiachas feine Nase den eigenartigen Geruch wahr. "Das ist Teer," erklärte Arkan auf ihre Frage hin. "Damit werden die Schiffe hier in der Oberwelt wetterfest gemacht."
Während der Führung durch das Schiff erklärte die Frysen-Frau, welche sich als Lynda vorstellte, daß die Fein Winde eine sogenannte "Kogge" sei, klein aber sehr seetüchtig. Ein Teil des Laderaums war extra für Passagiere umgebaut worden, was eine Seltenheit auf frysischen Schiffen darstellte. Stolz erzählte Lynda, daß die Besatzung nur aus Frysen bestand, was auf eine große Sippe schließen ließ, da man ohne nichtfrysische Leute auskam.
Die Kajüte war nicht sehr groß, aber gemütlich eingerichtet. Es stand ein großes hölzernes Bett an der einen Wand, an der anderen standen ein aus grobem Holz gefertigter Tisch und zwei Stühle. Fiacha sah, daß die Einrichtung an Wand oder am Boden befestigt waren und sprach ihre Verwunderung aus.
"Na, es würde bei heftigem Seegang doch alles durcheinander purzeln," lachte die Frysen-Frau. Erstaunt schaute Fiacha ihren Mann an, welcher sich offensichtlich unbehaglich räusperte.
"Heftiger Seegang bedeutet, daß starker Wind oder gar ein Sturm aufkommen könnte, und das Schiff auf dem Meer heftigst hin und her geschaukelt wird."
"Auf dem Meer?" rief Fiacha erstaunt aus. "Ja, fliegen wir denn nicht über das Meer?"
Die Frysen-Frau schaute Fiacha erst verwundert und schließlich mit einem Stirnrunzeln an. "Fliegen?" fragte sie.
Arkan räusperte sich wieder und setzte sein breitetes Lächeln auf, als er sprach: "Ein Übersetzungsfehler schätze ich, gute Frau." Er ging auf Lynda zu, berührte ihren Arm und schob sie sanft, aber bestimmt zur Tür hinaus. "Meine Frau ist wohl etwas müde. Bitte richtet Schymann Harthward meinen besten Dank aus. Und auch Euch danke ich für die Führung." Und er schloß die Tür.
Lynda schnaubte und wandte sich zum Gehen.
Auf dem Gang kam ihr Ryll entgegen.
"Und?" fragte er, "Hast du unsere Gäste gut untergebracht?"
Lynda tippte sich mit einem Finger an die Stirn. "Die Frau ist ja wohl etwas schräg."
"Wieso?"
"Sie glaubt, wir würden über das Meer fliegen."
Ryll dachte kurz nach und antwortete: "Vielleicht meinte sie das im poetischen Sinne?"
"Na, ich weiß nicht," murmelte Lynda. "Schließlich sagt man, sie seien aus dem Hügelreich. Schräg, so oder so."
"Was ist denn los?" fragte Fiacha ihren Mann, als dieser einen tiefen, erleichterten Seufzer ausstieß, nachdem er die Frysen-Frau aus der Kajüte herauskomplementiert hatte.
"Fiacha, es gibt hier in der Oberwelt keine awryen. Genau wie die Boote bei uns auf dem Sereg Ran fahren, so fahren diese Schiffe hier über das Wasser," erklärte Arkan ihr schulmeisterlich. Sein Blick schweifte durch den Raum, bis er offensichtlich gefunden hatte, wonach er suchte. Er ging zu einem Wandschränkchen, öffnete es und holte eine Flasche und zwei Becher heraus.
"Bin ja mal gespannt," murmelte er, während er sich an den Tisch setzte, "was es hier zu trinken gibt." Er goß einen Becher voll und warf Fiacha einen fragenden Blick zu. "Du auch?"
Fiacha nickte und setzte sich zu ihm.
"Du meinst, die ganze Zeit über? Wir fahren die ganze Zeit nur auf dem Wasser?"
Arkan grinste schief und nickte. "Darf gar nicht dran denken," murmelte er leise.
"Ja, aber," wandte seine Frau ein, "wie soll das denn gehen? Das Meer ist doch so groß. Man kann ja nicht einmal das andere Ende sehen. Und ich habe noch keinen morior2 gesehen. Wie orientieren sich die Leute denn?" Ihre Augen wurden groß. "Was ist, wenn wir uns verfahren?"
Der Hügelprinz stutzte und begann laut zu lachen.
"Keine Bange, mein Schatz, wir werden uns nicht verfahren," versicherte er. "Die Frysen sind die besten Seefahrer, die ich kenne. Die können sich sogar nachts orientieren, und das ohne Magie."
Er nahm einen Schluck aus seinem Becher und seine Augen weiteten sich vor Über-raschung. "Hmm," machte er und leckte sich die Lippen. "Man hat wirklich keine Kosten und Mühen gescheut."
Kaum hatte er es ausgesprochen, überkam ihn wieder dieses Mißtrauen. Wieso hatte Jethro soviel Kosten und Mühen auf sich genommen?
Er fuhr mit seiner Erklärung fort. "Auch dieses Schiff hat einen morior, allerdings nicht so wie bei uns. Die kennen das Meer und den Himmel ganz genau. Sie orientieren sich an der Sonne und den Sternen, und sie haben Geräte, die ihnen ebenfalls dabei helfen, den Kurs beizubehalten. Wir werden uns bestimmt nicht verfahren. Die Seefahrt ist den Frysen im wahrsten Sinne des Wortes mit in die Wiege gelegt worden."
Mit einem skeptischen Blick nahm Fiacha einen Schluck aus ihrem Becher und stellte fest, daß es sich um einen wohlschmecken-den Wein handelte.
Arkan schaute seine junge Frau mit einem Lächeln an. "Mach dir keine Sorgen." Er hob den Becher und toastete ihr zu: "Auf unsere Hochzeitsreise!" Fiacha lächelte zweifelnd zurück, stieß mit ihrem Becher gegen seinen und wiederholte: "Auf unsere Hochzeitsreise!"
Fiacha lag an Deck der Fein Winde und sonnte sich. Neben ihr standen ein Becher und eine Karaffe mit einem erfrischenden Getränk.
Arkan schlief noch tief und fest. Nachdem sie sich umgezogen hatten, waren sie gestern von Kaptain Harthward zum Abendessen eingeladen worden. Fiacha hatte zum ersten Mal in ihrem Leben Fisch probiert, und obwohl einige Gerichte sehr fettig waren, hatte es ihr geschmeckt. Es war ein feucht-fröhlicher Abend geworden, und Arkan hatte natürlich mehr getrunken, als er vertrug. Mit einem breiten Grinsen erinnerte sich Fiacha, wie ein großer, narbengesichtiger Seemann den Hügelprinzen ins Bett gebracht hatte.
Sie selbst hatte sich angeregt mit Schymann Harthward unterhalten, der ihr etwas über sein Volk und seine Sippe erzählte. Geduldig beantwortete er die Fragen der Hügelfrau, und sie war mit einem beruhigenden Gefühl der Sicherheit schließlich müde ins Bett gefallen. (Sie war froh, daß sie so müde gewesen war, denn sie hatte das Gefühl, daß Arkans Schnarchen das gesamte Schiff wanken ließ.)
Als sie aufgewacht war, hatte bereits Früh-stück auf dem Tisch gestanden.
Schließlich war sie an Deck gegangen und hatte festgestellt, daß die Fein Winde sich bereits mitten auf dem Meer befand. Der Wind blähte das mächtige Segel auf, und die Mannschaft lief geschäftig hin und her.
Ein junger Fryse hatte sie zu einer Liege geführt, die auf dem Oberdeck stand, und ihr das wohlschmeckende Getränk gereicht. Etwas unsicher zunächst war sie dem jungen Mann gefolgt, doch schließlich paßte sie ihren Gang dem ihres vorangehenden Begleiters an, und sie hatte festgestellt, daß dieser spezielle Schritt das Schwanken des Schiffes sehr gut ausglich.
Vom Oberdeck aus konnte Fiacha das Treiben auf dem Schiff beobachten. Sie sah den Steuermann, der mit festem Griff die Ruderpinne hielt; sie sah die Männer und Frauen, wie sie gemeinsam an irgendwelchen Tauen zogen oder sie zusammenrollten; sie hörte der eigenartigen Sprache zu, mit der die Mannschaft sich Kommandos und anderes zurief. (Fiacha nahm sich vor, diese Sprache einmal zu lernen, denn sie war davon überzeugt, daß ihr eine ganze Menge entging.) Irgendwann stimmte jemand ein Lied an, und die Mannschaft fiel in den Gesang ein. Die Melodie war einfach, und die Arbeitsgänge begannen sich dem Rhythmus anzupassen, was die Arbeit wohl einfacher zu machen schien.
Genüßlich schloß Fiacha nach einer Weile die Augen und lauschte dem Gesang der Frysen, der begleitet wurde vom Rauschen der Wellen und dem Knarren des hölzernen Schiffes, das sich darauf wog. Sie entspannte sich, genau wie sie es damals in den Wäldern ihrer Heimat getan hatte.
'Das nenne ich Ferien!' dachte sie glücklich.
Sie mußte eingenickt sein, denn plötzlich nahm sie lautes und rauhes Johlen und ein wütendes Schimpfen wahr. Erschrocken riß sie die Augen auf, denn sie erkannte die schimpfende Stimme sofort.
"Laßt mich los, Ihr Seeungeheuer," schrie Arkan.
Nachdem sich ihre Augen an das Sonnenlicht gewöhnt hatten, konnte Fiacha eine Gruppe an der Reling stehen sehen. Sie sprang von ihrer Liege auf und lief hinüber. Sie versuchte sich durch die Gruppe hindurchzudrängeln und als sie nicht durch kam, krabbelte sie schließlich unter ihren Beinen hindurch. Nachdem sie sich aufgerichtet und über die Reling geschaut hatte, traute sie ihren Augen nicht.
Arkan hing strampelnd an einem Tau, das ein großer kräftiger Fryse an der Reling befestigt hatte. Der Fryse ließ das Tau ständig auf- und abwippen, so daß der Hügelprinz immer wieder in das Meerwasser getaucht wurde, und begleitet wurde er von dem Lachen und Gejohle der umher stehenden Frysen.
Irgendwer rief Arkan etwas zu, was dieser mit einer obszönen Geste beantwortete. Diese Geste schienen selbst die Frysen zu kennen, denn sie lachten laut auf.
Als der Fryse mit dem Tau Fiacha gewahr wurde, hielt er Arkan über Wasser.
"Darf ich fragen, was Ihr hier macht?" fragte sie den Mann mit gespieltem Ernst.
"Muschelsuchen," antwortete der Mann und erntete damit wieder das Gelächter der umherstehenden Gruppe.
"Muschelsuchen?" fragte Fiacha erstaunt.
Zur Erklärung zeigte der Fryse an der äußeren Bordwand des Schiffes hinunter. "Seht Ihr dort die Muscheln, die sich im Laufe der Zeit an die untere Seite des Schiffes gehaftet haben?"
Fiacha mußte sich weit über die Reling lehnen, um die Muscheln sehen zu können.
"Aha," machte sie. Sie sah die Frysen hinter sich lächelnd an, lehnte sich wieder über die Reling und rief Arkan zu:
"Vergiß nicht, Schatz, mir eine schöne Muschel mitzubringen, ja?"
Dann ging sie wieder zu ihrer Liege auf dem Oberdeck, - das brüllende Gelächter der Frysen hinter sich lassend.
Wie zu erwarten war, schmollte Arkan den Rest des Tages mit ihr. Beinahe eine Stunde hatte der Hügelprinz an dem Tau gehangen, bis man ihn schließlich völlig durchnäßt wieder hoch gezogen hatte. (Er hatte versucht, die Zeit zu beschleunigen, aber war aus irgendeinem Grunde nicht dazu in der Lage gewesen, was ihn äußerst beunruhigte. Er hoffte, daß seine Panik der Grund dafür gewesen war
)
Wütend war er in die Kajüte gestapft und knallte die Tür hinter sich zu. Fiacha ließ ihn toben und hörte sich geduldig und innerlich grinsend die Vorwürfe an:
"Ich hätte ertrinken können. Ein Hai hätte mich fressen können
."
'Wohl kaum,' wollte Fiacha erwidern, biß sich aber auf die Lippen.
"Ich hätte an der Bordwand mich verletzen können. Und was wäre gewesen, wenn das Tau gerissen wäre? Hä? Daran hast du wohl nicht gedacht, nicht wahr?"
Seufzend reichte Fiacha ihm die frischen Kleider. Arkan hatte ein heißes Bad genommen, und auf dem Tisch stand bereits ein heißes Getränk, das streng und hoch alkoholisch roch.
"Ach, Arkan, das Tau war ziemlich dick. Es wäre niemals gerissen," wandte seine Frau ein. "Außerdem es war doch nur Spaß!" "Sicher," brummte er böse. "Spaß auf meine Kosten!"
"Och, nun sei doch wieder gut. Du verdirbst mir ja noch die Hochzeitsreise,"
schmollte Fiacha. Arkan wollte einwenden, daß es ihm völlig egal wäre, und daß ihm nichts, aber auch gar nichts an dieser Hochzeitsreise läge, und daß es bestimmt Jethros Idee gewesen wäre
Und er machte sich Sorgen, daß er nicht in der Lage gewesen war, Zeitmagie zu wirken.
Aber als er seine Frau ansah, verkniff er sich die Bemerkungen. Das letzte, was er wollte, war Streit mit ihr, und daß sie dachte, er wäre paranoid
.
Der Hügelprinz atmete einmal tief durch, räusperte sich und legte die Hände auf Fiachas schmale Schultern.
"Na gut," und er versuchte zu lächeln. "Sie hatten ihren Spaß, und es ist ja nichts passiert. Vergessen wir's!"
Daraufhin erwiderte Fiacha das Lächeln, küßte ihm auf die linke Wange und sagte: "Und ob das ein Spaß war! Du hättest dich mal sehen sollen, wie du da gehangen hast, zappelnd wie ein Schwertfisch
.."
Und Arkan schloß, eine neue Wutwelle unterdrückend, die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus
..
Als Fiacha am nächsten Tag aufwachte, stellte sie erstaunt fest, daß Arkan nicht neben ihr im Bett lag. Normalerweise war sie immer vor ihm wach. Aber vielleicht hatte sie heute den Schlaf auch gebraucht, denn schließlich war es eine lange Nacht gewesen
Behaglich räkelte sie sich und überlegte, ob sie sich noch einmal umdrehen und weiterschlafen sollte. Doch sie entschied sich dagegen. Langsam stand sie auf. Ein kleines Liedchen summend wusch sie sich und zog sich an. Dabei stellte sie fest, daß Arkans Kleidung, die er gestern Abend noch getragen hatte, immer noch wild verstreut in der Kajüte herumlag. Stirnrunzelnd sammelte sie sie auf und legte sie zur Schmutzwäsche.
'Soweit kommt das noch, daß ich hinter ihm herräume,' dachte sie leicht verstimmt. 'Dem werd' ich was erzählen!'
Fiacha suchte die Kombüse auf, wo ein etwas pummeliger Smutje ihr ein deftiges Frühstück und (zu ihrer großen Freude) Kaffa reichte. Der Smutje grinste sie breit an, - und die junge Hügelfrau lächelte dankbar zurück.
Als sie an Deck kam, schien die Sonne bereits hoch am Himmel, und ihre Augen brauchten eine Weile, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen.
Schließlich sah Fiacha sich um, - und ihr blieb der Mund vor Staunen offen stehen. Das Bild, das sich ihr bot, war zu ungewöhnlich, als daß sie es zunächst glauben konnte.
Nicht weit von ihr entfernt sah sie Arkan auf dem Boden knien, einen Holzeimer neben sich, und mit einer Handbürste das Deck schrubben. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er war immer noch mit seinem Nachtgewand gekleidet.
Langsam und vorsichtig näherte sie sich ihrem Gatten.
"Ja, Arkan," sprach sie ihn an. "Was, bei Moch, machst du denn da?"
Ruckartig hob der Hügelprinz den Kopf und kleine, wütend blitzende Augen sahen sie an.
"Wonach sieht das wohl aus?" knurrte er.
Sein Blick irrte umher, als suche er jemanden. Und tatsächlich: Nicht weit von ihnen entfernt saß ein großer, breiter Fryse auf einigen aufgerollten Tauen und reinigte sich mit einem Dolch die Fingernägel. Er hob kurz den Kopf, grinste das Hügelpaar an und wandte sich wieder seinen Fingernägeln zu.
"Ja, aber warum machst du das?" fragte Fiacha. Sie wußte nicht, ob sie lachen oder entsetzt sein sollte. Wie kam Arkan dazu das Deck der Fein Winde zu schrubben?
"Weil ich dazu gezwungen worden bin," fauchte er sie an. "'Komm, Arkan', haben sie gesagt, 'wir machen jetzt Deckspiele!' Und dann haben sie mich aus meinem Bett geholt und nach oben gebracht. Und du," schimpfte er, "du hast nichts gehört und weiter geschlafen!" Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Deckspiele?" wiederholte Fiacha fragend.
"Ja, Deckspiele!" schnauzte der Hügelprinz. "Zwei riesige Kerle zwangen mich auf die Knie, gaben mir den Eimer und die Bürste und traten mir," sichtlich beschämt schlug er die Augen nieder, "
.in den Hintern. Und jedesmal, wenn ich aufstehen wollte oder aufhörte, traten sie mich. Wieder und wieder taten sie das." Seine Stimme begann weinerlich zu klingen. "Und das tut ganz schön weh, das kann ich dir sagen."
Hilfesuchend sah er seine Frau an.
Diese beugte sich zu ihm runter. "Du Ärmster!" sagte sie und küßte ihm die Stirn.
Als sie sich wieder aufrichtete, fragte Arkan verdutzt: "Ja, willst du denn nichts dagegen unternehmen?"
"Ich?" Fiacha zeigte mit dem Finger auf sich selbst. "Wie soll ich denn was unternehmen?"
Seufzend sank Arkan in sich zusammen.
"Hey, Hügelmann," rief plötzlich der Fryse, der auf den Tauen saß. "Du bist noch nicht fertig." Er blickte zum Himmel auf. "Du hast noch einiges vor dir!" Sein Lachen war rauh und laut.
Fiacha sah sich um. Die anderen Besatzungsmitglieder gingen einfach an ihnen vorbei, doch die Mocha bemerkte, daß sie hier und da verstohlen zu ihnen herüber schauten, grinsten oder kicherten.
Fiacha wußte nicht, ob sie auf die Frysen wütend sein sollte oder nicht. Sie beschloß mit Schymann Harthward zu sprechen.
"Wo willst du denn hin?" fragte Arkan entsetzt, als sie sich zum Gehen wandte.
"Ich rede mit dem Kaptain. Mal sehen, ob er seiner Mannschaft nicht befehlen kann, daß man dich in Ruhe läßt."
Auf dem Weg zur Kaptains-Kajüte überlegte sie, wie sie Harthward dazu bringen könnte, die "Deckspiele" abzubrechen. Aus irgend-einem Grunde hatte man es hier wohl auf Arkan abgesehen, und sie wollte wissen warum. Hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen, daß man ihn so behandelte? Die "Muschelsuche" war ja noch spaßig gewesen, - aber ihn mit Gewalt zur Arbeit zu zwingen, das ging dann wohl doch etwas zu weit.
Obwohl
Fiacha blieb stehen. Ein bißchen Arbeit hatte noch nie jemanden umgebracht, überlegte sie. Sie sah sich nochmal nach ihrem Gatten um, der mühsam und mit wütendem Blick das Deck säuberte. Arkan war der Hügelprinz, und das schon seit langer Zeit. Wann, so fragte sie sich, hatte er eigentlich das letzte mal so richtig arbeiten müssen? Und warum wirkte er nicht Zeitmagie, um seine "Arbeitszeit" zu verkürzen?
Fiacha schüttelte den Kopf. Sollte Arkan doch einmal für sich selbst denken und handeln. Wieso sollte sie es sich mit dem netten Kaptain verscherzen, nur weil man seine Späße mit ihm trieb?
Lächelnd betrat die junge Tuach na Moch die Kaptainskajüte, - und das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht. Dort saß neben dem Kaptain ihr Schwager Jethro Cunack, und die beiden Männer prosteten sich gerade zu.
"Jethro," rief sie. "Was machst du denn hier?"
Der Halbbruder des Hügelprinzen hatte gerade zum Trinken angesetzt und verschluckte sich.
Nach einer kurzen, lautstarken Hustattacke fand er endlich seine Haltung wieder und grinste die Frau seines Bruders an.
"Fiacha, meine Gute," grüßte er, und Fiacha neigte mißtrauisch den Kopf. "
Schwägerin," fügte Jethro hinzu.
Mit einem Mal war ihr alles klar. Jethro war für die Unannehmlichkeiten, die Arkan auf dieser Reise in Kauf nehmen mußte, verantwortlich. Davon war sie überzeugt.
Sie schaute ihren Schwager so durchdrin-gend wie es ihr möglich war an, - und sie erkannte, was vorgefallen war. Jethro hatte sich mit Ery van Frysia abgesprochen; er hatte für die Reise bezahlt, nur um zu sehen, wie die Frysen ihren Spaß mit seinem Bruder trieben. Dafür hatte er sogar noch etwas draufgezahlt.
Die junge Hügelfrau sah die Bilder seiner Erinnerung und schüttelte den Kopf.
"Du solltest dich schämen," sagte sie vorwurfsvoll, - doch sie konnte nicht verhindern, daß ihre Augen amüsiert blitzten.
Jethro sah es und grinste sie breit an.
"Später vielleicht," antwortete er.
Fiacha sah sich in der Kaptainskajüte nach einer Sitzgelegenheit um. Schymann Harth-ward schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er stand auf, bot ihr seinen Stuhl an und zog sich eine große, schwere Kiste heran, auf die er sich setzte. Er reichte der Mocha einen Becher, und die beiden Männer prosteten ihr zu.
"Aber," Fiacha sah Schymann Harthward vorwurfsvoll an, "wieso wendet Ihr Gewalt an, um meinen Gatten zu 'Deckspielen', wie Ihr es nennt, zu zwingen?"
Der Kaptain schaute sie überrascht an. "Gewalt?" fragte er. "Es wurde keine Gewalt angewendet, Prinzessin." Fiacha zuckte bei dieser Bezeichnung sichtlich zusammen.
"Fiacha," murmelte sie, "nennt mich einfach nur Fiacha, Schymann."
Der Mann grinste breit. "Und nennt Ihr mich einfach nur Harthward."
Die Hügelfrau nickte zufrieden.
"Wir haben keine Gewalt angewendet, Fiacha," wiederholte Harthward. "Gestern Abend hatte er noch zugestimmt."
"Zugestimmt? Arkan?" fragte sie zweifelnd und sah ihren Schwager an, der sich zurückgelehnt hatte und der Unterhaltung mit offensichtlichem Vergnügen folgte.
"Arkan würde niemals zustimmen, wenn es um körperliche Arbeit geht," sagte Fiacha.
Harthward grinste zurück. "In diesem Falle doch. Euer Gatte kam gestern Abend zu mir und wollte wissen, wer oder welcher Umstand für die Muschelsuche gestern verantwortlich war. Als ich ihm sagte, es habe etwas mit dem Krähennest zu tun, gab er sich mit dieser Information nicht zufrieden."
Fiacha sah den Frysen verdutzt an. "Mit dem Krähennest?" fragte sie, und Harthward lächelte geheimnisvoll.
"Daraufhin, " fuhr der Kaptain fort, "wollte er Einzelheiten wissen. Und natürlich wollte ich mir diese Informationen bezahlen lassen."
"Bezahlen?" hakte Fiacha nach.
Jethro Cunack, der bisher breit grinsend zugehört hatte, lachte auf.
"Du mußt wissen, Fiacha," sagte er, "Frysen lassen sich alles bezahlen, - insbesondere für Informationen."
"Aha," machte die kleine Frau nachdenklich. "Und die Bezahlung
?"
"
bestand darin," beendete Schymann Harthward den Satz, "daß er das Deck schrubbt."
Jetzt, da sie wußte, wer für Arkans "Unannehmlichkeiten" verantwortlich war, konnte Fiacha aufatmen. Ihr war nun auch klar, wer verhindert hatte, daß Arkan auf dem Schiff Zeitmagie wirken konnte.
"Und was hat es jetzt mit dem Krähennest auf sich?" fragte sie vorsichtig, woraufhin der Kaptain breit grinste.
"Was zahlt Ihr mir für diese Information?" fragte er.
Fiacha seufzte und winkte ab.
"Vergeßt es, guter Mann! Ich will es nicht wirklich wissen."
Nachdem sie getrunken hatten, fragte Fiacha ihren Schwager: "Aber erklär' mir doch bitte noch eins, Jethro: Wie hast du es geschafft, die ganze Zeit unbemerkt an Bord zu bleiben? Wo hast du dich nur versteckt gehalten?"
Jethro Cunack zwinkerte ihr mit einem Auge zu.
"Das bleibt mein Geheimnis!" antwortete er.
Aber da sah Fiacha seine Erinnerungen und mußte herzhaft lachen.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie Jethro, wie er zusammengekauert oben am großen Mast im Krähennest hockte.
ENDE
1 awyren = Flugschiffe im Hügelreich
2 morior = Navigator eines Flugschiffes
Arkans Hochzeitsreise
Fiacha
Carolin Gröhl