Anmerkung:
Zwischen der Niederschrift dieses zweiten Teils der Geschichte und des vorhergehenden ersten liegen mehrere Jahre. Wann genau ich sie verfaßte konnte ich bislang nicht genau rekonstruieren. Ich bitte, dies im Hinterkopf zu behalten...
Diese Story lag glücklicherweise noch als Textfile auf dem Amiga vor und ich konnte sie mit relativ wenig Mühe konvertieren. Auch sie habe ich weitestgehend im Original belassen.
Holzi
***
Ich wurde wach und starrte an eine steinerne, gewölbte und blank polierte Decke, welche ein amethystenes Marmormuster aufwies. Wo befand ich mich? In meinem Geist kramend versuchte ich mich an die letzten Geschehnisse zu erinnern. Offenbar hatte ich einen schlechten Traum gehabt, denn da waren Erinnerungen an eine endlose graue Ebene auf der ich schier endlose Zeit gewandelt war. Danach, so erinnerte ich mich an den Traum, war ich auf eine filigrane Stadt zugeflogen. Ich, geflogen... Ha! Meine Macht als Magier war nicht groß genug, um längere Strecken schwebend hinter mich zu bringen.
Aber wo befand ich mich? Die Bettdecke beiseite schlagend erblickte ich ein Nachthemd, welches meine Gestalt um-... äääh... schmeichelte. Ein Nachthemd! Igitt! Nur gut, daß mich jetzt niemand sah.
Exakt nun mußte es natürlich an die Tür meiner Behausung klopfen. Eilig bedeckte ich meine nackten Unterschenkel wieder mit der Bettdecke und sagte: "Ich, ääh, herein!"
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine klein gewachsene Gestalt frei, die den Raum betrat und die Pforte wieder hinter sich schloß. Ich kam nicht umhin, die eleganten, ja geradezu aristokratisch zu nennenden Bewegungen zu bemerken mit denen der Mann sich bewegte. Er ging auf mich zu, blieb an meinem Bett stehen und sah mich an. Sein Blick traf den meinen und ich war wie gelähmt von dem Alter, nein, der Zeitlosigkeit, die ich darin fand. Dann hob er an zu sprechen:
"Ich sehe, es geht Euch besser."
"Es scheint so..." Etwas Besseres fiel mir im Moment nicht ein.
"Wie fühlt Ihr Euch?" fragte der Ankömmling.
"Ich fühle mich schwach. Schwach und hungrig, so als wäre ich tagelang durch eine Wüste gewandert."
"Kein Wunder, Ihr habt, wie Ihr sagen würdet, drei Tage geschlafen."
"Drei Tage?" Ich war verwirrt, denn ich konnte mich an keinerlei Strapazen erinnern.
"Sagt mir, wo befinde ich mich?"
Der Mann, der in edle aber einfach geschnittene Gewänder gehüllt war, sah mich fragend an:
"Ihr wißt nicht, wo Ihr Euch befindet?"
"Aber nicht im Geringsten!"
Er trat von meinem Bett fort und ging auf ein Fenster zu. Dort blieb er stehen und starrte lange hinaus, ohne ein einziges Wort zu sagen. Als er sich herumdrehte und seine Ellenbogen auf die Fensterbank lehnte war ein grimmiger Ausdruck in seinem Gesicht.
"Ihr solltet, nein, Ihr dürftet gar nicht hier sein!"
"Nun sagt mir doch endlich wo ich mich befinde!"
"Ihr seid in Cor Dhai!"
Dabei sah er mich an, als ob ich nun vor Ehrfurcht im Boden versinken müsse. Mein fragender Gesichtsausdruck sagte ihm wohl, daß ich damit auch nichts anfangen konnte, weshalb er hinzufügte: "Der Hauptstadt des Stillen Volkes, des Hügelvolkes."
Mein Geist wollte schier aussetzen. Das Hügelvolk! Die Thuach na Moch! Ich hatte während meiner Zeit in Tir Krye von diesem Volk gehört, es jedoch als Legende und Aberglaube abgetan. Die Zeitlosen, diejenigen welche unter dem Hügel lebten... Sollte all das wirklich wahr sein? Aber die Thuach na Moch existierten doch im Totenreich. War ich, warum auch immer, gestorben? Nein, ich fühlte mich verdammt lebendig. Außerdem konnte ich mir kaum vorstellen, daß man im Tode solche Nachthemden trug. Und für eine Verdammnis schien mir diese Strafe doch als zu gering.
"Ihr wollt mir doch nicht erzählen, ich sei tot?" sprach ich ihn wieder an.
"Im direkten Sinn seid Ihr das."
Was sollte denn dieses Ausweichmanöver? Für wie dumm hielt mich der Mann? Der Mann... Ich wußte noch nicht einmal seinen Namen. Also fragen: "Wenn es nicht als zu vertraulich erscheint: Ich rede meine Gesprächspartner gern mit Namen an..."
Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, den Kurzgewachsenen verwirrt zu haben, dann antwortete er:
"Oh, entschuldigt meine Manieren. Ich vergaß mich wohl einen Moment lang." Und nach einem kurzen Moment des Sinnierens fügte er hinzu: "Und meine Erziehung." Er trat vom Fenster fort und deutete eine Verbeugung an: "Mein Name ist Arkan, Arkan e´dhelcu. Ich bin der Beherrscher, der Prinz der Thuach na Moch! Oder des Hügelvolkes, wie Ihr es wohl eher nennen mögt. Und ihr müßt die Legenden kennen, denn ihr sprecht die Sprache der Bewohner von Tir Krye."
Nun war es an mir, verwirrt dreinzuschauen. Da wachte ich in einem fremden Bett auf, mit keinerlei Erinnerungen wie ich wohl hierher gelangt war und dann kam dieser... dieser Kurzgewachsene zu mir und eröffnete, daß er der Prinz eines Fabelvolkes war. Kurz schoß mir die Idee durch den Kopf, daß möglicherweise irgend jemand einen Schabernack mit mir treiben wollte.
Doch, nein. Mein gesamtes Befinden sagte mir, daß von mir eine Magie gewirkt worden war, die meine Kräfte überstiegen hatte. Was, wenn ich tatsächlich an einem Ort außerhalb der Grenzen der wirklichen Welt erwacht war? Was, wenn ich tatsächlich im Reich der Thuach na Moch, also im Totenreich der Thuatha war?
"Man nennt mich Jethro Cunack," stellte ich mich meinerseits vor und fügte hinzu: "Nun, wenn ich tot bin, dann gefällt es mir hier gar nicht schlecht."
Das zauberte ein verschmitztes Lächeln auf sein Gesicht: "Ihr macht nicht den Eindruck eines Mannes, der sich im Jenseits wohl fühlen könnte. An was für ein Jenseits Ihr auch glauben mögt."
Ich konnte ebenfalls ein Grinsen nicht unterdrücken und zum ersten Mal verspürte ich eine gewisse Sympathie für diesen, wie nannte er sich? Ach ja, Arkan. Auch er grinste nun recht breit und sagte: "Wißt Ihr, ich weiß nicht genau warum, aber ich verspüre eine gewisse Verbundenheit mit Euch. Und," so fügte er hinzu "Ihr macht ähnliche Witze wie ich."
Nach diesen Worten wandte er sich wieder zur Tür. Ich rief ihm noch hinterher: "Besorgt mir bitte etwas Anständiges zum Bekleiden! Ich möchte nicht in diesem Nachthemd durch das Totenreich laufen."
Möglicherweise täuschte ich mich, doch ich glaubte von vor der Türe ein dröhnendes Gelächter zu hören.
***
Offenbar war ich abermals eingeschlafen, denn ich wachte irgendwann wiederum in diesem Bett auf. Als ich mich umsah, erblickte ich neben meiner Ruhestätte einen Stuhl, auf dem einige Gewänder lagen. Mich besser, wenn auch noch schwach fühlend, erhob ich mich und begann die Kleidungsstücke anzulegen. Die Gewandung paßte erstaunlich gut. Sie war zwar nicht so bequem wie meine gute alte Robe, aber angenehm zu tragen. Nachdem ich mich in die Beinkleider und durch die Tunika gewurschtelt hatte, entschloß ich mich, einmal zu erforschen, was sich hinter dieser Tür befand.
Als ich die Hand an den Riegel legte verspürte ich sofort ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Es sagte mir daß diese Pforte magisch gesichert war. Aha, offenbar vertraute man mir hier nicht. Naja, kein Wunder. Offenbar tauchten hier nicht allzu oft unerwartet Fremde auf. Ich konzentrierte mich auf den Zauber, welcher mich die Art der Magie erkennen lassen würde.
Hm. Knifflig. Mittels der Konzentrationstechniken die ich erlernt hatte, bemühte ich mich ein Muster in dem Feld der Thaumaturgie zu erfassen. Nach einigen Minuten gab ich das allerdings auf, denn das magische Feld entzog sich meinem Tasten. Es handelte sich weder um elementare, noch um umfassende oder schamanistische Magie, da war ich mir völlig sicher.
Also etwas völlig Neues.
Aber ich war ja schon immer ein Forscher gewesen (wenn auch einer meiner Lehrer mir vorausgesagt hatte, meine Neugier würde mich eines Tages töten). So zapfte ich also die Falle an.
Als ich die Energien in die umgebende, ungeordnete Magie abgeben wollte geschah etwas Eigenartiges: Ich fühlte, wie ich alterte! Meine Lebenskraft wollte zusammen mit der Feldkraft abfließen. Sofort unterbrach ich den Versuch und fühlte, wie meine Lebensessenz zu mir zurückkehrte. Nicht einfach so, etwas in mir holte sie zurück. Ob ER mir dabei...?
Nein, das kam aus mir selbst, was immer das auch war. Und da ich, wie bereits erwähnt, nicht so einfach aufgab, versuchte ich es ein weiteres Mal. Und dieser Versuch ging weitaus einfacher von der Hand als der erste. Zwar wollte die abfließende Magie wiederum meine Lebenskraft mitnehmen, jedoch konnte ich sie mit relativer Leichtigkeit daran hindern.
Nachdem keinerlei Zauber mehr vorhanden war öffnete ich vorsichtig und laaangsam die Tür. Na also, das war nicht wirklich schwer gewesen. Ich verließ den Raum, schloß die Pforte hinter mir und wollte mit der Erkundung des Ganges beginnen, als ich der Person gewahr wurde, welche gegenüber der Tür an mit einer gewissen Lässigkeit an der Wand lehnte. Arkan drückte sich von der Mauer ab und hob an zu sprechen:
"So einfach ist es also für Euch, einen zeitmagisch gesicherten Raum zu verlassen? Und Ihr wollt mir weismachen, Ihr seid zufällig hier? Ich will wissen wer Ihr seid und warum Ihr Euch hier befindet. Und es sollte eine verdammt gute Erklärung sein, weil ich Euch sonst wirklich ins Totenreich bringen werde."
"Was wollt Ihr denn?" entgegnete ich. "Diese Falle wäre für einen Novizen leicht zu überwinden gewesen! Um mich in einem Zimmer festzuhalten müßt Ihr Euch schon etwas Besseres einfallen lassen." Und fügte nach kurzem Nachdenken großspurig hinzu: "Selbst ein Kind hätte diese Barriere überwinden können."
"Ein Kind??? Das war keine Barriere, das war ein..." Er hielt inne, schien zu überlegen. "Ihr seid entweder ein immens guter Schauspieler, oder habt nicht die geringste Ahnung wovon Ihr redet."
"Dann klärt mich auf."
"Das werde ich nicht tun!" Der Prinz war offensichtlich verstimmt und grübelte einen Lidschlag lang, ohne mich allerdings aus den Augen zu verlieren. Nun gut, wenn er mich beeindrucken wollte... Ich lehnte mich meinerseits an die Wand des Ganges und betrachtete angelegentlich die Fingernägel meiner rechten Hand. Selbstverständlich streckte ich gleichzeitig meine astralen Sinne aus und behielt ihn genau im ´Blick´. Als seine Hand zum Dolch fuhr, sagte ich: "Ts, ts, ts, das würde ich lassen..." Allerdings ohne die Augen von meinen Fingern abzuwenden.
"Das wollte ich wissen..." antwortete der Prinz mit einem schiefen Lächeln und fügte hinzu: "Wenn Ihr mir bitte folgen wollt?"
Dann wandte er sich ab und eilte mir voraus, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Den Göttern sei Dank, möchte ich hinzufügen, denn ich schaute wohl just nicht sonderlich intelligent.
***
Der Prinz führte mich fast das Viertel einer Stunde lang durch diverse Gänge. Dieses Gebäude, falls es sich um ein Gebäude handelte, mußte von immensen Ausmaßen sein. Während wir gingen veränderte sich die Umgebung. Da waren gemauerte Wände die überwechselten in hohe Bogenarkaden offenbar aus einer Art Marmor gearbeitet und diese machten Platz für Reihen von Türen, welche augenscheinlich aus grobem Holz bestanden und wurden ersetzt durch solche, für die wohl als Material gewobenes Glas verwendet worden war. Blakende Fackeln wechselten sich ab mit matten, handgroßen Kugeln, die ebenfalls Licht verbreiteten und wiederum von hängenden Spiegeln unerklärlicher Herkunft abgelöst wurden, die nicht leuchteten, von denen aber trotzdem auf für mich unerklärliche Weise Helligkeit ausging.
Dadurch, daß mein Gastgeber vor mir ging konnte er, Mol sei Dank, meinen Gesichtsausdruck nicht sehen, denn dieser mußte dem eines staunenden Kindes sehr ähnlich sein. In der Tat war ich ob der Eindrücke seltsam berührt, denn ich hatte den Eindruck all dies auf schwer zu fassende Art zu kennen. Nein, wieder zu erkennen. Aber wie konnte das sein? Ich war noch niemals hier gewesen, da war ich mir vollkommen sicher.
Während ich noch über dieses Phänomen nachgrübelte verharrte Arkan vor einer der schier unendlich vielen Türen und klopfte an. Von innen ertönte eine Stimme, jedoch konnte ich den Inhalt der Antwort nicht verstehen. Der Prinz sprach weiter in diesem Idiom und ich mußte annehmen, daß es sich um die Sprache des Hügelvolkes handelte. Während ich dessen gewahr wurde verstand ich plötzlich Fetzen des Gesprächs:
"Ja, er ist..." sagte Arkan.
"... wer er ist... hier will?" antwortete es von hinter der Tür.
"... so vor ... sprechen?"
"Nein... ein!"
Der Thuach na Moch öffnete das Portal und wies mir mit einer knappen Handbewegung an ihm zu folgen. Ich tat dies und der Anblick des Raumes erschlug mich geradezu. Er wurde dominiert von einem mächtigen Arbeitstisch auf dem sich Folianten und Pergamentrollen stapelten. An den Wänden hingen unzählbar viele Regale, in denen sich ebenfalls Schriftstücke jeglicher Art befanden. Als ich mich beeindruckt umsah, blieb mein Blick an einer Art Kanapee hängen, auf dem ein alter, ebenso wie der Prinz klein gewachsener Mann saß, nein thronte. Wenn auch eine oberflächliche Betrachtung viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern zu Tage brachte, so stellte ein zweiter Blick doch klar, daß es sich bei dem Bewohner dieser Zelle um einen Weisen, einen Lehrer handeln mußte. Ein Lehrer, ja, eine bessere Umschreibung fiel mir in diesem ersten Moment der Betrachtung nicht ein. Von diesem Manne ging eine solche Weisheit, ein solches Alter aus, daß ich unwillkürlich beeindruckt sein mußte.
"Euer Exzellenz..." stammelte ich.
Der Alte betrachtete mich von oben bis unten. Dies tat er mit einem Blick, der mich schaudern ließ. Allerdings nicht vor Angst, sondern vor Ehrfurcht. Er maß mich und schüttelte dann den Kopf. "Einfach nur Lorendas! Die Exzellenz steht neben Euch, mein Freund. Ich bin nur Lorendas, der Weise."
Er schloß das Buch, welches vor ihm auf dem Tisch lag und fuhr vorsichtig, ja fast zärtlich, über den Ledereinband. Dann sprach er mich wieder an: "Verzeiht meine Direktheit, aber wer seid Ihr?"
"Nichts zu verzeihen! Mein Name lautet Jethro Cunack, ich bin meines Zeichens Kundiger der Magie und Alchemist." Bei diesen Worten deutete ich eine Verbeugung an.
"Und wie, mein Freund, seid Ihr hierher gelangt?" folgte sogleich die nächste Frage.
"Wenn ich das so genau wüßte..." Ich hielt inne. Sollte ich diesen beiden die Geschichte erzählen? Ich kannte sie ja überhaupt nicht. Andererseits war da diese eigenartige Vertrautheit... Ich faßte den Entschluß bis auf weiteres ehrlich zu sein:
"Ich las in einem alten Buch das vor Urzeiten von einem Kundigen verfaßt wurde. Ich fand darin eine Beschwörung, die es ermöglichen sollte binnen kurzer Zeit immense Entfernungen zurückzulegen. Ihr werdet verstehen, daß ich dies ausprobieren mußte! Nun ja, ich verwob den Zauber mit meinem Geist und fand mich auf einer grauen Ebene wieder, auf der ich eine unbestimmte Zeit wanderte. Als ich schon jede Hoffnung begraben hatte jemals wieder in meine Welt zurückzukehren erschien mir die Vision einer Stadt. Einer Stadt mit filigranen Türmen. Einer unirdisch wirkenden Stadt. Und bevor ich wußte, wie mir geschah flog ich plötzlich auf das Bild dieser Ansiedlung zu. Nicht aus eigener Kraft, so möchte ich anmerken, mein Geist wurde von einer Präsenz berührt und dann fühlte ich mich auf die ätherische Stadt zu gezogen. Das nächste an das ich mich erinnere ist, daß ich in einem Raum auftauchte in dem ein blauer Kristall pulsierendes Licht verbreitete. Dann wurde ich ohnmächtig und wachte erst in jenem Bett wieder auf. Das war alles, fürchte ich."
Lorendas nickte und deutete mit seinem Zeigefinger zuerst auf Arkan und dann auf das Buch, welches vor ihm den Tisch einnahm. "Dachte ich es mir doch. Der Reisezauber des Khal´ara oder Tesheras. Ich habe noch nie gewagt ihn auszusprechen. Unser junger Freund dort," (dabei wies er auf mich) "hatte diese Bedenken nicht. Er las die Beschwörung ohne sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Normalerweise bedeutet dies das Ende des Zaubernden. Nicht so in seinem Fall. Offenbar existieren mehr Ebenen des Seins als wir annahmen." Er richtete den Blick wieder auf mich: "Bleibt zu fragen warum Ihr gerade hier auftauchtet!"
"Ich weiß es nicht, beim besten Willen. Oder..." In diesem Moment traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag!
Der Stein, der blau leuchtende Stein in der Kammer in der ich erschienen war. Ich hatte ihn auf der grauen Ebene die ganze Zeit über durch die durchscheinenden Mauern der Stadt sehen können. Er mußte es gewesen sein, der mich anzog. Nein, ich war mir sicher: Er hatte mich zu dieser Stadt gezogen!
"Der blaue Kristall..." begann ich. "Der Stein in dieser Kammer. Er wies mir den Weg!"
"Der Cystir?" platzte es aus dem Prinzen heraus. "Das ist unmöglich!"
"Nein, das ist es nicht!" widersprach ihm Lorendas. "Du verspürst doch ebenfalls eine Affinität zu den Cystiren. Aus diesem Grund suchst Du so oft die Cystirkammern zum Meditieren auf."
"Ja natürlich," entgegnete Arkan, "aber ich bin ein Thuach na Moch."
Nach dieser Aussage schloß der alte Weise seine Augen und schien nachzudenken. Eine Zeitlang später tat er einen tiefen Atemzug, schüttelte den Kopf und hob wieder zu sprechen an: "Nein, das kann nicht sein! Es wäre zu..." er verstummte.
"Was kann nicht sein?" sagten Arkan und ich wie aus einem Mund.
Lorendas jedoch erhob sich nur und eilte zur Tür: "Folgt mir!"
Der Prinz und ich sahen uns fragend an. Erstaunlich, wie vertraut er mir bereits erschien; ähnliches glaubte ich auch in den Augen Arkans zu lesen, oder erschien mir das nur so? Dann leisteten wir der Aufforderung des Alten Folge.
"Wohin..." setzte ich zu einer Frage an.
"Woher soll ich denn das wissen?" zischte Arkan grob eine Gegenfrage.
Also gut, würde ich erst einmal still schweigen und den beiden Hügelvölklern folgen. Wo immer sie mich auch hinführen mochten...
Nach etlichen hundert Schritten durch weitere Gänge, die ihr Aussehen öfter wechselten als ein Chamäleon es hätte tun können, erreichten wir einen Saal. Er war von gigantischen Ausmaßen und mochte wohl achthundert bis tausend Personen Platz bieten. Die Stirnseite wurde von einem gewaltigen Thron eingenommen, der aus einem kristallenen Material gearbeitet zu sein schien. Ebenso wie die Kristalle, von welchen ich soeben erfahren hatte, daß sie Cystire genannt wurden, pulsierte der Thron in aquamarinem Licht. Die Rückenlehne war in Form einer Sanduhr gearbeitet. Nein, das war nicht richtig! Die Rückenlehne war eine Sanduhr! Oder etwas Ähnliches, denn so genau konnte ich die Substanz welche vom oberen in den unteren Teil rann nicht erkennen.
Der Weise verharrte vor dem Thron, von dem ich die Augen nicht abwenden konnte. Er wies mit dem Finger darauf und sprach: "Setzt Euch auf den Thron!"
"Bist Du denn von Sinnen, Lorendas?" warf ein sichtbar erregter Arkan ein. "Du weißt genau, nur ich kann auf dem Thron sitzen! Nur der Sohn des Arpad, nur der Prinz kann dort Platz nehmen! Es wäre sein sicherer Tod!"
Zu mir gewandt sprach Lorendas: "Setzt Euch auf den Thron!" Und das klang nicht nach einer Bitte sondern einem Befehl.
"Moment mal..." warf ich ein. "Wieso mein sicherer Tod? Ihr glaubt doch nicht, daß ich
mich auf den Thron setze wenn das meinen Tod bedeutet? Möglicherweise sollten wir uns das nochmals..."
"SETZ DICH!"
Wieso ich dieser Aufforderung mit einem Male widerspruchslos Folge leistete wußte ich nicht. Mir war bewußt, daß ich möglicherweise des Todes war, wenn ich mich auf diesem Thron niederließ, aber das rührte mich mit einem Mal nicht mehr im Geringsten. Meine Nackenhaare stellten sich auf als ich mich dem Thron näherte und den Zeigefinger der rechten Hand daran legte.
"Setz Dich..." diesmal flüsterte Lorendas.
Und ich tat es. Ich setzte mich.
Und nichts passierte.
Der Prinz riß die Augen auf und schien beinahe ohnmächtig werden zu wollen: "Aber... aber..." stammelte er, "das kann doch nicht sein... Nur der Prinz der Thuach na Moch, nur der Sohn Arpads," er hielt kurz inne, "nur ich kann dort sitzen!" Die letzten Worte schrie er hinaus.
"Der Sohn Arpads..." sagte Lorendas, "der Sohn Arpads..." Er tat einen Schritt auf Arkan zu, atmete tief durch und legte ihm die Hand auf die Schulter: "Arkan, darf ich Dir Deinen Bruder vorstellen?"
Ich sprang von dem Thron als hätte er mich verbrannt.
***
"Wie Du ja weißt, Arkan," sprach Lorendas, als der Prinz und ich uns kurze Zeit darauf wieder beruhigt hatten, "wurde Dein Vater von seinem Volke verstoßen. Bis er seine Unschuld beweisen konnte wanderte er durch die Welt der Sterblichen. Über das was ihm dort widerfuhr verlor er niemals ein Wort. Nun, zumindest war es ihm in der Außenwelt offenbar nicht langweilig. Und wie wir wissen waren die männlichen Mitglieder deiner Familie in einer bestimmten Hinsicht recht aktiv. Oder sollte ich vielleicht sagen: sind?" Bei diesen Worten sah Lorendas mich vielsagend an.
Arkan fuhr damit fort den Kopf zu schütteln. "Ein Bruder. Ein Halbbruder. Unglaublich!"
"Fragt mich mal!" warf ich ein. "Gestern noch ein ehrlicher Kaperfahrer und heute schon ein halber Hügelvölkler. Unbeschreiblich."
"Nichtsdestotrotz," Arkan schien seine erste Verblüffung überwunden zu haben, denn er grinste: "Ich habe einen Bruder gefunden, das muß gefeiert werden. Laßt uns die Kunde verbreiten und ein Fest vorbereiten." Mit diesen Worten wollte er davoneilen, offenbar um die Vorbereitungen zu treffen. Ich rief ihm nach:
"Arkan, wartet bitte!"
Der Prinz verharrte, schien einen Moment zu überlegen und kehrte dann zu mir und dem Alten zurück. "Was wollt Ihr?"
Nach Worten suchend antwortete ich: "Ich... ich... bin noch ein wenig durcheinander. Laßt mir bitte noch etwas Zeit. Ihr müßt verstehen: Bis vor kurzem wußte ich rein gar nichts über meine Herkunft. Ich wurde als kleines Kind gefunden... Ich... Verzeiht mir, ich muß mich setzen." Das tat ich dann auch.
"Ich möchte meinen neu gefundenen Bruder ja nicht sofort kritisieren, aber ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr Euch einen anderen Ruheplatz suchen würdet." Bei diesen Worten blickte er mit schräg gelegtem Kopf auf meine Sitzgelegenheit.
Mir wurde bewußt, daß ich unwillkürlich den sich mir am nächsten befindenden Stuhl gewählt hatte: Den Thron.
"Oh, ups." stammelte ich und verließ meine Sitzstatt sofort wieder. "Glaubt mir bitte wenn ich Euch versichere, daß ich keinerlei Anspruch auf den Thron erhebe." Ich trat vor den Herrscher des Hügelvolkes und fügte betont ernsthaft hinzu: "Außerdem ist er nicht sonderlich bequem."
Arkan kniff die Augen ein wenig zusammen und runzelte die Stirn, seine Gesichtszüge normalisierten sich jedoch sofort wieder als er mein angedeutetes Grinsen sah und antwortete: "Ich verstehe... Ihr seid wahrlich von meiner Familie. Denn zumindest habt Ihr meinen Humor."
"Ich kenne einige Personen die sich wahrscheinlich das Leben nähmen, wenn ihnen bekannt würde, daß es noch jemanden gibt, der über meine Art von Humor verfügt."
"Die würde ich gern einmal kennenlernen!"
Daraufhin grinsten wir beide uns ein weiteres Mal an. Aus den Augenwinkeln konnte ich Lorendas erkennen, der sein Gesicht verzog und vernahm sein Flüstern: "Die Götter mögen den Menschen beistehen!"
***
Den restlichen Tag verbrachten der Prinz und ich damit, uns die Geschichte und Geschichten unseres Lebens zu erzählen. Während dieser Erzählungen brachte er mir die traditionellen Getränke seines Volkes nahe.
Kurz bevor unsere beiden Köpfe auf den reich verzierten Tisch schlugen waren wir beim Du angekommen.
"Isch hab wohl ´ne Menge verpaßt, bevor isch Disch kennenlernte!" nuschelte ich.
"Gnrz!" stimmte Arkan mir zu. Zumindest entnahm ich das aus diesem Laut. Dann sank sein Kopf endgültig auf die Tischplatte und Sekunden später begann er zu schnarchen. Ich wollte noch die Hand zu meinem Becher mit Hügelblut ausstrecken, als der Alkohol auch mich dahinraffte. Jedenfalls vermutete ich das am nächsten Morgen, denn der Pokal war, als ich mich wieder zu klarem Denken fähig fühlte, noch voll.
Wir erwachten nahezu gleichzeitig und starrten in unsere rotgelben Augen. Ebenso synchron fuhren unsere Hände zu unseren schmerzenden Nacken.
"Ohhh..." stöhnte Arkan und ich entgegnete: "Genau!"
Dann brachte mich mein Bruder zu meinem Zimmer und wir waren uns einig, den Tag zu verschlafen. Bevor er meinen Raum verließ drehte er sich noch einmal um und musterte mich.
Kopfschüttelnd sagte er: "Ich glaube, Du hast einen schlechten Einfluß auf mich..."
"Danke gleichfalls!" antwortete ich und legte mich hin. Während ich in die sanften Arme des kleinen Todes herüberdämmerte verspürte ich, wie sich in meinem Geist etwas regte. Oh nein! Obwohl ich mich noch einmal mühte dem, was in meinem Geist wohnte Widerstand entgegenzusetzen, schlief ich ein.
***
Irgendwann schreckte ich aus einem Alptraum auf. Ich hatte Menschen, nein, Hügelvölkler durch meine Hand sterben sehen ohne daß mir ein Einfluß auf meine Handlungen möglich war. ER hatte Besitz von mir ergriffen und ich war nur noch ein Beobachter in meinem eigenen Körper gewesen. Ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich meiner: Ich wurde mir immer sicherer, daß es sich nicht um einen Traum gehandelt hatte, sondern daß dies eine Präkognition gewesen war. Alarmiert forschte ich in meinem Bewußtsein und tatsächlich: SEINE Präsenz schien stärker, fordernder zu werden. Offenbar schickte ER sich an, ein weiteres Mal zu versuchen Kontrolle über meinen Körper zu erlangen. Ich atmete mehrmals tief durch und konzentrierte mich auf die Zentrierung des Geistes, welche ich auf der Akademie erlernt hatte. Mit Mühe gelang es mir seine Anwesenheit zurückzudrängen. Für diesmal... Allerdings, das spürte ich ebenfalls, würde ER seine Bemühungen nicht aufgeben und aus irgendeinem Grund schien er hier, in dieser Nichtwelt, stärker zu sein als "draußen". Wenn ich nicht Schuld daran haben wollte, daß hier etwas Grauenhaftes geschah, dann mußte ich etwas unternehmen!
Ich schlug die Decke beiseite und eilte zur Tür. Als ich sie öffnen wollte tat sie sich bereits auf und Arkan trat ein. Schwer atmend sprach er mich an: "Was geschieht hier? Ich habe von Dir geträumt. Du hast Verderben gebracht und viele meines Volkes getötet. Und doch: das warst nicht Du. Und das war kein Traum! Was geschieht?"
Während eine eisige Hand sich um meinen Geist legte sank ich auf die Knie und stammelte: "Bruder, bitte. Bring mich an einen Ort, den ich nicht verlassen kann. Am besten eine... Höhle. Verschließe den Eingang mit der mächtigsten Magie, die Dein Volk wirken kann. Ich darf den Raum nicht mehr verlassen, bis..." Ja, bis wann?
"Ich werde wissen wann... Frag mich nicht wieso..."
Was redete er da? Ich schlug vollständig zu Boden. Mein Körper begann unkontrolliert zu zucken: "Schnell..." war das Letzte, was ich noch hervorbringen konnte, bevor eine Dunkelheit, nein eine Abwesenheit, von mir Besitz ergriff. Nur ganz am Rande meines Seins erlebte ich, wie er meine schlaffe Gestalt durch die sich wandelnden Gänge seines Palastes schleifte. Weit hinunter ging es, bis wir die Fundamente des Palastes erreichten. Dann legte er mich sanft in einer Art Höhle mit Tür ab und verließ mich mit den Worten: "Du bist nicht allein!"
Kurz bevor die Tür sich hinter ihm schloß, vernahm ich noch von ganz, ganz weit entfernt einige Worte: "Verschließt diese Tür zeitmagisch und öffnet sie erst wieder, wenn ich es euch befehle. Niemand, hört ihr, niemand darf den Raum betreten!"
Alles wurde schwarz.
***
Lorendas wirkte besorgt. Nicht so wie Arkan ihn bisher jemals gesehen hatte, sondern wahrhaftig voller intensiver Sorge. Der Berater, der selbst für einen Thuach na Moch ein hohes Alter erreicht hatte, schien noch einmal um Jahre gealtert zu sein. Er hob den Kopf und sagte zum Prinzen: "Ich habe es gefühlt, als ich ihn hierher führte. Da war etwas in seinem Geist, eine Präsenz. Eine Präsenz, die mir Angst einflößte. Doch nur kurz verspürte ich sie, dann war da nur noch der Mensch. Ich hätte wissen müssen, daß Unbill auf uns zukam."
"Welcherart?" fragte Arkan.
Lorendas schüttelte den Kopf: "Ich weiß es nicht. Möglicherweise birgt er einen weiteren, einen bösen Geist in seinem Körper. Einen, gegen den er ankämpft. Aufgrund der veränderten Bedingungen hier hat er Schwierigkeiten die Kontrolle zu bewahren."
"Wie können wir ihm helfen?"
Der alte Thuach na Moch blickte den Prinzen an: "Überhaupt nicht. Wenn er den Kampf nicht allein übersteht, dann ist er verloren."
Sich erhebend und seine Gestalt straffend widersprach Arkan: "Ich werde ihm helfen!"
"Niemand kann ihm beistehen..."
"Ich werde nicht einen Bruder finden, um ihn gleich darauf wieder zu verlieren!" Mit diesen Worten verließ er das Zimmer seines alten Lehrers. Dieser, wohl wissend daß er den Prinzen nicht von seinen Entschlüssen abbringen konnte, richtete ein Gebet an Moch, sich bewußt, daß dessen Wege nicht nur für Thuatha unerforschlich sind.
***
Arkan nickte dem Kristallwächter der seinen Dienst im Cystirraum versah kurz zu. Dann nahm er eine hockende Position auf dem Meditationsstein ein, auf dem er so oft seinen Geist wandern ließ. Er schloß die Augen und bemühte sich, die Gedankensphäre seines Bruders zu berühren. Als es ihm gelang traf es ihn wie ein Schlag: Vom Geistesmuster seines Bruders, das ihm nach so kurzer Zeit schon so bekannt vorkam war kaum noch etwas vorhanden. Vielmehr hatte sich etwas... übles ausgebreitet. Nicht einfach böse, nein, schwer faßbar chaotisch, fremdartig, auf perverse Weise bizarr... Nur ganz am Rande war noch etwas vom bekannten Geist Jethros zu bemerken. Dieses Überbleibsel mühte sich verzweifelt gegen den anderen, offenbar übermächtigen Gegner. Ein Kampf den die schwindende Gedankensphäre zu verlieren drohte. Arkan griff ein, bemühte sich seinen Bruder zu erreichen. Es kostete ihn nicht geringe Willenskraft und Geschicklichkeit, an dem anderen Bewußtsein ohne dessen Bemerken vorbei zu greifen, um Jethro, oder das was noch von ihm übrig war, zu erreichen.
***
In einem Nichts, welches von bunten Schlieren durchzogen war, bunten Mustern deren Farben ich nicht alle benennen konnte, trieb ich daher. Nein, ich trieb nicht daher, irgendwie fühlte ich mich körperlos. Vom Körper gelöst, verdrängt. Oh nein! ER hatte offenbar die Kontrolle über meinen Leib errungen.
Ich beschloß, nicht kampflos aufzugeben und versuchte mich auf meinen Körper, den ER mir stehlen wollte, zu konzentrieren. Und wirklich, da war noch etwas, eine Reminiszenz. Ich bemühte mich stärker, wollte irgend etwas spüren, irgend etwas...
Adern, die an meinen Schläfen pulsierten.
ER drängte sich dazwischen, wollte den dünnen silbernen Faden der mich noch mit meinem Leib verband durchtrennen. Ich fühlte unmißverständlich: in meinem derzeitigen Zustand konnte ich IHM nicht viel entgegensetzen. Diesen Kampf mußte ich wohl verlieren und kurz stellte ich mir vor, meine weitere Existenz als Bewußtseinsfragment in einem Winkel meines eigenen Leibes zu verbringen. Aber noch hatte ich die Kraft und den Willen zu kämpfen. Noch einmal warf ich IHM alles entgegen, dessen ich fähig war.
Zwecklos. Deutlich bemerkte ich, wie er die Oberhand gewann, als...
***
Der Prinz erreichte Jethro und spendete ihm Geistes-, oder besser: Lebenskraft. Deutlich empfand er, daß er in einem kritischen Moment angekommen war. Ebenso deutlich wurde ihm bewußt, daß es um ein Haar zu spät gewesen wäre. Um so heftiger führte er Stärkung in das Bewußtsein seines Bruders. Ob die Unterstützung ihren Zweck erreichte wußte er nicht.
***
Von irgendwoher floß mir Kraft zu. Gern hätte ich gewußt von woher, doch mußte ich mich ganz auf die Abwehr konzentrieren. Mit einem Anflug von Hoffnung stellte ich fest, daß ich Terrain in diesem geistigen Kampf gewann. ER tobte. ER schien mit imaginären Klauen nach meinem Selbst zu greifen, wollte es zerfetzen, endgültig.
Doch der Strom an Kraft ließ nicht nach, verstärkte sich sogar noch, versetzte mich in die Lage IHM mehr und mehr Paroli zu bieten. Mehr und mehr geriet er in die Defensive und ich gönnte mir einen Augenblick des Triumphs.
Ein Fehler! Sofort spürte ER seine Chance und schlug mit der vollen Wucht seiner Macht zu. Fest entschlossen, ihm keine Handbreit nachzugeben stellte ich mich ihm, unterstützt von dieser eigenartigen Kraftquelle, entgegen. Woher diese Kraft auch kam, ich war dankbar für sie, dankbar IHN jetzt ein für allemal in seine Schranken zu verweisen. Mit vehementer Macht drängte ich ihn in die Ecke meines Geistes zurück, in der er schon so lange Zeit verbracht hatte. Und diesmal sollte er auf immer dort bleiben, so hoffte ich. Nachdem ich das imaginäre Schloß vor seinem Gefängnis mit all meiner Macht verriegelt hatte, gönnte ich mir den Luxus des Aufgebens, der Ohnmacht. Alle farbigen Schlieren eilten von mir fort, wichen durchaus stofflichen, realen Wänden und dann der Schwärze...
***
Nur mit Mühe konnte der Prinz sich auf dem Stein halten. Die Unterstützung die er seinem Bruder gegen den Dämonen in seinem Geiste gewährt hatte, forderte ihren Tribut. Mit letzter Sicherheit konnte er es zwar nicht bestimmen, jedoch glaubte er, daß Jethro den Kampf um seinen Körper gewonnen hatte. Ein weiteres Tasten bestätigte diesen Eindruck, so daß Arkan sich in die Arme einer gnädigen Ohnmacht fallen lassen konnte.
***
"Öffnet die zeitmagische Verriegelung!" befahl Arkan, der sich nach seinem Erwachen zu der Zelle Jethros begeben hatte. Nur mit Mühe vermochte er das Zittern seiner Hände zu verbergen, als die Tür geöffnet wurde. Das Bild, das sich seinen Augen offenbarte ließ ihn tief einatmen.
Nichts außer seinem Bruder befand sich noch in dem kleinen Raum. Die Schlafstatt, der Tisch, alles war verschwunden. Die Wände waren seltsam glatt, schienen glasiert. Jethro Cunack lag nackt in der Mitte des Raumes. Er hatte eine entspannte Haltung inne, die sich nicht so recht mit den letzten Geschehnissen vereinbaren lassen wollte. Sein Gesichtsausdruck war eigenartig gelöst.
Als der Prinz sich über seinen Bruder neigte schlug dieser abrupt die Augen auf.
"Bruder," sagte er, "Danke!"
Ohne ein Wort reichte Arkan ihm die Hand und half ihm auf, stützte ihn, als seine Knie nachzugeben drohten. So verließen sie die Kammer: Der Thuach na Moch den Menschen stützend. War es auf einer anderen Ebene nicht schon so gewesen?
***
Als ich in meinen Wein blickte konnte ich kaum noch nachvollziehen, was geschehen war. War das alles tatsächlich erst wenige Tage her?
Tage... Was für ein Wort hier im Reiche Mochs.
Ich blickte nach rechts, wo mein Bruder sich vergnügt mit Lorendas und einigen anderen unterhielt. Er hatte mich gerettet, gerettet vor dem Dunkel in meiner Seele. Selbstlos. Das paßte gar nicht in das Bild, welches oben, nein, draußen, vom Hügelvolk gezeichnet wurde.
Ich hatte wohl noch viel zu lernen. Aber ebensoviel hatte er auch über mich zu lernen. Nun gut, wir würden das Beste daraus machen.
Lachend wandte Arkan sich mir zu: "Jethro, erzähle doch noch einmal die Geschichte mit dem Nebel! Ich bin sicher, die hier Anwesenden werden darüber genauso lachen wie ich."
Ich rückte in meinem Sessel zurecht, nahm eine bequemere Position ein und hielt dem Prinzen auffordernd meinen Kelch hin.
"Gern," antwortete ich, "doch fülle mir zuvor meinen Becher, auf daß meine Kehle nicht trocken wird."
"Sicher," lachte Arkan und schenkte mir nach.
Und während ich erzählte und die lächelnden Gesichter um mich herum betrachtete, stellte ich fest, daß ich mich hier heimisch fühlen konnte.
ENDE