Diese Geschichte wurde von mir im Jahr 1991 verfaßt, einem Jahr, in welchem ich erst mein zweites Fest besuchte und von den Geschehnissen auf Magira, sowie vielen Zusammenhängen maximal ein rudimentär zu nennendes Wissen aufwies.
Des weiteren war mein Stil damals noch ein etwas anderer als er es heutzutage ist und ich würde wohl einiges anders formulieren, würde ich die Geschichte heute schreiben. Beispielsweise fiele meine Wortwahl wohl in einigen Fällen auf archaischere Begriffe. Dennoch habe ich mich entschlossen, die Story im Originalzustand zu belassen (mit minimalen Änderungen, wenn meiner Ansicht nach unbedingt vonnöten. Die Frysen hießen damals gerade mal Kryer. Da es sich dabei wohl um eine Massenhalluzination gehandelt haben muß, habe ich die Bezeichnung "Kryer" durch "Frysen" ersetzt. Die restlichen Änderungen sind rein kosmetischer Natur).
Hier liegen jedenfalls unter anderem die Grundlagen und Wurzeln für die Hügelenzy, wie sie heute existiert. Von daher sortiere ich sie heutzutage unter "Hügelvolk" ein.
Personen, welche keine intimen Kenner meiner Enzy sind, werden vielleicht die Absätze in Großbuchstaben eigentümlich vorkommen. Nein, es handelt sich nicht um den von mir geliehenen Tod von Pratchett... In einer meiner ersten Geschichten nimmt der junge Jethro Cunack in einer instinktiv zu nennenden Reaktion und wohl eher ohne direkten lenkenden Einfluß, das Bewußtsein eines Dämons namens Cherdrak in seinem Geist gefangen. Normalerweise sind die Bande, welche Cherdrak dort halten stark genug, um ihn zu einem Beobachter zu degradieren, zu keinerlei Handlungen fähig. Unter besonderen Umständen jedoch lockern sich diese Fesseln und der Dämon versucht, die Kontrolle über Jethro zu erhalten.
Der Text wurde von mir aus Sonderfollow IV gescannt. Ich habe ihn selbstverständlich nacharbeiten müssen und hoffe, daß mir (und der Rechtschreibprüfung des heiligen Gates) kein Fehler entgangen ist. Falls doch jemand welche findet wäre ich für Hinweise dankbar.
Holzi
***
Pang!
Plötzlicher Schmerz durchfuhr meinen ohnehin schon dröhnenden Schädel, als er hart auf die Tischplatte schlug. War ich doch schon wieder eingenickt. Ich erhob meinen Oberkörper und versuchte, meine Augen wieder auf die Seiten des Buches zu fokussieren, das vor mir den Tisch einnahm. Von draußen hörte ich bellende Befehle; der Segelmeister scheuchte seine Jungs wieder mächtig umher. Sollte er nur! Wenn die Seeleute beschäftigt waren, konnten sie sich wenigstens keine Gedanken um mich machen. Unglaublich, wie sehr viele der Matrosen mir mißtrauten. Und eigentlich konnte ich sie dafür nicht einmal verdammen, vertraute ich mir doch kaum selbst.
Der einzige Freund den ich damals besaß war Bryn ter Haven, der Kapitän der 'Haifisch'. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten seine Leute mich vermutlich nach der ersten Illusion einer Seeschlange, die ich auf ein gegnerisches Schiff hetzte, an den Mast genagelt. Naja, das Leben an Bord eines frysischen Freibeuters war eben kein leichtes. Beim Gedanken an Bryn drang nun auch ein Schnarchen aus der Nebenkabine in mein Bewußtsein. Er schlief noch, nach unserem kleinen 'Fest' der letzten Nacht auch kein Wunder! Hatte er mich doch wieder einmal zum Alkohol verführt. Ich würde auf alle Fälle in den nächsten Tagen kein Blauwasser mehr anrühren!!
Mein Blick wanderte wieder zum Folianten zurück. Neugier übermannte mich und ließ mich sogar fast den stampfenden Dämonenchor in meinem Kopf vergessen. Die Buchstaben reihten sich zu Worten, die Worte zu Sätzen. Die Sätze wiederum blieben bisher ohne Sinn für mich. Es mußte sich hierbei wohl um einen uralten thuathischen Dialekt handeln. Aber was für einen!
»Zu gehen... den langen Weg... in Eile« übersetzte ich mühsam.
Was sollte das nur, was konnte das bedeuten?
»Aus dem kleinen... Schritt wird eine... große Reise«
Hm...
»Magira wird klein im... Angesicht des Tesheras«
Bei Tesheras, soviel hatte ich bereits herausgefunden, schien es sich um einen lange vergessenen Magus gehandelt zu haben, der sich mit Dimensionsmagie beschäftigt hatte. Aber was sollte das? Es folgte eine Anleitung, um magische Energien auf den eigenen Körper zu lenken! Unglaublich! Welchem Zweck sollte so etwas dienen? Vollkommen verrückt! Ob ich? Nein! Viel zu gefährlich!
***
ER REGTE SICH.
ZUM ERSTEN MAL SEIT LANGER ZEIT.
SAH DURCH AUGEN, DIE NICHT SEINE AUGEN WAREN.
ODER VIELLEICHT DOCH?
WAR DA EINE CHANCE SEINEM KERKER ZU ENTKOMMEN, ODER WENIGSTENS SELBST ZUM KERKER
ZU WERDEN?
WARTEN ...
UND WARTEN WAR ETWAS. DAS ER SEHR GUT VERSTAND!
***
Ich stand am Bug der 'Haifisch' und ließ mir den salzigen, aromatischen Wind ins Gesicht wehen. Wenigstens ging es mir jetzt bedeutend besser. Meine Gedanken wanderten zu dem Buch zurück, das in meiner Kajüte auf mich zu warten schien. Sollte ich einen Versuch wagen? Einen Versuch, der mir nach allem was mir meine Lehrer beigebracht hatten als völlig abwegig erschien? Am Horizont erschien ein purpurner Streifen, der erste Vorbote der beginnenden Nacht. Die Nacht. Mein alter Prinzipal hatte einmal gesagt, die Nacht sei meine eigentliche Zeit. Ein Ausspruch, den ich niemals recht verstanden hatte. Ich versuchte das Buch aus meinem Geist zu verdrängen, aber etwas, das ich nicht in den Vordergrund meines Bewußtseins zu bringen vermochte, schien mich regelrecht zu dem alten Schriftstück hinzuziehen. Etwas, das ich nicht begreifen konnte?
Vielleicht verstand ich nur zu gut!
***
EINE MÖGLICHKEIT...
VORSICHTIG.
EINFLUSS NEHMEN.
GEDANKENANSÄTZE IN RICHTIGE RICHTUNGEN DRÄNGEN.
VORSICHTIG! EINE MOGLICHKEIT. RUHE!
NICHT DER UNRUHE VERFALLEN.
VIELLEICHT...
***
Flackerndes Licht. Eine Öllampe, ein Beutestück irgendeines Überfalls an den ich mich nicht mehr erinnern konnte, versuchte die Finsternis in meiner Kabine zu vertreiben. Wenigstens reichte das Licht aus, die Dunkelheit über den Seiten des Buches zu besiegen.
Sollte ich wirklich? Egal! Neugier besiegte Furcht. Wissensdurst besiegte klares Denken. Die Worte schienen mich anzuspringen.
***
WEITER!
RUHE!
NUR RUHIG!
***
Ich mußte es versuchen, hätte keine Minute ruhig schlafen können, ohne dieses Experiment durchzuführen. Konzentration, Konzentration auf die Worte, die Rituale, die Kanalisation der Kräfte auf MEINEN EIGENEN KÖRPER. Die Strömung des allgegenwärtigen magischen Feldes spürend. Bereitete ich mich auf die Auswirkungen vor. Doch darauf hatte ich mich nicht im geringsten vorbereiten können...
***
Der Prinz des Hügelvolkes saß auf einem Meditationsstein in der Ahnengalerie. Ein ungutes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Irgend etwas vorzugehen, etwas das ihn betraf und auf das er geringen Einfluß hatte. Dieses Gefühl gefiel ihm, der er immer danach trachtete alles unter Kontrolle zu halten. Doch dann besann er sich auf eine Philosophie seines Volkes: Die Anerkennung des Unvermeidlichen.
***
Ich konnte doch nicht... Ich hatte wirklich...
Oh Nein...
OH JA!
***
Schmerz, Agonie. Was hatte ich getan? Ich hatte... Ja was eigentlich? In meinem Bewußtsein befand sich ein klaffendes Loch. Schmerzhaft für jemanden, der sich seiner selbst immer sehr intensiv bewußt war, ja, bewußt sein mußte. Mußte ich das? Wer war ich? Mit aller Kraft versuchte ich, mich an MICH zu erinnern. Ein Name tauchte in meinem Geist auf. Mein Name?
CHERDRAK!
Nein, er paßte nicht.
Cherdrak.
Nein! Nein!
Cherd...
Cunack!
***
AAAH! NOCH HAT ER MICH NICHT BEZWUNGEN! NOCH NICHT!
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Arkan verließ den Meditationsstein, erleichtert doch nicht ruhiger. Irgend etwas ging vor. Doch möglicherweise war er, der er gewohnt war sich Sorgen zu machen, nur zu aufgeregt, zu überdreht. Vielleicht war nichts. Alles nur eine Illusion seines überbeanspruchten Geistes. Die Sorge um sein Volk, um Cor Dhai. Um Aivia... So viele Sorgen. Wahrscheinlich nur seine überreizte Phantasie!
***
Kapitän Bryn ter Haven stand am Bug seines Schiffes und grübelte. Flaute! Verdammte, dreimal verteufelte Flaute. Er mochte die Untätigkeit nicht, die ihm durch das Wetter aufgezwungen wurde. Wenn die Windstille noch drei, vier Tage anhielt, würde die 'Haifisch' ernste Probleme bekommen. Der Proviant und vor allem das Wasser...
»Kapitän! Kapitän!« Die Stimme von Piete, dem Schiffsjungen schnitt schrill durch seine Gedankengänge.
»Kapitän!« Vollkommen enerviert erreichte Piete den Frysen. Seine Augen waren weit aufgerissen und an einer Schläfe rannen zwei Schweißperlen herab.
»Oh Kapitän, es ist schrecklich, furchtbar. Kommt schnell!«
Bryn, der die Ausbrüche seines Schiffsjungen gewöhnt war, wandte sich um.
»Was ist denn schon wieder?«
»Meister Cunack, Herr. ich glaube ... er ist tot!«
»WAS?? Rede Junge!«
»Ich... ich ging in seine Kabine, um ihm seinen Waschkrug und sein Essen zu bringen. Und da lag er. Auf seiner Koje. Und... er atmete nicht! «
Der Kommandant der Haifisch zögerte keinen Moment, rannte in Richtung des Unterdecks, stolperte die Stiegen herunter und öffnete die Türe. Und tatsächlich, da lag er.
»Holt den Medicus!«, rief er bevor er den Körper seines Freundes erreichte. Bryn legte seine Hand auf den Brustkorb des Magiers und sein Ohr über dessen Mund. Nichts. Zwei schnelle Ohrfeigen. Keine Reaktion.
»Quacksalber! Verdammt, wo bleibst Du?«
***
»Ich kann das nicht verstehen, mein Kapitän. Er atmet nicht, sein Herz schlägt nicht, und doch wird sein Körper nicht kalt,« sagte der Medicus Stunden später zu Bryn.
»Ich denke, er ist tot; jedoch, bei Mol! Er war ein Magier...«
»Nein!« Bryn war erschüttert. »Aber wieso?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Ruhe senkte sich über das Schiff. Der Fryse erhob sich, unterdrückte das Schaudern, das ihn durchfuhr. und wurde wieder zu dem kalten, überlegenen Kapitän, der er sein mußte.
»Bereitet ein Seemannsbegräbnis vor!«
Dann zog er sich in seine Kajüte zurück. »Möge Hardevaddar ihm gewogen sein.« Voller Trauer barg er sein Gesicht in den Händen.
***
Arkan stand auf einem der zahlreichen Türme Cor Dhais und blickte weit über die Stadt. Obwohl er sie nun schon so lange kannte erfreute er sich an ihrer Schönheit. Jedoch wurde seine Freude durch eine ungute Vorahnung überlagert. Das Gefühl der Unruhe hatte sich seit seiner Meditation verstärkt. Sollte irgendwelches Unheil versuchen, dem stillen Volk zu schaden? Schwer zu glauben. Die Barrieren der Zeitmagie waren so fest wie eh und je. Doch wußte er, daß auch sie nicht unüberwindbar waren. Und jede Wesenheit, die versuchte sie zu durchdringen, konnte nur Übles im Schilde führen. Da Arkan wußte, was er von seinen Ahnungen zu halten hatte, beschloß er, sich zu wappnen.
***
Wo mochte ich mich befinden? Es war so finster wie in einem Bärenar... eh... Walmagen. Was konnte nur eine solche Dunkelheit verursachen? Etwas Licht wäre nicht das Übelste gewesen, in diesem Moment. Hatte ich da nicht etwas Wichtiges vergessen?
Unerwartet durchzuckte mich wie ein Blitz eine Idee, ebenso genial wie einfach: Ich öffnete meine Augen!
***
Einer Eingebung folgend, kontrollierte der Prinz des Hügels die Knotenpunkte der magischen Barrieren. Er betrat eine der Matrixorte, an denen die Cystire lagerten, jene geweihten Steine, die unter anderem die Abgrenzung zur restlichen Welt aufrecht erhielten. Die anwesenden Cystiror, die Steinwächter, deuteten schweigend eine Verbeugung an.
In der Mitte des elliptischen, fünf bei vier Mannslängen durchmessenden Raumes ruhte auf einem Podest der Stein und pulsierte in einem aquamarinblauen, unwirklichen Licht. Es schien alles in Ordnung. Oder war das Pulsieren kaum merklich schneller als üblich? Arkan wurde sich bewußt darüber, daß er diese Orte in letzter Zeit viel zu selten aufgesucht hatte. Nacheinander musterte er die sechs Wächter, dann wieder den Cystir. Sollte einer der Männer etwas Ungewöhnliches wahrnehmen, das wußte er, so wäre er sofort benachrichtigt worden. Also war wohl doch alles in Ordnung. Arkan nickte den Wachen ernst zu, drehte sich herum und verließ den Raum, um sich auf den Weg zum nächsten Matrixpunkt zu begeben.
***
Vielleicht hätte ich meine Augen geschlossen lassen sollen. Das was ich sah trug dazu bei, meine Stimmung bis zum Nullpunkt zu drücken. Nach einem raschen Rundblick stellte ich fest, daß ich mich auf einer schier unendlichen Ebene befand, die aus stumpfgrauem Staub zu bestehen schien. Der Himmel besaß eine ähnliche Färbung, wenngleich er auch etwas heller war als der Boden unter mir. Ohne daß man auch nur irgendwo eine Erhöhung, ein Bauwerk oder einen Baum sah, erstreckte sich der Staub in alle Richtungen. Irgendwo, weit fort, vereinigten sich Hell- und Dunkelgrau zu einer Parodie eines Horizonts. Wo, bei den Göttern, mochte sich dieser absonderliche Ort befinden? War das vielleicht der Tod? Wenn ja, dann war er außer grau und eintönig auch noch immens langweilig!
Ich erhob mich und klopfte mir den Staub von der Kleidung (grau). Der Himmel, oder das was ich dafür hielt, war ein homogenes, gleichförmiges - Grau. Keine lebensspendende Sonne erhellte ihn. Woher das Licht kam war mir völlig unverständlich. Zum zweiten Male fragte ich mich wo ich mich befand.
Möglicherweise konnte mir die Beschaffenheit des magischen Feldes an diesem Ort Aufschluß bringen. Ich begann damit, mich zu konzentrieren.
Aber...?
Nochmal...?
Und ein weiteres Mal...?
Ich vermochte es kaum zu glauben. Selbst an den magieärmsten Orten Magiras gab es ein Minimum an Feldenergie. Hier jedoch, NICHTS!
Ich wünschte mir, ich würde mich mit den Elementarkräften auskennen. Eventuell hätte ich ja Kraft aus dem grauen Boden entziehen können. Ein Anflug von Resignation überkam mich. Ich verdrängte diesen Gedanken so wie er auftauchte. So schnell aufgeben? Nein!
***
Die Flasche Blauwasser auf dem Tisch war bereits zur Hälfte geleert. Bryn ter Haven goß seinen Humpen noch einmal voll. Er nahm den Becher zur Hand und tat einen tiefen Zug. Erinnerungen wehten durch seinen Geist. Wie überrascht war er als er erfuhr, daß seinem Schiff ein Magier zugeteilt worden war. Wie abschätzend er den Mann musterte, als er ihm vorgestellt wurde. Erstaunen darüber, daß der Magier sehr wohl verstand sein Leben nicht nur mit seiner Kunst, sondern auch mit seinem Dolch zu verteidigen. Kaum konnte er glauben, Jethro sollte einfach so von dieser Welt gegangen sein. Nach der Zeit in der er den jungen Magus kannte, hatte er immer geglaubt, wenn Cunack einmal diese Welt verlassen würde dann hätte er dies wohl mit irgendeiner Art Knalleffekt bewerkstelligt. Einfach SO zu sterben...Unpassend war wohl das rechte Wort.
Der Becher - schon wieder leer. Seine Hand griff zur Flasche.
***
Casdarron der Medicus begab sich zur Kabine des Illusionisten, um ihn für seinen Weg zu den Göttern vorzubereiten. Er betrat das kleine Zimmer und entzündete eine Lampe. Wenige Schritte brachten ihn zur Lagerstatt des Toten. Seltsame Schatten tanzten über die Leiche und ließen sie unwirklich und durchscheinend wirken.
Casdarron runzelte die Stirn. Das war keine Einbildung! Abrupt drehte er sich um, eilte in Richtung Bryns Kabine.
***
»Er tut was?«
Bryn ter Haven blickte seinen Heiler an. Wer hatte hier getrunken, er oder der Medicus?
»Wenn Ihr mir nicht glaubt, dann folgt mir!«
Und wirklich, Jethros Gestalt auf dem Bett war durchscheinend, unwirklich. Man .schien die Decke unter seinem Körper durchschimmern sehen zu können! »Was ist das, im Namen der Götter?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung! «Casdarron schien verstört. Bryn wandte sich seinem Freund zu und streckte eine Hand aus um ihn berühren. Seine Hand durchdrang den Körper, spürte nur geringen Widerstand. Möglicherweise ging Jethro Cunack doch mit einem Knalleffekt von dieser Welt.
***
Der Bote neigte kurz den Kopf und blickte den Hügelprinzen dann an: »Es ist etwas geschehen, das Eure Anwesenheit notwendig macht, Arkan.«
»Was gibt es? Sprich!«
»Ich denke, Ihr solltet Euch das persönlich ansehen. Folgt mir zum sechsten Cystir!«
Arkan erhob sich, wohl wissend, daß etwas Außergewöhnliches geschehen war. Hatten seine Ahnungen doch Recht behalten.
Der Zeitstein pulsierte im immer gleichförmigen Rhythmus wie seit Anbeginn des Lebens. Die Cystiror bemühten sich, ihre stoische Ruhe aufrecht zu erhalten. Eine gewisse Spannung erfüllte den Raum.
»Wie lange ist dies schon so?« Auch Arkan war beunruhigt.
»Seit der dritten Stunde, Herr.«
Vor dem Podest auf dem der Stein ruhte, lag eine durchscheinende, pastellfarbene Gestalt auf dem Boden und schien zu schlafen. Der Prinz des Hügels. ließ sich vor der immateriellen Gestalt auf ein Knie nieder und streckte eine Hand aus. Einer der Cystiror trat vor und rief: »Nein! Herr, wartet! Wir wissen nicht wer oder was er ist.«
Arkan zögerte einen Moment, schien zu überlegen berührte dann den Körper. Seine Hand fuhr durch den Fremden hindurch, stieß nur auf geringen Widerstand. Mit leiser Stimme wies er einen Wächter an:
»Holt zwanzig der freien Cystiror her und zwar schnell! Und schickt nach Lorendas!«
Offenbar bemühte sich jemand, die Schranken um Cor Dhai zu durchdringen. Wie bewerkstelligt er das? Und vor allem: Zu welchem Zweck?
***
Ich hatte mich damit abgefunden irgendwo zu sein. Ich hatte mich damit abgefunden Cunack zu sein. Und doch paßte mir all das überhaupt nicht. Ich befand mich auf dieser Ebene.
Allein.
Wo?
Keine Ahnung!
Die Anwesenheit von Freunden und von Fremden spürte ich. Doch sehen, sehen konnte ich niemanden. Ich raffte mich auf, hier zu sitzen war genauso gut, genauso schlecht, wie irgendwohin zu gehen. Richtung? Egal! Auf den unwirklichen Horizont zu. Aufstehen. Gehen. Wohin?
Egal!! Gehen!
***
Lorendas blickte Arkan an. Die Cystire pulsierten wie seit Anbeginn der Zeit. Ungewohnt eng schien es im Cystir-Raum, obwohl die Wächter darum bemüht waren, sich dicht an die Wand zu drücken.
»Was geschieht?« fragte Arkan den Weisen.
»Darauf kann ich dir keine Antwort geben,« antwortete der Alte.
»Droht Gefahr?«
»Ich weiß es nicht. Die Gedanken dieses ... Geistes zu erfassen ist schwierig. Ich ... Laß mir noch etwas Zeit.«
Arkan blickte den Alten an: »Zeit... Zeit ist ein Kleinod, das wir momentan nicht besitzen.«
»Ich weiß, Herr! Aber... Ich kann nicht zaubern!«
»Nicht?« 'Ach nein? Wenn nicht du, wer dann?' dachte der Prinz.
***
Wie lange ich mich damals dahingeschleppt habe entzieht sich meiner Kenntnis. Mein Zeitgefühl ging mir vollkommen ab und es gab keine Sonne an der man sich hätte orientieren können; nur diese graue Eintönigkeit die sich hier Himmel nannte.
Irgendwann sank ich dann auf die Knie in den Staub.
Resignation erfüllte mich. Hier würde ich wohl nie mehr fortkommen. Und - wenn ich auch die Zeit meines Hierseins nicht benennen konnte, so wußte ich doch, daß mein Körper bereits seinen Tribut hätte fordern müssen. Jedoch verspürte ich weder Hunger noch Durst oder Müdigkeit. Sollte das die Strafe für meine Unverschämtheit sein, an Dinge zu rühren an die Sterbliche nicht rühren sollten? Auf Ewig über die graue Ebene zu wandern? Ohne Ablenkung, ohne Freunde, Feinde, Gespräche, Met, Wildschweinbraten, ohne - Magie? ich war sicher, daß ich über kurz oder lang dem Wahnsinn anheimfallen würde (wahrscheinlich eher über kurz!). Voller Verzweiflung barg ich das Gesicht in den Händen, als ich plötzlich ein Geräusch zu hören glaubte. Ein feines Läuten und Klingeln, ähnlich wie es ein frysisches Windspiel aus dünnen Muschelschalen erzeugt. War es schon soweit? Waren das die ersten Halluzinationen? Ich beschloß, die Hände vor den Augen zu behalten und abzuwarten, ob es vielleicht wieder verschwand.
Nein, es blieb. Stetig, weder lauter noch leiser werdend klingelte es vor sich hin. Und dann... noch etwas. Ein weiteres Geräusch. So wie an einem windstillen Tag das Plätschern von Wellen in der Ferne klingt. Ich verwandte mein ganzes bewußtes Denken darauf, zu horchen. Und ich vernahm tatsächlich noch etwas anderes. Ein überaus leises Murmeln und Flüstern, so als unterhielten sich mehrere Personen mit gesenkten Stimmen am anderen Ende eines großen Tempels. Der Entschluß, die Hände von den Augen zu nehmen, kostete mich eine Menge Willenskraft. ich befürchtete, die Geräusche könnten verschwinden, wenn ich versuchte, ihre Urheber zu ergründen.
Am Horizont erblickte ich durchsichtige, immaterielle, filigrane Türme. Wie eine faszinierende, ätherische Stadt. Sie erschien mir weit, weit entfernt und doch zum Greifen nah. Ich betrachtete das Bild genauer. Diese Bauwerke waren sicherlich nicht von menschlichen Händen geschaffen worden. Es wirkte alles sehr unwirklich.
Moment, was dachte ich da?
Unwirklich! Hier! Es war fast zum Lachen, wäre meine Situation nicht so erst gewesen...
Doch mit einem Mal begann mit den Türmen eine Veränderung vorzugehen. Das Bild schien von einem Moment zum andern zu flimmern und zu pulsieren, so wie die Luft über einer Kerze flimmert. Die Verzerrungen verstärkten sich und erinnerten nun an eine Reflexion in einem Weiher, in den ein Kieselstein geworfen worden war. Als man die Stadt kaum noch als solche erkennen konnte, war da von einem Moment zum anderen ein ebenfalls durchschimmerndes Schiff. Irgendwie kam es mir vertraut vor, als müßte ich es kennen. Es verweilte eine Zeitlang und fing dann eine ebensolche Metamorphose an wie die Stadt zuvor. Auf dem Höhepunkt des Pulsierens verwandelte sich das Schiff (für mich nicht ganz unerwartet, muß ich zugeben) wiederum in die Turmbauten. Von den Erscheinungen gingen offenbar auch die Laute aus, die ich vernahm.
Ich traf den Entschluß, mich auf den Weg in Richtung der pastellfarbigen Bilder zu machen. Das Schiff erschien mir vertraut, doch zu dieser Stadt fühlte ich mich hingezogen.
***
»So kann es nicht weitergehen. Prinz. Ich werde versuchen, das Bewußtsein dieses ... hm... Fremden zu erreichen.«
Arkan blickte Lorendas fragend an. »Aber das ist sehr gefährlich. Vor allem für dich.«
»Wir müssen herausfinden, was es mit dieser Erscheinung auf sich hat. Das ist das Risiko wert.« »Ich kann es mir nicht leisten dich zu verlieren. Du selbst hast mir erklärt, daß es schon gefährlich ist in den Geist eines normalen Lebewesens einzudringen. Und jetzt willst du es bei diesem "Gespenst" tun?«
»Es muß sein. Wir müssen herausfinden, was dieses Wesen, um was für eines es sich auch handelt, vor hat. Was, wenn es hier vollständig materialisiert? Jemand, der die Zeitbarrieren um Cor Dhai überwinden kann, verfügt bestimmt über große Macht. Es könnte Unheil über uns kommen. Ich muß es versuchen.«
Arkan grübelte...
»Leider kann ich dir nur beipflichten. Ich wünschte, es gäbe andere Möglichkeiten.«
Der Herrscher des Hügels wandte sich an die stumm wartenden Wächter: »Verlaßt den Raum.«
Die Cystiror blickten Arkan erstaunt an. Seit Urzeiten war noch nie einer der Steinräume bar aller Wächter gewesen.
»Spreche ich vielleicht irgendwie undeutlich? Raus! Alle! «
Zögernd verließen die Männer den Raum. Nicht wenige mißbilligende Blicke trafen den Prinzen. Keiner stellte jedoch die Anweisung in Frage. Lorendas sah Arkan an und sagte: »Auch du!«
»Ich? Nie im Leben! Ich bleibe hier! Wenn irgend etwas passiert, kann ich dir vielleicht helfen.«
Der alte Weise beschloß, Arkan gewähren zu lassen. Er wußte, daß es auf eine längere Auseinandersetzung hinausgelaufen wäre, hätte er versucht es ihm auszureden. Er hockte sich im Schneidersitz vor den "Geist" und bereitete sich auf die Wanderung seines Bewußtseins vor. Der Prinz lehnte sich an das Podest auf dem der Cystir ruhte und wartete ab, was geschehen würde.
Lorendas schloß die Augen und begann sein Werk.
***
Bei der Axt! Die Erscheinungen kamen nicht näher. Wie eine Luftspiegelung in der Wüste wichen sie vor mir zurück. Ich hatte sogar einen kleinen Sprint versucht ohne Erfolg. Langsam wurde ich ärgerlich. »Zur Horde mit euch! Verarscht doch jemand anderen! «Ein weiteres Mal sank ich auf meine Knie. Diesmal jedoch trommelte ich mit meinen Fäusten auf den grauen(haften) Staub ein.
»Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
***
Jethros Gestalt begann zu flimmern. Bryn, der seit Stunden bei seinem Freund verharrte, sprang auf. »Casdarron komm hierher und zwar schnell! «Kurze Zeit darauf erschien der Medicus im Türrahmen. »Was ist los, Kapitän?«
»Sieh dir das an. Was passiert?«
»Woher, bei allen sechs Winden, soll ich das wissen? Ich bin nur ein einfacher Wundheiler und kein Magier!« Hilflos rieb sich Bryn die Hände.
***
Das pulsierende Licht des Zeitsteins erfüllte den Raum mit gespenstischen Schatten. Arkan war sich fast sicher, daß das Pulsieren sich verändert hatte. Der Weise saß noch immer vor der Gestalt. Seit zwei Stunden hatte er nicht einen Muskel gerührt. Seine Augen waren geschlossen. Nur wer sehr genau hinsah konnte entdecken, daß Lorendas überhaupt noch atmete. Mit einem Mal erzitterte der Körper des alten Mannes.
Er schlug seine Augen auf. Sie waren so weit nach oben verdreht, so daß die Pupillen nicht mehr zu sehen waren. Dies und sein verzerrtes Gesicht verliehen ihm ein so dämonisches Aussehen, daß Arkan erschauerte. Ein grauenhaftes Stöhnen drang aus Lorendas´ leicht geöffnetem Mund. Mit einem Satz sprang Arkan zu seinem greisen Berater und begann ihn zu schütteln:
dämonisches Aussehen, daß Arkan erschauerte. Ein grauenhaftes Stöhnen drang aus Lorendas' leicht geöffnetem Mund. Mit einem Satz sprang der Prinz zu seinem greisen Berater und begann ihn zu schütteln.
»Lorendas! Komm zurück, Lorendas! Kannst Du mich hören?«
Der Weise sackte in Arkans Armen zusammen, jedoch nahm sein Gesicht wieder normale Züge an. »Es ... es ist gut ... Arkan. Mir wird es ... gleich wieder ... besser gehen.«
Er begann tief durchzuatmen. Einige Minuten später hatte sich der Alte wieder soweit erholt, daß er fähig war, zusammenhängende Sätze hervorzubringen.
»Das war nahe dran, Prinz!«
»Nahe woran?«
»Ich schwebte in der Gefahr mich zu verlieren. Das wäre mein sicherer Tod gewesen. Das fremde Bewußtsein, das ich spürte, war weiter entfernt als ich dachte. «
Der Blick Arkans richtete sich auf das Zeitjuwel. »Konntest du etwas erfahren?«
»Da war eine große Wut, die mir Angst machte. Nicht unmenschlich aber auch nicht ganz menschlich. Und eine verzweifelte Hilflosigkeit spürte ich. Kontakt konnte ich nicht mit der fremden Entität aufnehmen.«
»Das bedeutet, wir sind genauso weit wie vorher. Der Versuch, der dich dein Leben hätte kosten können, war umsonst. «
»Nein! Wenigstens konnte ich mit einiger Sicherheit herausfinden, daß der Fremde sich nicht dessen bewußt ist wo er sich aufhält; naja... aufhält ist das beste Wort. Mein Gefühl sagt mir folgendes: Trotz der großen Wut denke ich nicht, daß uns der Fremde etwas Böses will.«
»Ich hoffe du behältst recht, alter Freund, so wie immer.«
»So wie meistens, Arkan, so wie meistens.«
***
Eine Berührung! Ich hatte eine Berührung gespürt! Eine Berührung...
Ich glaubte damals, es war soweit.
Ich wurde verrückt.
Nein! Ich wurde nicht verrückt. Diese Berührung war real. Allerdings war nicht mein Körper berührt worden, sondern mein Geist!
Es war ein weiteres Mal passiert. Wie ein behutsames Tasten. Ich hatte versucht, mein Bewußtsein zu öffnen, den fremden Geist in meinen eindringen zu lassen. Aber es war vergebens gewesen. Das Tasten verschwand so plötzlich wie es gekommen war.
Wieder ergriff mich Verzweiflung. Das war möglicherweise meine letzte Chance gewesen, wieder von HIER fortzukommen. Von hier fortzukommen...
Ich hob meinen Kopf, blickte zu den Erscheinungen am Horizont. Das Schiff, es schien mir weiter entfernt als zuvor. Die Stadt jedoch, die Stadt war näher gekommen. Ich konnte zwischen den Türmen elegante Brücken und Wege erkennen, die sich durch die Luft zu schwingen schienen. Das Bild war irgendwie - realer geworden.
In mir reifte eine Idee. Durch Gehen würde ich der Erscheinung, oder dem was dahinter stand, nicht näher kommen können. Die Annäherung lag in mir, in meinem Geist. So sollte ich auch mein Bewußtsein dazu benutzen, die fremde Entität zu erreichen.
Dann mal los 'Cunack', wer immer du bist!
***
Bryn mußte hilflos mit ansehen wie der irreale Körper seines Freundes immer durchsichtiger wurde. Jethro drohte endgültig zu verschwinden. Er wußte, daß er nichts, aber auch gar nichts tun konnte um das Grauenhafte zu verhindern.
Sein Hieb traf den Tisch, der in der Mitte der Kammer stand. Die massive Platte zerbrach in zwei Teile. Bryn hielt sich die schmerzende Hand während Jethro Cunack verblaßte.
***
Die Realität im Cystirraum schien für einen Augenblick zu verschwimmen. Der Hügelprinz und sein Berater blickten sich an. Danach sahen sie wieder zu der am Boden liegenden Person. Der "Geist" schien wirklicher geworden zu sein. Und wie sie den am Boden liegenden weiterhin beobachteten, konnten sie erkennen, daß die Gestalt ihre Lippen bewegte.
»Was will er uns sagen, Lorendas?«
»Warte, warte. Es ... es scheint sich um Thuathisch zu handeln. Ich bin mir fast sicher. Lippen lesen konnte ich noch nie sehr gut. Er wiederholt offenbar immer dieselben Worte.«
»Aber was sagt er? Was?«
Der Weise sah noch einmal zu dem "Geist" hin. »Er sagt... er sagt... «
Noch einmal zögerte der Alte, kniff die Augen zusammen.
»Er sagt: Helft mir! Bitte!«
***
»NEIN!«
***
»Helft mir! Bitte! ... Helft mir! Bitte! Helft mir! Bitte!«
***
JAA! HELFT IHM IHR NARREN! HELFT MIR!
***
»Ich werde es noch einmal tun, Arkan!«
»WAS? Bist Du verrückt geworden? Es würde dich umbringen! «
»Das kann schon sein. Trotzdem muß ich es tun.« »Lorendas, ich... «
»Schweig stille, Arkan!« Der Alte sah zum Cystir. »Schweig.«
***
Aaaaah! Noch in einem Moment hockte ich im grauen Staub der Ebene. Im nächsten Augenblick riß es mich fort in Richtung der Stadt. Ich flog - ja wirklich - ich flog über den Boden hinweg. Bei den Göttern! Ich wurde immer schneller. Und ... die Türme kamen wahrhaft näher!
Und dann .. .Wieder diese Berührung. Mir wurde schwarz vor Augen. Schwarz
***
Im selben Moment in dem Lorendas zusammenbrach, materialisierte die Gestalt am Boden vor dem Podest des Cystir vollständig und schlug die Augen auf. Der Prinz des Hügels sprang hinzu und fing seinen alten Freund auf, bevor sein Oberkörper den Boden berührte. Erst danach warf er einen Blick zu jenem Mann, der dort lag, jetzt nicht mehr durchscheinend und unwirklich sondern fest und real.
Und der Mann hob den Kopf, sah Arkan an, wie er den Körper des Beraters in den Armen hielt und sagte mit schwacher Stimme: »Danke!« Dann schloß er die Augen und wurde bewußtlos.
WIRD FORTGESETZT...