'Ich hätte
heute im Bett bleiben sollen,' dachte Feach Mac Llyr, der Hügelprinz, und rieb sich die Augen. Er hatte beinahe die ganze Nacht mit Fiacha, der Jägerin, über die Wiedereinführung des Matriarchats in seinem Reiche diskutiert. Fiacha war von den Frauen des Volkes geschickt worden, um dem Prinzen diesen Vorschlag zu unterbreiten. Wahrscheinlich hatte man sie ausgewählt, weil sie mit ihren knapp 98 Jahren noch jung und weitestgehend unerfahren war, und man glaubte, der Hügelprinz würde mit ihr nachsichtiger umgehen. In der Tat hatte Feach Mac Llyr zunächst nur geschmunzelt ob dieses seiner Meinung nach gänzlich absurden Vorschlags. Doch er war auf den Enthusiasmus und die Hartnäckigkeit Fiachas nicht vorbereitet gewesen, - und die Diskussion endete mit mehr Kompromissen, als er es seinem Volk normalerweise zugestanden hätte. Sie trennten sich mit einem gegenseitigen "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen" und grinsten sich an. Doch irgendwie wurde Feach das Gefühl nicht los, diese Wortschlacht verloren zu haben. Und dieses Gefühl war äußerst beunruhigend.
'Frauen!' hatte er noch gesagt, bevor er sich müde ins Bett fallen ließ.
Am nächsten Tag wurde Feach früher als beabsichtigt geweckt. Llewwyd, ein Palastdiener, stürzte in das Schlafgemach des Hügelprinzen, das sonst rote Gesicht nunmehr blaß und mit Panik in den Augen.
'Herr, mein Prinz, Ihr müßt sofort aufstehen,' stammelte er und wischte sich nervös über sein Gesicht. 'Ihr werdet dringend im Thronsaal erwartet.'
'Wie, was, wieso Thronsaal ?' fragte Feach verschlafen. 'Ich hab' doch
uuuahhhh
' gähnte er herzhaft, '
ich hab' doch gar keine Termine heute.'
'Doch, mein Prinz, Ihr habt einen Termin.' Llewwyd warf die Gewandung auf das Bett des Hügelprinzen. 'Einen ganz wichtigen sogar,' murmelte er.
Und da Feach wie die meisten seines Volkes direkt nach dem Aufstehen nie einen klaren Gedanken fassen konnte, dachte er auch dieses Mal nicht nach und zog sich an. Die Augen noch halb geschlossen, aß er ohne Genuß das Frühstück, was Llewwyd ihm reichte, und folgte dem Diener in Richtung Thronsaal.
Schon beim Eintreten hätte er stutzig werden müssen, denn beinahe der gesamte Hofstaat, insbesondere aber der Hügelrat hatte sich versammelt. Der Saal war erfüllt von lauten Geräuschen, denn es wurde diskutiert, debattiert und geschimpft, und Feach wäre am liebsten wieder umgekehrt, um sich ins Bett zu legen. Aber Llewwyd schien recht gehabt zu haben: Diese Versammlung sah wichtig aus!
Der Geräuschpegel ging langsam zurück und wich schließlich einer Totenstille, als die Menge des Hügelprinzen gewahr wurde, der sich schweren Schrittes zu seinem Thron schleppte und dort niederließ.
'Ich brauch' jetzt ganz dringend was zu trinken,' dachte Feach, und als ob er Gedanken lesen könnte, brachte Llewwyd ihm prompt einen Krug Hügelbier. Der Prinz versuchte seinen Diener anzulächeln, aber er hatte das Gefühl, seine Gesichtsmuskeln waren vor Müdigkeit wie von einer Lähmung erfaßt, und aus seinem Lächeln wurde nur eine Grimasse.
Nach einem kräftigen Schluck bemerkte Feach einen Mann, der sich dem Thron schnellen Schrittes näherte. Es handelte sich hierbei um Cen Starror, einem hoch angesehenen, aber gleichzeitig verhaßten Mitglieds des Hohen Hügelgerichts. Cen Starror war bekannt für seine stimmgewaltigen und endlosen Anklagen, und seine Vorliebe für Skandale und Intrigen, die er gerne in der Öffentlichkeit verbreitete, - egal, ob es sich dabei um Wahrheiten oder Lügen handelte!
Und dieser Cen Starror stand nun vor dem Hügelprinzen, verneigte sich kurz, um sich schließlich dem Publikum zuzuwenden.
Dies war der Moment, an dem Feach Mac Llyr dachte: 'Ich hätte heute im Bett bleiben sollen!'
"Tuach na Moch, geliebter Prinz," als er Feach kurz zunickte, hätte sich dieser am liebsten sofort übergeben, "verehrte Gäste," Cen Starror nickte einigen Gästen des Palasts zu, "verehrtes Hohes Gericht," fuhr Cen Starror mit seiner Rede fort. "Es schmerzt mich zutiefst, diese leider peinliche, aber doch im Interesse des Volkes notwendige Pflicht ausüben zu müssen. Sie ist notwendig, denn wir müssen über die Führungseigenschaften unseres Prinzen entscheiden, und damit über die Zukunft unseres Volkes."
Er machte eine Pause, die Feach nutzte, um seinen Krug wieder füllen zu lassen. Vor seinem geistigen Auge sah der Hügelprinz nur sein Bett vor sich.
Doch Cen Starror fuhr fort: "Werte Mitglieder des Hohen Gerichts, Ihr werdet darüber entscheiden müssen, ob Feach Mac Llyr," er zeigte auf den Prinzen, der versuchte aufrecht und würdevoll da zu sitzen, "geeignet ist, unser Volk auch in Zukunft führen zu können und zu dürfen." Cen Starror blickte den Prinzen durchdringend an, und Feach hätte sich beinahe am Bier verschluckt. Wieder an die Mitglieder des Hohen Gerichts gewandt, fuhr Starror mit lauter Stimme fort: "Es ist meine leidige Pflicht, Euch Beweise darüber vorzulegen, daß unser geliebter Hügelprinz unzüchtige, zum Teil unaussprechliche Dinge mit einem Wechselbalg getrieben hat."
Ein aufgeregtes Raunen erfüllte den Thronsaal, und vereinzelt hörte man Stimmen, die riefen: "Unerhört!" Feach Mac Llyr war sich nicht ganz sicher, ob die Menge nun die Vorwürfe Starrors meinte, oder aber die Tatsache, daß man ihm, dem Hügelprinzen, so etwas zur Last legen wollte. Er wollte nur zu gerne an das letztere glauben.
Der Hügelprinz hatte nunmehr das Gefühl, nicht nur im Gesicht gelähmt zu sein. Langsam ließ er seinen Krug sinken, was der aufmerksame Llewwyd als Aufforderung verstand, ihn wieder zu füllen.
'Arkan', dachte Feach schockiert, 'Das kann nur Arkans Werk sein!' Doch im nächsten Moment besann er sich darauf, daß sein Vater weit weg in Dhanndhcaer war, und von dieser Sache ganz bestimmt nichts wissen konnte.
'Jethro Cunack', fiel Feach als nächstes ein. Dies trug die Handschrift seines Onkels, dem Halbbruder Arkans. Aber auch diesen Gedanken schob er beiseite, denn Jethro Cunack hatte immer und immer wieder bekundet, daß er froh sei, nicht mehr Hügelprinz sein zu müssen. Wieso hätte er in dieser Hinsicht lügen sollen ? Konnte Jethro denn wirklich ein solch guter Schauspieler sein ? Aber das machte alles keinen Sinn.
Feach ging im Geiste die Liste seiner Freunde und Feinde durch, aber ihm fiel niemand ein, dem er eine solche Niederträchtigkeit zugetraut hätte. Nun, zumindest nicht eine so gewitzte, wie diese hier!
Cen Starror begann nun die Anklage vorzulesen, und Feach Mac Llyr hörte zunächst staunend zu. Er staunte nicht nur über die Punkte, weswegen er hier angehört werden sollte, sondern vor allem über die Länge der Rede. Cen Starror muß eine Menge Zeit gehabt haben, um eine solche Rede vorzubereiten.
Dann begann Starror Fragen an den Hügelprinzen zu stellen.
"Mein Prinz, kennt Ihr ein Wechselbalg mit dem Namen Monicora Lewinskor "
Feach Mac Llyr, der im Laufe der Rede beinahe eingeschlafen wäre, öffnete die Augen und hob den Kopf.
"Wie, was ?" murmelte er.
Cen Starror blickte den Prinzen mißbilligend an, als er seine Frage wiederholte: "Kennt Ihr ein Wechselbalg mit dem Namen Monicora Lewinskor ?"
Feach überlegte kurz, bevor er antwortete: "Nee, ich glaube nicht!"
Cen Starror wurde sichtlich ungeduldig.
"Schwört Ihr bei der Mutter Mochs, daß Ihr den Wechselbalg Monicora Lewinskor nicht kennt ?"
"Ich schwöre gar nichts, solange ich nicht weiß, worum es hier überhaupt geht," entgegnete Feach Mac Llyr heftig.
Cen Starror baute sich vor dem Hügelprinzen auf, als er leise zu ihm sagte: "Möchtet Ihr wirklich, mein Prinz, daß ich Euch die Liste der Vorwürfe nochmals vorlese."
"Nein," rief Feach entsetzt. "Ich bin bereit zu schwören!"
'Nicht nochmal vorlesen,' dachte der Hügelprinz genervt.
"Ihr schwört also, daß Ihr das Wechselbalg Monicora Lewinskor nicht kennt?"
"Ähem, ja
ich meine, nein, ich glaube nicht
" stammelte Feach verwirrt.
Cen Starror wandte sich dem Publikum zu.
"Lüge," schrie er. "Das ist eine glatte Lüge!"
Das Raunen im Saal wurde unerträglich laut.
"Ich werde Euch, Tuach na Moch, verehrte Gäste, Hoher Rat, beweisen, daß dieser Mann," er zeigte auf Feach, "unser Hügelprinz, nicht nur gelogen, ja, sogar einen Meineid geleistet hat. Ich plädiere daher für eine Amtsenthebung Feach Mac Llyrs aus dem Amt des Hügelprinzen, das er in schändlichster Weise mißbraucht hat, und
."
Und er begann wieder einmal mit einer langen Rede.
Feach Mac Llyr starrte auf den Krug vor sich. Er war fassungslos. Amtsenthebung! Ihn, Feach Mac Llyr, Sohn Arkans, wollte dieser Mann des Amtes entheben? Monicora Lewinskor. Kannte er sie vielleicht doch? Sollte es sich dabei um das Wechselbalg Cora handeln, das hier im Palast gearbeitet hatte, bevor es aus unbekannten Gründen verschwand ? Feach rieb sich die Stirn. War sie denn überhaupt hübsch genug gewesen, um auf solche Gedanken kommen zu können ? Er konnte sich nicht mehr genau erinnern.
Das bekundete er auch Cen Starror gegenüber, der nun begann seine "Beweise" vorzulegen. Da war ein Frauengewand, das Flecken hatte (Wieso war es eigentlich nicht gewaschen worden ?), ein Rauchstengel, mit dem er, der Hügelprinz, Unaussprechliches getan haben sollte (Feach fiel beim besten Willen nicht ein, was man mit einem Rauchstengel machen könnte, außer eben, es zu rauchen), eine Zeugenaussage von einer Person, die gesehen haben wollte, daß die "Maid Lewinskor gegen Sonnenuntergang im
ähem
in den Palast kam, und der Prinz kam fünf Minuten später", und so weiter. Cen Starror legte dem Hohen Gericht sogenannte "Beweise" vor, und Feach schüttelte nur den Kopf.
Cen Starror hatte sich inzwischen in Rage geredet, und wiederholte immer wieder, daß man den Prinzen aus seinem Amt entlassen müsse, da er nicht nur schändliches mit einem Wechselbalg getrieben habe, sondern auch noch einen Meineid geleistet habe, und daß somit die Glaubwürdigkeit des Hügelprinzen nicht nur vor seinem Volk, sondern auch darüber hinaus nicht mehr gewährleistet wäre. Cen Starror zeterte und wetterte, - bis Feach Mac Llyr schließlich die rettende Idee hatte.
Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem wieder gefüllten Krug und blickte Cen Starror herausfordernd an.
"Was habt Ihr," fragte dieser gerade den Hügelprinzen mit einem häßlichen und provokativen Unterton in der Stimme, "zu dieser Angelegenheit zu sagen?"
Feach Mac Llyr stellte seinen Krug beiseite, stand, sich seiner Position als Hügelprinz erinnernd, ruhig und gemächlich auf und blickte würdevoll in die Runde. Bis sein Blick auf seine Garde fiel.
Und mit lauter Stimme rief er: "Wachen! Festnehmen!"
Seine treue Garde zögerte keinen Augenblick, Cen Starror und die Zeugen gefangen zu nehmen und sie in den Kerker zu werfen.
"Ha," rief Feach Mac Llyr später, als die Versammlung sich schließlich aufgelöst hatte, aus: "Amtsenthebung! Ha! Mich, Feach Mac Llyr, Sohn Arkans, aus dem Amt entlassen."
Llewwyd grinste seinen Herren unterwürfig an, als er ihm den Krug wieder füllte. "Das war ein Geniestreich, mein Prinz!" säuselte er.
Genüßlich ließ sich Feach in seinen Sessel zurückfallen.
"Nicht wahr, mein Lieber? Damit haben diese Hohlköpfe nicht gerechnet." Zufrieden grinste er seinen Diener an. "Meine Garde steht nach wie vor hinter mir!".
"Jawohl, mein Prinz", antwortete dieser artig, und schenkte wieder Bier ein.
"Da wollen die mich rauswerfen, obwohl ich gar nichts gemacht habe," lallte freudig und biertrunken Feach. "Wenn ich wenigstens mit dieser Lewinskor das getan hätte, was man mir vorgeworfen hatte, dann hätte sich der ganze Aufwand wenigstens gelohnt." Und er lachte laut auf.
Als der Hügelprinz abends mit sich zufrieden und ziemlich angetrunken in seinem Bett lag, ließ ihn, trotz der Nebelwand in seinem Kopf, noch ein kurzer, aber beunruhigender Gedanke zusammenfahren: Wenn weder Arkan, noch Jethro Cunack versucht hatten, ihm sein Amt als Hügelprinz abzunehmen, wer dann?
Und Feach Mac Llyr hatte plötzlich dasselbe beunruhigende Gefühl, das er nach der Diskussion mit Fiacha gehabt hatte
.
Die Wechselbalg-Affäre
Fiacha
Carolin Gröhl