Teil 1
„..und so geschah es, vor so unendlich langer Zeit. Die Schlacht war siegreich geschlagen, nur wenige Helden unversehrt heimgekehrt. Der müde Krieger schob sein Schwert zurück in seine Scheide, um es, so schwor er sich, nie wieder zu ziehen. Dort über dem Kamin, ganz ähnlich dem unserem, fand es seinen letzten Platz, um ihn für alle Zeiten daran zu erinnern, dass ein solches Werkzeug nur für eines gut ist: Zu Verletzen, zu Töten und Leid in die Welt zu bringen. Seufzend umarmte er seine liebe Gemahlin und sie wussten insgeheim, dass nunmehr eine Zeit des Friedens und des Glücks für sie beginnen würde....“
Arkan, der Prinz des Hügelvolkes, erhob sich, trat an das Herdfeuer der Palastküche, betrachtete den goldenen Met in seinem Becher, als beinhalte er die Antwort auf alle Fragen Magiras.
Hierher kam er gerne, wenn er Abstand gewinnen wollte. Abstand von der Politik, den allgegenwärtigen Intrigen und den Speichelleckern, die ihm falsche Freundschaft und Schmeicheleien entgegenbrachten. Hier, in den Tiefen des Palastes, dem Wohnraum der Dienstboten, fühlte er einfache, aber wahre Ehrlichkeit.
Er lächelte unwillkürlich als er daran denken musste, wie er als kleiner Junge in die Küche geschlichen war, um süßen Kuchen zu stibitzen. Mara, die Köchin, hatte ihn damals auf frischer Tat ertappt und ihm, da sie ihn nicht sofort erkannte, eine schallende Ohrfeige verpasst.
Es wäre damals ein leichtes für ihn gewesen, sie dafür strafen zu lassen, denn immerhin hatte sie ihre Hand gegen ein Mitglied der königlichen Familie erhoben, doch schon als Kind besaß er ein starkes Gefühl für Gerechtigkeit. Und so behielt er diese Ohrfeige für sich, als eine weitere Erfahrung in seinem Leben ...
„Mein Prinz!?“
Offensichtlich hatte die Sprecherin schon mehrfach versucht ihn aus seinen Gedanken zu reißen, denn er spürte ein forderndes Zupfen an seinem Ärmel.
Er blickte auf und sah in das runde, fragende Gesicht der fülligen Köchin. Er zuckte kaum merklich zurück, erwartete er doch beinahe einen weiteren Klaps, so in Gedanken versunken wie er noch war.
„Oh verzeiht, Mara, ich träumte wohl ein wenig.“ Er klopfte seine langstielige Pfeife aus, entleerte die Asche des verbrannten Tabaks in das lustig prasselnde Feuer, um sich dann, während er mit geschickten Finger erneut die Pfeife stopfte, zu einer kleinen Schar von Zuhörern umzuwenden.
Lächelnd blickte er in ehrbare Gesichter. Da war Menrar der Stalljunge, Figor der alte Schmied und Fenya die Küchenmagd, nebst ihrer kleinen Tochter Shiris.
Shiris..., dieses kleine Gesichtchen hatte Arkan noch nie wirklich sauber gesehen. Nicht, dass ihre Mutter nicht darauf geachtet hätte, sie reinlich zu halten. Irgendwie schaffte der kleine Wurm es jedoch immer wieder, schon Augenblicke nach der täglichen Säuberung sich in irgendwelche “furchtbar aufregende“ Abenteuer zu stürzen, die in jedem Falle schon Momente danach die kindlichen Wangen mit Schmutz bedeckten.
„Nun, mein wertes Publikum, was soll ich jetzt für eine Geschichte erzählen? Eine gruselige, etwas Heldenhaftes oder aber ein Drama welterschütternden Ausmaßes?“
„Oooch, Prinz,“ ließ sich ein Kinderstimmchen vernehmen.
„Schhhhhh!!“ versuchte die beschämte Mutter ihr Kind zum Schweigen zu bringen...
„Nein,“ bremste sie Arkan, „lass' sie sprechen, denn Kindermund spricht immer wahr.“
Bevor Fenya auch nur protestieren konnte, nahm sich der Herrscher der Tuach na Moch das Kind auf den Schoß und blickte es ernst an.
„Heute Abend bist du meine wichtigste Beraterin. Was soll ich erzählen?“
„Du redest immer von großen Kriegen und tollen Kämpfen und so. Aber oben in der Galerie der Ehrenhügel, wo die ganzen Gemälde von den Helden sind, da ist auch eins von einem Menschenmädchen, das vielleicht sechs oder sieben Lenze zählen mag. Was hat sie gemacht, dass ihr Bild da zwischen den ganzen tollen Leuten hängen darf?“
Der Prinz sah sie ernst an. „Dieses einfache Kind hat sich sehr verdient um unsere Familie gemacht. Aber diese Geschichte ist keine lustige. Sie ist angefüllt mit Intrigen, Bosheit und falscher Nachrede. Aber auch von Liebe, Opferbereitschaft und Freundschaft, wo man sie am wenigsten erwartet hätte. Willst du dies wirklich hören?“
„Ja!“ sprudelte es aus der Kleinen heraus. „Endlich einmal eine Geschichte, die aus dem Leben kommt und nicht aus den Sagen der Helden.“
Sie rutschte vom Schoße Arkans und machte es sich auf dem Boden vor ihm bequem. Aus großen, dunklen Kinderaugen blickte sie den Prinzen an und verlangte: „Erzähl!“
Arkan nahm einen Schluck aus seinem Becher und begann mit seiner Mähr.
***
Ihren Anfang nimmt die Geschichte vor vielen, vielen Jahren. Arpad, mein Vater, war noch Herrscher über unser Volk. Von vielen geliebt, einigen beneidet, von manchen jedoch bis auf das Blut gehasst.
Und es gärte es bei einigen wenigen der Tuach na Moch. Man sann auf Verrat, übler Nachrede und Feindseligkeiten, die man sich kaum vorzustellen vermag. So senkte sich unbemerkt ein dunkler Schatten über die erhabenen Hallen des Kristallpalastes.
Dem jüngeren Bruder Arpads, Cemrodh mit Namen, gelüstete es schon lange nach dem Thron. Auch begehrte er Sorcha, die junge Frau Arpads, für sich zum Weibe und in seinem Wahn begann er bald zu glauben, dass, wenn er die Macht endlich innehabe, sich auch ihre Gefühle für ihn ändern würden.
Arpad war kein einfältiger Mann. Er wusste wohl um die Gefahr, in der er sich allein um seines Herrschertitels befand. Doch sein eigen Fleisch und Blut hatte er niemals im Verdacht, - oder aber konnte und wollte er dies nicht wahrhaben?
So lebte und regierte der Prinz der Tuach na Moch viele Jahre unwissend der Bedrohung, die von seinem jüngeren Bruder ausging.
Cemrodh aber lauerte gleich einer arglistigen Schlange verborgen von seinem freundlichen Antlitz und Gehabe nur auf eine Gelegenheit, aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Süß und freundlich war sein Tun und Reden. Alle, selbst den schon damals alten und weisen Lorendas, vermochte er zu täuschen.
Allen war er Freund und Berater. Wann immer jemand im Palast sein Denken mit Fragen oder gar dunkler Trauer umwölkt fand, war Cemrodh da, mit gutem Rat und tröstenden Worten. Doch hinter dem liebenswerten Äußeren loderte die Glut des Hasses und des Neides. Die Jahre vergingen, auch im Reiche Mochs waren sie nicht aufzuhalten...
Und dann kam die Zeit, da sich Cemrodh zum Handeln entschloss.
Das gesamte Hügelreich hallte wieder von fröhlichen Gesängen und ausgelassenen Feiern. Auf den Straßen der Städte trieben Gaukler und Spaßmacher ihr munteres Spiel. Allenthalben wurde getanzt, gezecht und gelacht. Alle waren guter Dinge. Nur Cemrodh teilte diese Gefühle nicht.
Denn Sorcha war guter Hoffnung. In nur wenigen Monaten würde sie einem neuen Tuach na Moch das Leben schenken.
Einem Thronerben.
Und dieses Ereignis erzürnte den jüngeren Bruder in zweifacher Art. Nicht nur, dass dieses Kind der größte Beweis der Liebe war, die zwischen dem Herrscherpaar bestand, nein, auch war nunmehr der Thron für den eifersüchtigen Mocha durch die Geburt des Kronprinzen in unerreichbare Ferne gerückt.
***
In den Ruinen einer selbst für die Mocha uralten Zitadelle, welche vergessen an den schwarzen, zerklüfteten Hängen des Moch Cadair lag, empfing er eine finstere Gestalt.
„Fachtna,“ begrüßte Cemrodh den Ankömmling düster. „Was hast du in der Welt der estron erreicht? Hast du erlangt, wonach es mir dürstet?“
Der Angesprochene beugte das Knie vor dem auf einem aus schwarzem Stein gehauenen Stuhl sitzenden Mocha. Die feingliedrigen Hände des Prinzenbruders verkrampften sich auf den kalten, glatten Armlehnen und wächsern traten die Adern unter der weißen Haut hervor. Nicht mehr waren seine Finger sanft und zart, vielmehr glichen sie nun den scharfen Krallen eines Aasgeiers, bereit aus fauligem Fleische große Brocken zu reißen.
Fachtna erhob sich und winkte herrisch.
Eine unterwürfige, beinahe kriechende Kreatur, gehüllt in schmutzige Lumpen, schlurfte in die Mitte des Saales, und hechelnd bot sie ihrem Herrn Fachtna eine aus poliertem Gebein gefertigte Schatulle. Dieser nahm sie wortlos entgegen, ohne den Blick von Cemrodh zu wenden. Der Bruder Arpads sog in plötzlichem Ekel und Abscheu den Atem scharf durch zusammengebissene Zähne.
„Ein Hügeltroll...Wie kannst du es wagen, derartigen Abschaum in meine Halle zu bringen?“
Augenscheinlich verstand das missgestaltete Wesen, dass von ihm die Rede war, denn unter den Worten Cemrodhs wand es sich wie unter den Hieben einer Peitsche. Mitleidlos betrachtete der Gescholtene das wimmernde Wesen zu seinen Füßen.
„Sie mögen hässlich sein und auch stinken, Herr, aber auf ihre Art sind sie von großem Nutzen,“ verteidigte Fachtna die Wahl seines Dieners.
„Das ist jetzt nebensächlich. Zeig mir die Lade.“
„Was ist mit meinem Preis? Wir hatten einen Handel, hoher Herr.“
Cemrodh griff hinter sich und warf ihm einen prall gefüllten Beutel zu, welchen Fachtna geschickt auffing.
„Dieses Gold sollte für einige Jahre in der Welt der estron
ausreichen.“
„Dies war nicht der ganze Lohn, den Ihr mir versprochen habt!“
„Ja,“ pflichtete ihm Cemrodh bei. Auf ein Fingerschnippen führte ein in schwarzem Metall gerüsteter Mocha eine gefesselte Frau, der man die Augen verbunden hatte, herein. „Dein Verlangen nach einer Gefährtin in der Oberwelt wird noch einmal dein Untergang sein. Und ich habe dein Wort, dass sie nie wieder in den Hügel zurückkehren wird?“
Der Dunkle grinste böse und entblößte zwei fleckige, gelbe zu mörderischen Spitzen gefeilte Zahnreihen. „Sorgt Euch nicht, hoher Herr. Wenn sie jemals wieder einen Hügel betreten wird, dann indem man sie in seine kühle, feuchte Erde bettet.“
Dünne, mit gebogenen Nägeln bewehrte Finger fassten der Hügelfrau unters Kinn, und zwangen ihren Kopf in die Höhe. Selbst dem Bruder des Prinzen schauderte, als er an das Schicksal denken musste, welches ihr bevorstand.
„Geh, und nimm deinen Lohn mit.“
Cemrodh murmelte eine Beschwörung in einer längst vergangenen Sprache und vor ihm öffnete sich, umtost von bläulichem Blitzen uralter Magie, ein Portal in die Welt der estron.
„Geh!“ herrschte er Fachtna an. „Und ich will dein hässliches Antlitz nie wieder hier im Reiche sehen.“
Der Dunkle trieb seinen tierhaften Diener und den lebendigen Lohn durch die Pforte. An der Schwelle wandte er sich noch einmal um. „Ich mag für andere Augen grauenhaft aussehen, auch meine Lust nennen die meisten wider die Natur. Doch verberge ich mich nicht hinter einer schönen Gestalt und rede keine lieblichen Worte. Wer von uns beiden ist nun der schlimmere Unhold?“
Ohne die Antwort abzuwarten, sprang er in den Strudel von Zauberei und
entschwand aus dem Reiche der Tuach na Moch.
Cemrodh lehnte sich zurück und legte die Spitzen seiner schlanken Finger vor dem ebenmäßigen Gesicht zusammen.
„Verflucht seist du,“ wisperte er, während er die ersterbende Funken der soeben gewirkten Magie beobachtete. „Verflucht seist du.....“
***
„Geliebter Bruder,“ schmeichelte Cemrodh. „Ich habe ein Geschenk für dich.“
Die Geschwister hatten sich wie schon so oft zuvor in den privaten Gemächern des Prinzen getroffen, um ein, zwei Gläser Branntwein und etwas Tabak zu genießen.
Arpad lächelte. „Womit habe ich das nur verdient? Aber ja, du hast es vollbracht mich neugierig zu machen. Die ganze Zeit über habe ich mich schon gefragt, warum du die große Tasche dabei hast. Was ist es?“
Der Bruder des Prinzen grinste scheinbar verschmitzt und förderte eine aus Ebenholz gefertigte, kunstvoll verzierte Schatulle zu Tage und reichte sie ihm.
Der Prinz öffnete sie und hielt den Atem an.
„Bei Moch, was für ein herrlicher Dolch,“ entfuhr es ihm, als er die schlanke Waffe aus ihrer Hülle nahm und die Schneide prüfend ans Licht hielt.
„Schön ist er gewiss,“ pflichtete ihm sein Bruder bei, „aber auch tödlich. Berühre nicht die Klinge,“ warnte er. „Denn dieses Stück ist von Menschenhand gefertigt, und du weißt, dass sie Eisen nutzen.“
Arpad erstarrte. „Eisen,“ wiederholte er, „Wie bist du in Besitz dieser Waffe gekommen? Sie kann sich nicht im Hügelreich befunden haben. Denn dies wäre sofort aufgefallen.“
„Einer meiner Beobachter brachte sie aus dem Reiche der estron mit. Dort ist sie einigen wenigen Menschen aus einer Legende bekannt. Sie nennen sie Moch-tranc, den Hügeltod. Er wusste nicht, wie er mit ihr verfahren solle, denn sie erschien ihm wertvoll. So entschied er sich, sie zu mir zu bringen. Ich habe natürlich gleich die Gefahr erkannt, die von ihr ausgeht und sie sofort zu dir getragen. Der Rat sollte darüber entscheiden, was mit dem Stück geschehen soll.“
„Wie immer hast du Recht, Cemrodh und dein Handeln war lobenswert. Ich werde die Waffe hier in die Truhe schließen. Morgen werde ich den Rat zusammenrufen. Doch heute wollen wir nicht mehr über Mordwerkzeuge reden. Komm, füll die Gläser erneut, während ich uns noch ein Pfeifchen stopfe.“
Und als Arpad e´dhelcú, Prinz der Mocha, sich daranmachte, die Pfeifenköpfe mit köstlichem Tabak zu füllen, sah er nicht, dass sein Bruder in seinen Becher zu dem Branntwein eine kleine Pille gab...
***
„Wie konnte er nur so etwas tun?...er hatte doch gar keinen Grund....welch grauenhafte Untat...Das Blut überall...ob der Stein zerbrechen wird?...da, er erwacht...“
Schmerz... Hinter den Schläfen des Prinzen wüteten tausende Dämonen. Mühsam nur öffnete er die Augen und das erste was er sah, war der blutbesudelte Boden.
Langsam richtete er sich auf in eine hockende Stellung. Doch da spürte er die Spitze einer Klinge zwischen seinen Schultern.
„Mein Prinz, ich muss Euch auffordern, den Dolch fallen zu lassen!“ befahl eine Tränen erstickte Stimme.
Ungläubig wurde Arpad gewahr, dass er in seiner blutverschmierten Faust Moch-tranc umklammert hielt. Bläulich schimmerte das todbringende Eisen im Lichte des Kristalls der Cystirkammer. Vor ihm auf dem Boden lag die zusammen gekrümmte Gestalt des Wächters. Sein Brustpanzer war von vielen Stichen übersäht, feucht schimmerte sein Lebensquell auf der Lederrüstung und gab ihr den Anschein, als sei sie eben frisch poliert worden.
Die Augen des Unglücklichen waren aufgerissen, so als könne er nicht fassen, was ihm geschehen war. Nicht im Kampf verzerrt, sondern verblüfft und unsagbar getäuscht.
In seinem Rücken mühten sich kundige Cystirach, den herausgebrochenen Kristall wieder in seine Fassung zu bringen. Schon zeigten ihre sicheren, flinken Hände Wirkung, denn die Risse im Gefüge der ZEIT begannen sich zu schließen, zu heilen.
„Mein Prinz, die Waffe....,“ forderte die Stimme in seinem Rücken nun eindringlicher.
So, als würde er den Dolch in seiner Hand nun das erste Mal sehen, hob er ihn prüfend vors Gesicht. Wie durch einen Nebel erkannte er die tödliche Geschmeidigkeit, die Schärfe und das Gift des reinen Eisens. Entsetzt ließ er die Klinge fahren, und mit lautem Klirren, so als würden alle Kristalle des Hügelreiches auf einmal zu klagen beginnen, fiel sie in die Lache von Blut, schleuderte im Hochschnellen noch einige Tropfen in die Höhe, bevor sie endlich auf dem harten Boden zu liegen kam.
Langsam wandte sich Arpad um und sah in vorwurfsvolle, vom Grauen und Schrecken verzerrte Gesichter. Die Wache vor ihm, welche drohend das Schwert gegen ihn erhob, die Wangen von Tränen überströmt, das aschgraue Antlitz Lorendas´, seines Mentors, und all die anderen fassungslosen Mocha.
Taumelnd, die blutigen Hände vorgestreckt, so, als wolle er Hilfe suchen, stolperte er einige Schritte nach vorn. Dann senkte sich eine gnädige Bewusstlosigkeit über seinen Geist und Dunkelheit legte sich über sein Denken.
***
„Hoher Rat, wir haben uns hier versammelt, um über das Schicksal Arpads aus dem Hause e´dhelcú zu entscheiden. Wir klagen ihn an des heimtückischen Mordes an Ciarán, dem Wächter des dritten Kristalls, dem Vorenthalten einer für uns Mocha hochgradig gefährlichen, giftigen Waffe und der Zusammenarbeit mit einem uns noch nicht bekannten Nekromanten der Menschen. Diesem Hexer, der die Toten zu seiner Magie erkoren hat, sie beschwört und sie sich zu dienstbaren Geistern macht, versprach er, im Austausch von unheiligem Wissen und Magie Zugang zum Reiche Mochs selbst.“
Hoch reckte der Ankläger ein Bündel von Pergamenten, welche mit rostroten Schriftzeichen bedeckt waren.
„Diese Dokumente belegen seinen weiteren Verrat. Cemrodh, der Bruder des Angeklagten selbst, fand diese Papiere in der Schatulle des Prinzen. Lange hat er überlegt, ob er diese furchtbaren Beweise uns zur Verfügung stellen soll, aber letztendlich hat sein Pflichtgefühl obsiegt. Ein schwerer Gang für jemanden, der seinen Bruder wahrhaftig liebt. Und noch ein furchtbarerer Weg steht ihm bevor. Denn nun werde ich ihn, mit Eurer werter Erlaubnis, hoher Rat, vor Euch selbst befragen.“
Die weisen Männer und Frauen raunten sich leise zu. Dann erhob sich der Sprecher der Sieben.
„Da es der Wahrheitsfindung dienlich sein wird, so erlauben wir das Verhör.“
Auf einen Wink des Anklägers betrat nun Cemrodh das Rund des Gerichtes.
Übernächtigt sah er aus, müde, bleich und abgespannt.
„Ich weiß, dies ist schwer für Euch, aber was geschah am letzten Abend, als Ihr Euren Bruder aufsuchtet?“
Cemrodh seufzte schwer, barg den Kopf kurz in seinen Händen und begann mit seiner Schilderung, die seinem Bruder so sehr schaden sollte.
„Es war gestern am späten Abend. Einer meiner Beobachter brachte ein gefährliches Artefakt mit von der Oberwelt. Moch-tranc,
der Tod der Mocha. Er wusste nichts von der Bedrohung, welche von diesem Dolch ausging. Ich jedoch verspürte sehr wohl die furchtbare Macht des giftigen Eisens. Und noch ein weiteres Unheil verbarg sich in ihm. Oh, bei Moch,“ seufzte der verräterische Bruder schwer, „der Dämon von einem Menschen, der einst dieses Monstrum ersann und in die Welt brachte, wusste sehr wohl, was er tat. Nicht nur, dass dieser Schrecken uns Mocha in kaltem Feuer verbrennt, nein, er verschlingt auch jedwede Magie, die unser Volk wirken kann, und erstickt sie im Keim. So konnte auch die grauenhafte Wunde des Wächters nicht mehr rechtzeitig geheilt werden, und er verblutete vor unser aller Augen.“ Cemrodh legte eine dramatische Pause ein und wischte sich mit dem Handrücken theatralisch über die rotgeweinten Augen.
„Berichtet, was an diesem Abend weiter geschah,“ drängte ihn der Ankläger.
„Ich übergab meinem Bruder die Waffe und beschwor ihn, sie gleich dem Rat zu überantworten, doch er entschied, sie erst am nächsten Tage Euch zu bringen. Dann komplimentierte er mich rasch hinaus. Ach, hätte ich doch nur seinen üblen Plan erahnt... Schon lang paktiert er, wie ich heute zu meinem Entsetzen erkennen musste, mit einem dämonischen Magier der Finsternis. Das einzige, was mich noch hoffen lässt, dass mein geliebter Bruder unter einen furchtbaren Bann gefallen ist, dessen er sich nicht erwehren konnte. Und so bitte ich das hohe Gericht um ein mildes Urteil....“ Er lächelte und nur einem geübten Beobachter wäre das verschlagene Glitzern seiner schmalen Augen bewusst geworden.
„Seid nicht so schnell mit Euren Beschuldigungen!!“ Lorendas, der alte Mentor des Hügelprinzen, war aufgesprungen. Nur mühsam hielt er seine Wut im Zaum. „Eure Worte, Cemrodh, sind geradezu grotesk. Ihr wisst genauso gut wie jeder von uns im Raum, dass Arpad nur am Wohle seines Volkes gelegen ist. Wohingegen Ihr....“
„Achtet auf Eure Zunge, alter Mann,“ wurde er schroff von Cemrodh unterbrochen. „Es ist kein Geheimnis, dass Ihr schon immer ein besonders inniges Verhältnis zu Eurem Schützling unterhieltet. Und wer weiß, vielleicht seid Ihr ja selbst in seine finsteren Machenschaften verwickelt...?“
Diese Worte brachten den alten Mann derart auf, dass er schon auf den scheinheiligen Bruder losgehen wollte. Doch im letzten Moment bremste ihn ein leises, aber bestimmtes: „Nein!“
Es war Arpad, welcher nun zum ersten Male in dieser Verhandlung seine Stimme erhob. „Haltet ein. Es dient uns in keiner Weise, wenn auch Ihr, werter Freund, in Misskredit geratet.“
„Hört besser auf Euren Schüler, oh Lorendas,“ schnappte Cemrodh, „wenn Ihr Euch nicht neben ihm auf der Anklagebank wieder finden wollt.“
Arpad sah seinem Bruder ernst ins Gesicht und dieser erschauderte merklich.
„Du magst über mich sagen, was dir beliebt, Bruder. Beweise vorbringen, ob sie nun wahr sind oder nicht. Doch solltest du nicht dem schaden wollen, der dich alles lehrte.“
Triumphierend wandte sich Cemrodh zum Rat.
„Seht Ihr, Ihr Hochweisen, selbst im Angesicht Eurer Erhabenheit, scheut er sich nicht, mir zu drohen! Mir, seinem eigen Fleisch und Blut. Er muss unter einem bösen Bann stehen oder noch Schlimmeres.“
„Wir haben Eure Rede wohl vernommen, aber nun wollen wir den Beschuldigten selbst hören. Was habt Ihr uns zu sagen, Arpad e´dhelcú, Prinz der Tuach na Moch?“
„Ich kann nur sagen, dass ich mir keiner Schuld bewusst bin. Diese Papiere, welche hier gezeigt wurden, sind mir noch nie vor die Augen gekommen.“
„Und was habt Ihr in der besagten Mordnacht getan?“
„Dies, hoher Rat, kann ich nicht sagen, da mir jegliche Erinnerung fehlt. Ich konnte erst wieder klar denken, als ich am Boden der Kristallkammer lag, den blutigen Dolch in der Hand.“
„Also vermögt Ihr nicht zu beschwören, die Tat nicht begangen zu haben?“
Arpad seufzte schwer, barg den Kopf in seinen Händen, sah dann auf und mit Tränen erstickten Worten musste er die Frage bejahen.
„Seht Ihr Euch als eine Gefahr für das Volk der Mocha?“
„Werter Rat, jeder von uns birgt Gefahren, seien sie nun weltbewegend oder nur minderer Art. Doch ob ich nun selber eine Bedrängnis darstelle, weiß ich wirklich nicht zu sagen. Denn mir fehlt jedwede Erinnerung bis hin zu dem Zeitpunkt, an dem man mich fand.“
Die weisen Männer und Frauen sahen sich bedeutungsvoll an, flüsterten miteinander und dann richtete sich der Sprecher erneut an den Prinzen.
„Wir werden uns über Nacht beraten. Bis zur Urteilsfindung am Ynad Lynn, dem See der Gerechtigkeit, verbleibt Ihr unter Hausarrest in Euren Gemächern. Die Anhörung ist hiermit beendet.“
Arpad nickte knapp, drehte sich auf dem Absatz um und verließ, von zwei Fianna flankiert, den Raum.
***
In dieser Nacht fand der Prinz keinen Schlaf. Wieder und wieder wälzte er dunkle Gedanken. Hatte er sich wirklich schuldig gemacht? Seit dem Besuch seines Bruders fehlte ihm jegliche Erinnerung. Und was war mit der abscheulichen Anschuldigung Cemrodhs? Nie hatte Arpad irgendwelche Händel mit Menschen begangen, geschweige denn mit Schwarzmagiern paktiert. Was aber, wenn Cemrodh...?
Nein, unmöglich...
Die sanfte Berührung einer kleinen Hand riss ihn aus seinen Gedanken. Er fuhr herum.
„Sorcha!“ rief er leise und schloss seine Gattin fest in die Arme. Die Augen geschlossen atmete er tief den Duft ihrer Haare ein, Tränen stiegen in ihm empor, ahnend, dass dies vielleicht ihre letzte Umarmung sein könne.
„Aber wie..? Du dürftest gar nicht hier sein, was wenn ich wirklich eine Gefahr bin, was wenn ich wirklich den Verstand verloren habe und dir plötzlich etwas antun werde...? Was, wenn...“
„Schhh,...“ Ein schlanker Finger legte sich auf seine Lippen und beendete zart seinen Redefluss. „Du würdest mir niemals schaden. Selbst, wenn du nicht mehr Herr deiner Sinne wärest. Frage mich nicht, warum ich es weiß. Ich fühle es einfach. Und was deine Frage angeht, wie ich es vollbracht habe, an den Wachen vorbeizukommen und dich hier aufzusuchen, nun, erstens bin ich immer noch die Herrin dieses Hauses, und zweitens haben wir noch Freunde, auch wenn sich nun alles gegen uns, gegen dich, zu wenden scheint.“
Dann sah sie ihn ernst an. „Was wird morgen geschehen?“
Arpad wandte sich ab und seufzte schwer: „Das weiß Moch allein. Wenn ich an ihrer Stelle entscheiden müsste, so würde ich die Verbannung wählen. Denn töten werden sie mich nicht, da sie sich meiner Schuld nicht sicher sein können.“
Und Sorcha barg Arpads Haupt an ihrer Brust und stillte seine bitteren Tränen.
***
Es war früher Morgen als sich der hohe Rat und die königliche Familie begleitet von sieben Elitegardisten am Ynad Lynn einfanden. Der Frühnebel stieg aus den tauglänzenden Wiesen der Ufer und malte unwirkliche Schatten in die kühle Luft.
Im Halbrund eines natürlichen Amphitheaters hatten Mocha schon Generationen zuvor einen Steg aus weißem Marmor in den See gebaut. So alt war dieser Steg, dass niemand mehr genau zu sagen vermochte, ob es ihn schon zur Zeit vor der Reise ins Reich Mochs gegeben hatte, oder er erst danach errichtet worden war.
Doch hatte niemand Augen für die einfache Schönheit dieses Ortes. Denn der heutige Morgen würde ein schwerer Gang werden.
„Horcht auf und leiht mir Euer Ohr,“ begann der älteste der Richter zu sprechen. „Die ganze Nacht hindurch haben wir uns beraten, jedes Für und Wider abgewogen und sind dann schließlich, jeder für sich meditierend zu einem Entschluss gekommen. Dort, am Ende des steinernen Weges, den wir nackt, so wie uns Moch in diese Welt gebracht hat und uns auch wieder holen wird, wandeln werden, steht Cnapan Cael, die Schale der Findung. Aus ihr werden wir unseren Entscheid wählen. Rot wird zeigen, dass wir den Prinzen für schuldig befinden, blau verkündet die Unschuld Arpads. Schreitet nun zur Tat.“
Der Mann löste die Brosche, welche sein weißes Gewand zusammenhielt. Seine Robe fiel sacht wie der erste Schnee des Winters zu Boden und gemessenen Schrittes strebte er der Schale zu. Dort entnahm er ihr ein Juwel und weit warf er es in die tiefen Wasser. Schlagartig färbte sich der tiefe See in ein blutiges Rot. Ein Murmeln ging durch die Anwesenden. Der erste Spruch war getan.
-Schuldig-
Nacheinander legten nun alle Richter ihre Kleidung ab und ein jeder tat sein Urteil an der Schale kund. Und als der letzte der Richter sein Urteil den Fluten anvertraute, da ruhte der See in einem tiefen Blau. Sie bekannten den Prinzen für unschuldig...
Doch da stand Arpad e´dhelcú auf von seinem Sitz und richtete mit lauter und klarer Stimme sein Wort an die Versammelten.
„Laut dem alten Gesetz habt Ihr, hoher Rat, nur eine beratende Funktion gegenüber dem Prinzen, also mir. Ich verlange mein Recht, den letzten Spruch zu tun.“
Empörtes Aufbegehren war das Echo, jedoch wurde dies durch eine herrische Geste des obersten Richters im Keime erstickt.
„Was wollt Ihr, mein Prinz? Das Urteil ist gefällt.“
Man hätte es Arroganz des Adels nennen können, denn ohne dem Mann einer Antwort zu würdigen, betrat der Prinz den Steg, ließ mit wenigen fließenden Bewegungen seine Kleidung fahren und näherte sich dann langsam und erfurchtsvoll der wartenden Schale. Mehr zu dem See denn zu den Wartenden sprach er: „Ich, Arpad e´dhelcú, aus dem ersten Geschlecht der Herrscher, welches von Moch erwählt wurde, nehme hiermit mein Recht in die eigene Hand zu entscheiden. Ob ich richtig oder falsch gehandelt habe, mögen die befinden, die nach mir kommen werden.“
Mit diesen Worten griff er in das Behältnis, betrachtete den gewählten Stein für einige Lidschläge, ohne dass die Wartenden sehen konnten, welches Juwel er ausgesucht hatte, holte weit aus und schleuderte das Kleinod mit aller Kraft in das wartenden Wasser.
Purpurne und rote Schlieren durchzogen das Nass, so als wolle das Blau sich wehren. Doch letztendlich obsiegte das Rot der Schuld.
Ein Keuchen ging durch die Reihen der Zeugen dieses Dramas, und Sorcha presste die Faust vor den Mund, um ihrem Entsetzen und Schmerz nicht in einem lauten Schrei Luft zu machen.
Der Prinz wandte sich um zu den Männern und Frauen, und er erhob seine Stimme. Unheimlich und anklagend beleuchtete die rote Flut seine dunkle Silhouette. Die Wartenden hielten den Atem an. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, denn selbst die Natur schien in diesem Augenblick im Schweigen zu verharren.
„Als Herrscher der Tuach na Moch bin ich meinem Volke keine Rechenschaft schuldig. Dies ist der Weg, den Tyrannen oder Despoten wählen würden. So will ich mein Handeln, meinen Beschluss Euch erklären, jedoch mitnichten zur Diskussion stellen.“
Sorcha war an die Seite ihres Mannes geeilt und bedeckte nun seine Nacktheit mit ihrem warmen Umhang, den sie um seine Schultern legte. Dankbar nickte er seiner Gemahlin zu.
„Ich möchte Euch sagen, werte Freunde und Getreuen, dass dies rote Juwel kein Schuldeingeständnis meiner Person war. Vielmehr weiß ich es selber nicht zu sagen, ob mich nun Schuld trifft oder aber nicht. Und solange dies nicht völlig klar ist, berge ich vielleicht eine tödliche Gefahr für uns alle.“
„Wie lautet dann das Urteil über Euch, mein Prinz?“
„Ich wähle für mich die Verbannung aus dem Reiche Mochs!“ Sorcha wollte gerade protestieren, da gebot ihr der Prinz mit einem strengen Blick zu schweigen. „Ich werde mich auf die Oberwelt begeben, um dort nach der Wahrheit zu suchen. Wenn sie sich mir offenbart, werde ich zurückkommen, um entweder meinen Platz auf dem Kristallthron wieder einzunehmen oder mich erneut Eurer Gerichtsbarkeit zu unterwerfen.“
„So werde ich mit dir gehen, geliebter Gatte,“ warf Sorcha mit flehendem Blick ein.
Arpad umfasste sanft die schmalen Schultern seiner Gemahlin und sah ihr tief in die Tränen überströmten, blattgrünen Augen. „Nein, mein kleiner Mondvogel,“ flüsterte er zärtlich. „Die Welt der estron ist rauh und gefährlich. Und du trägst unser Kind unter dem Herzen. Auch musst du Acht geben, dass, während ich fort bin, hier alles zum Besten bleibt. Ich verspreche dir, ich werde zurückkehren. Im Guten oder aber im Schlechten.“
Laut schluchzend warf sie sich ihm in die Arme. „Alles, alles was du willst,“ stammelte sie.
Arpad sprach nun mit lauter Stimme zu den Richtern. „Noch heute werde ich das Reich verlassen. Meine Staatsgeschäfte, den Thron lege ich in die Hände Sorchas. Was ihr Mund spricht, werden meine Worte sein. Dient ihr, so wie Ihr mir gedient habt. Nur eine Gnade, hoher Rat, erbitte ich noch für mich.“
„So sagt, was Euer Begehr ist, Arpad e´dhelcú,“ forderte ihn der Oberste der Richter auf.
„Bevor ich gehe, möchte ich Skavenra aufsuchen, um mir von ihr raten zu lassen.“
„Bei Moch, Ihr meint doch nicht etwa diese Skavenra, die schon vor langer Zeit dem Wahnsinn anheim gefallen ist? Die einmal eine weise Mutter war, dann aber in ihrem Turm Dinge geschaut hat, welche ihr den Verstand aus dem Denken trieb? Mir war noch nicht einmal bewusst, dass dieses bedauernswerte Geschöpf überhaupt noch unter den Lebenden weilt.“
„Oh, sie lebt, dessen seid versichert. Auch wenn sie sich nun beinahe völlig aus unserer Welt zurückgezogen hat. Ich habe ihr vor langer Zeit schon ein geheimes Domizil geschaffen. Denn vergessen sind ihre Verdienste um meine Familie, ja um die Gesamtheit der Mocha niemals.“
„Doch was glaubt Ihr von einer Wahnsinnigen Hilfreiches erfahren zu können, mein Prinz?“
Der Mocha seufzte schwer. „Zu einer Zeit, die dem Wahn entgegen zu taumeln scheint, da sind es vielleicht diejenigen, die wir als irrsinnig bezeichnen, die einzigen, die noch einen klaren Gedanken zu fassen vermögen.“
„Eurer Bitte, so ungewöhnlich sie auch sein mag, wird hiermit stattgegeben. Es sei Euch gewährt Skavenra aufzusuchen.“
Arpad verbeugte sich kurz vor seinen Richtern, dann verließ er schnellen Schrittes den Steg, den Ort seines Schicksals.
***
Immer tiefer führten uralte Treppen Arpad und Lorendas, seinen alten Mentor, in die geheimsten Katakomben des Kristallpalastes. Schon seit mehreren Menschenleben war niemand mehr außer ihm und wenigen seiner Getreuen diesen Weg gegangen.
Als sie die untersten Ebenen erreichten, waren auch keine der magischen Kristallleuchten mehr an den Wänden zu finden. Das gesamte in den uralten Fels getriebene Tunnelsystem atmete die Last von Äonen.
Aus ihren Rucksäcken förderten die beiden je eine Fackel und entzündeten sie mit Feuerstein und Zunder. Das unstete Licht der blakenden Fackeln malte ein unwirkliches Spiel von Schatten auf die verwitterten Mauern.
Dann, am Ende eines nicht enden wollenden Ganges erreichten Schüler und Lehrmeister eine kleine Pforte. Magische Runen glühten unheimlich in der ewigen Schwärze dieser Tiefe und warnten einen jeden davor sich dieser Türe zu nähern, geschweige denn zu öffnen.
Lorendas sprach mehr zu sich denn zu seinem einstigen Schüler. „Ich muss es mir immer wieder sagen, es war ihr eigener Wille hier eingeschlossen zu leben. Weggesperrt wie ein wildes Tier, ein Monstrum.“
Arpad steckte seine Fackel in einen kupfernen, in den Stein geschlagenen von Grünspan überzogenen Halter. „Ich weiß, was Ihr fühlt, Lorendas. Auch mir widerstrebt es mit all meinen Sinnen zu wissen, dass hinter dieser Tür eine Mocha ihr Dasein fristet. Aber es war ihr Wunsch, ausgesprochen in einem der Momente, wo sie klaren Geistes war. Doch sind wir nicht deswegen hergekommen. Vielmehr wollen wir Antworten und Weisung.“
Der Prinz legte seine Hände auf den kleinen mit Bronze beschlagenen Eingang und begann einen monotonen Singsang in einer längst vergangenen Sprache. Dort, wo seine schlanken Finger die Runen berührten, blitzten diese in einem hellen Silberschein auf und leuchteten in bläulichem Feuer weiter. Streichelnd, ja, beinahe zärtlich fuhren sie die Zeichen entlang, und als er das Rund der magischen Symbole geschlossen hatte, da ertönte ein scharfes Klacken, als die verborgenen Riegel der Türe zurückschnappten.
Knarrend öffnete sich der enge Durchlass und waberndes Licht ergoss sich in den Gang.
***
„Verdammt seiest du, Arpad!“ Ein gläserner Pokal, noch halb gefüllt mit kostbarem Mondwein, zerbarst klirrend in dem mächtigen Kamin.
Cemrodh hatte ihn geschleudert. Wütend, wie ein Tiger in einem viel zu engem Käfig, wanderte er auf und ab. Verwünschungen gegen seinen Bruder ausstoßend versuchte sich der Verräter zu beruhigen.
„Wie konntest du es nur wagen, diese kleine Schlampe an deiner Statt einzusetzen?“ Er verharrte und presste seine Daumen vor die Augen. „Und was soll dieser Schachzug mit der Wahnsinnigen? Denk nach, Cemrodh, was ist nun zu tun?“
Plötzlich veränderte ein böses Lächeln sein Gesicht. „Das ist es! Sobald mein geliebter Bruder aus dem Reich entschwunden ist, werde ich das Vertrauen seiner kleinen Schlampe gewinnen. Ha, sie als eine nicht unter dem Namen e´dhelcú Geborene wird niemals den Platz auf dem Thron einnehmen können, ohne zu verbrennen.....Ja, dies ist ein guter Plan. Ich werde ihr Vertrauen gewinnen, sie vielleicht sogar zu der Meinen machen.... Und was den Balg betrifft, es wäre nicht das erste Kind, was das erste Jahr seines Lebens nicht überlebt. Ja, so werde ich es tun...“
Er griff nach einem weiteren Pokal und füllte ihn mit edlem Wein. Zufrieden starrte er in die Flammen und leerte ihn dann in einem Zug.
***
Beherzt traten die beiden Mocha durch die Pforte. Vor ihnen eröffnete sich ein großes Gemach, nur beleuchtet vom magischen Glühen der Hügellampen. Niemals verirrte sich auch nur ein einzelner Sonnenstrahl in diese Räume. Unwirkliche Klänge erfüllten die Stätte, wie Gesänge Magiras selbst.
„Skavenra?“ Laut hallte der Ruf Arpads von den steinernen Wänden wider.
Eine Bewegung hinter dem schweren Vorhang, welcher den Raum teilte, fesselte die Aufmerksamkeit Arpads und seines Mentors. Eine feingliedrige Hand, nur mit einem kristallenen Ring am Zeigefinger geschmückt, schob den Stoff zurück und gab den Blick auf eine schlanke, vielleicht fünf Fuß große Gestalt frei. Ein Schleier aus kastanienbraunem Haar verbarg das Gesicht der Frau.
„Bist du es, mein hübscher Prinz?“ ertönte die melodische Stimme Skavenras. „Und ich sehe, den kleinen Lorendas hast du auch mitgebracht.“ Sie verfiel in ein mädchenhaftes Kichern.
„Ich habe Fragen, weise Mutter, Fragen, was die Zukunft bringt.“
„Viele wollen wissen, wohin sich ihre Wege winden,“ fiel sie in einen plötzlichen Gesang, ihre Haare über beide Arme gleiten lassend, einer Flut aus feinster Seide. Dabei begann sie sich zu wiegen und warf plötzlich den Kopf in den Nacken. Schüler und Mentor erkannten mit Entsetzen dass die uralten Augen in dem puppenhaft jungen Gesicht der Mocha in schierem Wahnsinn blitzten.
„Hörst du sie, mein hübscher Prinz? Hörst du ihre Stimmen, die Stimmen der Seelen, welche warten auf ihre neuerliche Geburt? Sie wissen von deinem Weg. Sie erzählen wundersame Dinge.“
„Was sagen sie?“
„Sie singen von einer langen Reise....von Verrat,...die Hand eines Bruders streckt sich aus nach der Wiege eines Kindes...von einem Mocha mit den Zähnen eines Wolfes, der mehr weiß.....vom Ende des Regenbogens, das dir den Weg zurück in dein Reich weist. Von Tod, von Hass und Schmerz... von Dolchen im Dunkel...“
Daraufhin verfiel sie in ein hysterisches Gelächter, Schaum trat über ihre vollen Lippen und sie brach zusammen. Die beiden Männer knieten sich neben sie. Sorgenvoll bettete Arpad ihren Kopf in seinem Schoß. Da schlug sie die Augen auf und der Irrsinn war aus ihnen gewichen.
„Mein Prinz,“ hauchte sie, „so lange habe ich Euch schon nicht mehr gesehen.“
Mühsam setzte sie sich auf. „Aber ich bin müde, so unendlich müde, lasst mich schlafen.“
Arpad stützte sanft den zerbrechlichen Körper der schönen und doch so uralten Frau. „Weise, kleine Mutter, nur ungern stören wir dich in dieser Nacht, doch habe ich Fragen, welche keinerlei Aufschub erlauben.“
Dankbar nahm Skavenra den stärkenden Trunk, den ihr Lorendas reichte und nippte an der würzigen Flüssigkeit.
„Was möchtest du wissen, kleiner Prinz?“
„Ich werde mich auf eine gefahrvolle Reise in die Welt der estron begeben, und ich brauche Weisung.“
„Weisung von mir..?“ Die beiden Besucher sahen mit Furcht, dass der Wahn sich langsam in ihrem Gesicht wieder Bahn brach. Ein unwirkliches Flackern bemächtigte sich ihrer schönen Augen und kündete von einem neuerlichen Anfall. Aus dem gerade noch wachen Antlitz blickte sie Mentor und Schüler ernst an.
„Ich weiß nicht, warum du in die Welt der estron möchtest, kleiner Prinz. Aber die Stimmen haben zu mir gesprochen, dass sie dir etwas mit auf den Weg geben wollen...“
Der Irrsinn ergriff nun wieder vollends von ihr Besitz. Sie sprang auf und begann um sich selbst zu tanzen. Ihr Gewand bauschte sich in ihrer wilden Drehung und die langen Haare flogen. Urplötzlich hielt sie inne. Der kastanienbraune Schleier ihrer Haare bedeckte ihre puppenhaften Züge, ihre Stimme klang wie von weit her, als sie den Rat der flüsternden Stimmen an die schaudernden Ratsuchenden weitergab.
„Dein Weg wird weit,
doch geht er nicht ins Ungewisse…
Ein Bruder plant
die Tötung eines Kindes…
Ein Mocha, getrieben von grauenhafter Lust, bewährt mit den Zähnen eines Wolfes,
weiß um so vieles mehr.
Weiß um deine Unschuld…
Eine Frau des Hügels
wird ein Opfer deiner Herrschaft...
Und ein Kind der estron
kennt den Weg zurück…
Der Regenbogen, dessen Ende zu finden deine Queste sein wird,
führt dich zurück auf deinen Thron...
Doch eile Dich, denn die Hand eines Bruders greift nach der Wiege...“
Die bemitleidenswerte Frau gab ein grelles Kichern von sich, löste sich bar jeglichen klaren Sinnes von Arpad und Lorendas. Sie eilte zurück in ihre hinteren Gemächer und herrschte die beiden an, sie mögen sofort verschwinden.
Schaudernd kamen Mentor und Schüler ihrer Aufforderung rasch nach.
***
Der nächste Morgen kam zu schnell, viel zu schnell. Arpad hatte sich von seinen Lieben verabschiedet. Seine Gemahlin Sorcha, mit rot geweinten Augen, gab sich tapfer. Auch Cemrodh war erschienen. Sein Lächeln war nicht zu ergründen. Der Hügelprinz hatte sich in eine einfache dunkle Ledergewandung gekleidet. Ein Rucksack, den er trug, enthielt dass Nötigste, was er brauchte, um die ersten Tage in der Welt der estron allein bestehen zu können.
Auch einen Gürtel, in dem einige Goldmünzen eingenäht waren, hatte er um seine Hüften geschlungen. Das kurze Schwert an seiner Seite und der schlanke Wurfdolch, verborgen in seinem Stiefel, rüsteten ihn wohl zu seiner Reise.
Der Rat war erneut zusammengekommen. Vier der Weisen woben ein magisches Tor in die Welt der estron. Durch einen Tanz von Dunst und grauen Wirbeln erkannte man eine Landschaft, ob sie nun weit entfernt oder aber nur wenige Tage Fußmarsch von hier war, dies wusste niemand zu sagen.
Der Älteste des Rates trat auf Arpad zu.
„Mein Prinz, ich entledige Euch schweren Herzens Eurer Prinzenwürde, Eurer Macht, Tore in das Reich Mochs zu öffnen. So geht und sucht die Wahrheit.....“
Arpad nickte stumm. Ein letzter Blick zu seiner Frau, ein tiefes Seufzen entrang sich seiner Brust, dann trat er beherzt durch das Tor. Der Wirbel erfasste ihn, und einen Lidschlag später war er verschwunden.
***
Arkan sah in die vor Spannung geröteten Gesichter seiner Zuhörer.
Er stand immer noch vor dem alten Küchenkamin. Der Hügelprinz trank den letzten Schluck aus seinem Becher und lächelte der kleinen Schar zu.
„Es ist schon spät, wir alle sollten schon längst zu Bett sein..“
„Aber,“ protestierte Shiris, „die Geschichte ist doch noch nicht vorbei?“
„Nein, meine Kleine, noch nicht, aber ich werde sie morgen weitererzählen. Denn sie ist noch lang. Ich danke euch für Speis und Trank, und morgen werde ich weitererzählen...“
Ende Teil 1