Teil 2
Wie jede Nacht durchstreifte Feach MacLlyr die Straßen von Cor Dhai. Immer noch verschwanden Tuach na Moch... und immer noch wusste er nicht, wie er dem entgegentreten sollte. Er wusste ja bisher noch nicht einmal, wie sie verschwanden. Brütend erwiderte er den Gruß der Streife, ohne wirklich aufzuschauen. Dass es einmal dazu kommen musste – hilflos im Angesicht einer Bedrohung. Das konnte, nein, das wollte er nicht hinnehmen. Lieber... er erstarrte. Die Härchen in seinem Nacken richteten sich auf und mit einem heiseren Knurren fuhr er herum, die Faust um den Schwertgriff. Vor ihm der Fianna, der eben noch an ihm vorbeigekommen war – verblassend. Wie ein Sturm schlug ihm die Macht entgegen, die dies hier verursachte, ließ ihn taumeln. Doch nur kurz, dann stemmte er sich mit einem fast schon animalischen Brüllen dagegen, die Faust löste sich vom Schwert, es würde hier nichts ausrichten können. Stattdessen griff er mit seinem Geist in das Flackern hinein, führte seinen Geist und seine eigene Macht ins Feld, unwillig den Fianna im Stich zu lassen. Kreidebleich sank er auf die Knie, ohne es zu merken, immer noch kämpfend, die schweißbedeckte Stirn vor Anstrengung in Falten. Hin und her wogte das Ringen, bis der Hauptmann der Fianna schließlich die Oberhand zu gewinnen schien. Die fremde Macht ließ ab von ihrem Opfer, dabei gelang es Feach, weiter durch die Verteidigung seines Gegners zu brechen. Entsetzen zeichnete sich auf seinen Zügen ab, als er die Wahrheit erkannte, als er sah, wer da gegen ihn stand... und lähmte seinen Geist, so daß sein Angriff zusammenbrach.
Der verwirrte Fianna sah seinen Hauptmann verschwinden, das Gesicht eine Maske des Schreckens, dem aufgerissenen Mund entwand sich ein gequälter Schrei, zwar leise, doch wurde er von jedem Tuach na Moch gehört. In dieser Nacht schlief niemand in Cor Dhai.
***
Schwärze umgab ihn, kein Lichtstrahl, kein funkelnder Stern durchbrach sie. Der einzige Laut sein Stöhnen, ihm war als ob sein Schädel in Flammen stünde. Jeder Muskel schmerzte und er nahm den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund wahr. Er kniete, der Boden schien weich zu sein... Erde, aufgewühlt vom Kampf. Aber wo war er? Eben hatte er noch die Straße von Cor Dhai unter den Stiefelsohlen gespürt, aber auch ohne etwas zu sehen wußte er das er dort nicht mehr war. Zaghaft meldete sich eine Erinnerung, versuchte durch den Schmerz zu seinem Bewusstsein durchzudringen, doch erfolglos. So sehr er sich auch bemühte den Gedanken festzuhalten, es gelang ihm nicht. Schließlich gab er es auf, zumindest für den Augenblick. Er spürte, daß der Gedanke wichtig, lebenswichtig war, doch musste er erst einmal wieder auf die Beine kommen. So sammelte er den Rest seines Willens und stemmte sich hoch. Eine sinnlose Geste, doch was blieb ihm schon andres übrig, als seinen Trotz zu beweisen? Er war nicht besiegt, so lange er stehen konnte... kämpfen konnte. Und so lange noch ein Funken Leben in ihm war, würde er kämpfen. Sein Volk schützen.
Da jede Richtung gleich war, setzte er sich schließlich vorwärts in Bewegung, mit stolpernden Schritten, bei denen die flammenden Dolche des Schmerzes irgendwann ihren Biss verloren. Und je dumpfer der Schmerz wurde, desto fester wurde sein Schritt. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, hob er das Haupt, blickte mit altem Stolz wieder in die Schwärze, herausfordernd... aber hätte es einen Lichtschein gegeben, so hätte man tief im Herzen des Stolzes die Furcht wahrnehmen können.
***
Niedergeschlagen saß Arkan in seinem Thronsaal. Wieder waren Tuach na Moch verschwunden, wie jede Nacht... doch diesmal auch sein Sohn. Die Trauer fraß an ihm, konnte ihn aber nicht ganz vereinnahmen. Zu sehr beschäftigte ihn der Gedanke daran, wie Feach verschwunden war. Er hatte sich wieder und wieder davon berichten lassen, bis er jedes Detail vor sich sah. Feach hatte dagegen angekämpft, den Fianna gerettet... und war dann selber verschlungen worden. Und niemand außer dem Augenzeugen hatte etwas von dem Ringen gemerkt. Dabei hätte die halbe Stadt es wahrnehmen müssen, wenn man sich vor Augen führte, was für Kräfte dort am Werk waren. Arkan hatte Feach kämpfen sehen, selbst Übermachten hatten seinen Sohn lachend und singend in die Schlacht ziehen lassen. Dieser Schrei aber... was hatte ihn ausgelöst? Was konnte derart schrecklich sein, derart machtvoll? Vor allem... wollte er es wirklich wissen? Wäre es nicht besser, einfach zu fliehen? Die Heimat zu verlassen, das Volk zu retten? Konnten sie überhaupt hoffen, siegreich zu sein? Und wenn er blieb, den Kampf weiterführte – war es Hoffnung? Oder nur das Verlangen nach Rache?
***
Ein Fuß vor den anderen... er wusste nicht, wie lange er schon so ging. Stunden? Tage? Wochen? Allein in dieser Schwärze hatte er keine Möglichkeit zu schätzen, wieviel Zeit vergangen war. Er hatte begonnen, seinen Geist schweifen zu lassen, suchte nach seinem Gegner. Noch immer konnte er die Erinnerung nicht fassen, obwohl er immer stärker spürte, wie wichtig sie war. Da – was war das? Am Rande seiner Wahrnehmung spürte er etwas... sammelte seine Macht und schlug erbarmungslos zu. Er spürte einen Schrei... die Präsenz verschwand... Licht umflutete ihn, biss in seine Augen, blendete ihn. Er stolperte, stieß gegen etwas Festes, Raues... und Tränen quollen unter den geschlossenen Lidern hervor, rannen über seine Wangen. Er hatte erkannt, wo er sich befand, und als die Verzweiflung über ihm zusammenschlug war in seinen Gedanken nur ein Wort...
Amseru nac – die Nicht-Zeit.
***
Drei Wochen waren vergangen. Es waren seit jener Nacht keine weiteren Tuach na Moch verschwunden, entweder hatte Feach den Gegner bezwungen oder zumindest stark geschwächt. Aber war es diesen Preis wert gewesen? Arkan hatte seine Ratgeber nicht ruhen lassen, die weisesten und klügsten Köpfe hatte geforscht, überlegt und gestritten. Ohne Ergebnis, aber immerhin waren sie ein kleines Stück weiter. Eine alte Prophezeiung war aufgetaucht. Bisher nicht weiter beachtet, war sie eher als Unsinn abgetan worden. Doch nun...
Zum wiederholten Mal glitten Arkans Augen über das Pergament. Sogen die Worte auf, versuchten Hoffnung aus ihnen zu gewinnen.
"Wenn der Schrei des Schilds die Nacht zerreißt, steht ein Feind vor den Toren, der nicht dort ist. Wenn er, der nicht dort siegt obwohl er dort ist, zurückkehrt, nachdem er zu Moch ging, dann wird die letzte Schlacht beginnen und das Volk wird dem Sieger gehören"
Verzweifelt versuchte er den Sinn hinter diesen Worten zu erfassen, als plötzlich die Tür zum Thronsaal aufgestoßen wurde, mit solcher Wucht, dass die schweren Türflügel gegen die Wände schlugen. Im Türrahmen stand eine zerlumpte Gestalt, die langen Haare vor dem Gesicht hängend, zitternd und kraftlos.
"Vater, ich bin zurück. Und ich weiß, wer uns bedroht"
Nach diesen hastig hervorgestoßenen Worten sank Feach, Hauptmann der Fianna, Sohn Arkans, besinnungslos zu Boden.
Ende Teil 2